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Hessisches Archivgesetz (HArchivG) Vom 13. Oktober 2022

Hessisches Archivgesetz (HArchivG) Vom 13. Oktober 2022
Gesamtausgabe in der Gültigkeit vom 25.10.2022 bis 31.12.2029

Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis

TitelGültig ab
Hessisches Archivgesetz (HArchivG) vom 13. Oktober 202225.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 1 - Allgemeine Bestimmungen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 1 - Zweck und Geltungsbereich25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 2 - Begriffsbestimmungen25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 2 - Archivische Verfahren25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 3 - Aufbewahrung im Rahmen laufender Fristen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 4 - Anbietung von Unterlagen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 5 - Feststellung der Archivwürdigkeit und Übernahme des Archivguts25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 6 - Sicherung und Erschließung25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 3 - Nutzung von Archivgut25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 7 - Recht auf Nutzung25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 8 - Einschränkung der Nutzung in besonderen Fällen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 9 - Schutzfristen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 10 - Rechte Betroffener25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 11 - Weitergabe und Veröffentlichung von Archivgut und von Reproduktionen öffentlichen Archivguts25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 4 - Staatliche Archivverwaltung25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 12 - Hessisches Landesarchiv25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 13 - Aufgaben des Hessischen Landesarchivs25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 5 - Kooperationspartner des Hessischen Landesarchivs25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 14 - Archivschule Marburg - Hochschule für Archivwissenschaft25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 15 - Hessisches Institut für Landesgeschichte25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 6 - Archivgut des Landtags, des Bundes, der Kommunen und sonstiger öffentlicher Stellen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 16 - Archivgut des Landtags25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 17 - Archivgut des Bundes25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 18 - Archivgut der Kommunen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 19 - Archivgut sonstiger öffentlicher Stellen25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 7 - Regelungsbefugnisse25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 20 - Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen25.10.2022 bis 31.12.2029
TEIL 8 - Schlussbestimmungen25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 21 - Aufhebung bisherigen Rechts25.10.2022 bis 31.12.2029
§ 22 - Inkrafttreten, Außerkrafttreten25.10.2022 bis 31.12.2029

TEIL 1 Allgemeine Bestimmungen

§ 1 Zweck und Geltungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt die Anbietung und Archivierung von Unterlagen sowie den Datenschutz für das öffentliche Archivgut. Es soll das öffentliche Archivgut als Kulturgut vor Beschädigung, Verlust, Vernichtung und Zersplitterung schützen und stellt seine Nutzung sicher. Zugleich soll es die Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln gewährleisten, eine authentische Überlieferung zur Geschichte des Landes Hessen in seiner Vielfalt nachhaltig sichern und sein kulturelles Erbe bewahren. Die §§ 25, 26 des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. November 2021 (GVBl. S. 718), bleiben unberührt.
(2) Dieses Gesetz regelt auch die Archivierung der Unterlagen von ehemals öffentlichen oder diesen gleichgestellten Stellen, sofern die Unterlagen bis zum Zeitpunkt des Übergangs in eine Rechtsform des Privatrechts entstanden sind.
(3) Dieses Gesetz gilt nicht für die Kirchen und andere öffentlich-rechtliche Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und deren Vereinigungen. Es gilt ferner nicht für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und für öffentlich-rechtliche Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen, deren Zusammenschlüsse und für solche Zweckverbände, deren Zweck der Betrieb eines öffentlich-rechtlichen Unternehmens mit eigener Rechtspersönlichkeit ist, das am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnimmt.

§ 2 Begriffsbestimmungen

(1) Die Archivierung umfasst die Aufgaben, die Archivwürdigkeit von Unterlagen festzustellen, diese zu übernehmen, sie sachgemäß aufzubewahren, dauerhaft zu sichern, deren Integrität und Authentizität zu bewahren sowie sie zu erhalten, instand zu setzen, zu erschließen, verfügbar zu machen und für die Nutzung bereitzustellen.
(2) Unterlagen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Schrift-, Bild- und Tondokumente sowie andere Informationsobjekte, unabhängig von ihrem Trägermaterial und von ihrer Speicherungsform. Dazu zählen auch alle Hilfsmittel und ergänzende Daten, die für das Verständnis der in den Unterlagen enthaltenen Informationen, deren Ordnung, Nutzung und Erhaltung notwendig sind.
(3) Archivwürdig im Sinne dieses Gesetzes sind Unterlagen, die von bleibendem Wert sind
1.
aufgrund ihrer politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart,
2.
für die Sicherung berechtigter Interessen der Bürgerinnen und Bürger oder
3.
für die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt oder Rechtsprechung.
(4) Öffentliches Archivgut sind alle Unterlagen der jeweiligen anbietungspflichtigen Stellen sowie ihrer Rechts- und Funktionsvorgänger,
1.
für die das öffentliche Archiv die Archivwürdigkeit festgestellt hat,
2.
die einem öffentlichen Archiv übergeben wurden und
3.
die vom jeweiligen Archiv zu Archivgut umgewidmet wurden.
Als öffentliches Archivgut gelten auch archivwürdige Unterlagen, die die öffentlichen Archive zur Ergänzung ihres Archivguts gesammelt, erworben oder übernommen haben.
(5) Zwischenarchivgut sind Unterlagen, deren Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind, deren Archivwürdigkeit noch nicht festgestellt wurde und die vom zuständigen Archiv vorläufig übernommen wurden. Das Verfügungsrecht verbleibt bei der abgebenden Stelle.
(6) Anbietungspflichtige Stellen sind
1.
der Landtag,
2.
die Behörden,
3.
die Organe der Rechtspflege,
4.
andere öffentlich-rechtlich organisierte Einrichtungen des Landes, der Gemeinden und Landkreise sowie
5.
die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und ihrer Vereinigungen einschließlich der Hochschulen ungeachtet ihrer Rechtsform.
(7) Als öffentliche Stellen des Landes gelten auch:
1.
Stiftungen des Privatrechts, wenn das Land oder ein Rechtsvorgänger überwiegend das Stiftungsvermögen bereitgestellt hat, und
2.
andere juristische Personen des Privatrechts, wenn sie nicht am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen und dem Land mehr als die Hälfte der Anteile oder der Stimmen zusteht.
(8) Öffentliche Archive im Sinne dieses Gesetzes sind alle Archive, die für die Archivierung der Unterlagen der in Abs. 6 und 7 genannten Stellen sowie ihrer Rechtsvorgänger zuständig sind.

TEIL 2 Archivische Verfahren

§ 3 Aufbewahrung im Rahmen laufender Fristen

(1) Archivwürdige Unterlagen können vor Ablauf der festgelegten Aufbewahrungsfristen vom zuständigen Archiv übernommen werden. Das Verfügungsrecht liegt beim zuständigen Archiv.
(2) Unabhängig von der Archivwürdigkeit können Unterlagen dem zuständigen Archiv vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen als Zwischenarchivgut befristet zur Aufbewahrung übergeben werden. Die abgebende Stelle bleibt solange für die Unterlagen verantwortlich und entscheidet über die Nutzung durch Dritte.
(3) Unterlagen, die allein zur Rechtssicherung aufgrund von Rechtsvorschriften dauernd aufzubewahren sind, können bei der aktenführenden Stelle verbleiben oder an das zuständige Archiv abgegeben werden.
(4) Die Einzelheiten nach Abs. 2 und 3 werden zwischen der anbietungspflichtigen Stelle und dem zuständigen Archiv in einer Vereinbarung geregelt.

§ 4 Anbietung von Unterlagen

(1) Die in § 2 Abs. 6 und 7 genannten Stellen sind verpflichtet, alle Unterlagen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt werden und deren Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind, unverzüglich auszusondern und dem zuständigen Archiv mit einer Anbietungsliste zur Archivierung anzubieten. Dies hat spätestens 30 Jahre nach Entstehung der Unterlagen zu erfolgen, sofern Rechtsvorschriften oder der Aktenführungserlass vom 14. Dezember 2012 (StAnz. 2013 S. 3), zuletzt geändert durch Erlass vom 9. Dezember 2020 (StAnz. S. 1419), nicht andere Aufbewahrungsfristen bestimmen. Als Entstehung gilt der Zeitpunkt der letzten inhaltlichen Bearbeitung der Unterlagen.
(2) Anzubieten sind auch Unterlagen, die
1.
besonderen Rechtsvorschriften über Geheimhaltung oder den Datenschutz unterworfen sind,
2.
aufgrund besonderer Vorschriften in der Verarbeitung hätten eingeschränkt, gelöscht oder vernichtet werden müssen,
3.
Daten nach Art. 9 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. EU Nr. L 119 S. 1, Nr. L 314 S. 72) enthalten.
(3) Die in § 2 Abs. 6 und 7 genannten Stellen dürfen nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen Unterlagen nur vernichten oder Daten nur löschen, die das zuständige Archiv zur Vernichtung oder Löschung freigegeben hat und bei denen kein Grund zur Annahme besteht, dass durch die Vernichtung oder Löschung schutzwürdige Belange von Betroffenen beeinträchtigt werden.
(4) Bei der Einführung und Änderung technischer Systeme zur Erstellung und Speicherung digitaler Unterlagen ist das zuständige Archiv zu beteiligen, um eine künftige Archivierung und Nutzbarmachung sicherzustellen.
(5) Bei digitalen Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen, legt das zuständige Archiv das Intervall der Anbietung im Benehmen mit der abgebenden Stelle fest.
(6) Auf die Anbietung von offensichtlich nicht archivwürdigen Unterlagen und Daten darf nur im Einvernehmen mit dem zuständigen Archiv verzichtet werden.
(7) Die in § 2 Abs. 6 und 7 genannten Stellen bieten jeweils ein Exemplar der von ihnen herausgegebenen Veröffentlichungen, auch solcher in digitaler Form, dem zuständigen Archiv zur Übernahme an.
(8) Die in § 2 Abs. 6 und 7 genannten Stellen können Unterlagen einem anderen öffentlichen Archiv anstelle des zuständigen Archivs mit dessen Einvernehmen zur Archivierung anbieten, wenn es im öffentlichen Interesse liegt.

§ 5 Feststellung der Archivwürdigkeit und Übernahme des Archivguts

(1) Über die Archivwürdigkeit der angebotenen Unterlagen nach § 2 Abs. 3 entscheidet das zuständige Archiv im Benehmen mit der anbietenden Stelle unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Zur Feststellung der Archivwürdigkeit ist dem zuständigen Archiv auch vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen Einsicht in die Unterlagen der anbietenden Stelle und die dazugehörigen Ordnungssysteme zu gewähren.
(2) Das zuständige Archiv kann mit der anbietenden Stelle über eine längerfristige systematisierte Übernahme von Unterlagen eine Vereinbarung treffen.
(3) Das zuständige Archiv hat binnen sechs Monaten über die Archivwürdigkeit und die Übernahme der angebotenen Unterlagen zu entscheiden. Unbeschadet des § 4 Abs. 3 entfällt nach Ablauf dieser Frist die Pflicht zur weiteren Aufbewahrung.
(4) Werden die Archivwürdigkeit und die Übernahme von Unterlagen festgestellt, hat die anbietende Stelle die Unterlagen unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb eines Jahres, mit einer Abgabeliste an das zuständige Archiv zu übergeben.
(5) Bei der Übernahme von digitalen Unterlagen sind die technischen Kriterien, insbesondere das Format von Primär- und Metadaten und die Form der Übermittlung, von dem zuständigen Archiv mit der abgebenden Stelle vorab einvernehmlich festzulegen. Vorschriften zur Kostenregelung im Sinne des § 20 Abs. 1 bleiben unberührt.

§ 6 Sicherung und Erschließung

(1) Öffentliches Archivgut ist unveräußerlich. Eine Abgabe an andere öffentliche Archive ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt und die Einhaltung der in diesem Gesetz für die Aufbewahrung und Nutzung von öffentlichem Archivgut getroffenen Bestimmungen gewährleistet ist.
(2) Archivgut ist grundsätzlich im Original aufzubewahren. Sofern es unter archivfachlichen oder technischen Gesichtspunkten in besonders begründeten Einzelfällen geboten ist, können die öffentlichen Archive die im Archivgut enthaltenen Informationen auch in anderer Form archivieren. Darüber ist ein entsprechender Nachweis zu führen.
(3) Die öffentlichen Archive haben die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die dauernde Aufbewahrung, Erhaltung und Nutzbarkeit des Archivguts sowie seinen Schutz vor unbefugter Nutzung oder vor Vernichtung sicherzustellen. In besonders begründeten Einzelfällen kann Archivgut, dessen Archivwürdigkeit nicht mehr gegeben ist, vom zuständigen Archiv entwidmet und gelöscht oder vernichtet werden, wenn Rechtsvorschriften oder berechtigte Interessen Betroffener oder Dritter nicht entgegenstehen. Darüber ist ein entsprechender Nachweis zu führen.
(4) Die öffentlichen Archive sind verpflichtet, das Archivgut nach archivfachlichen Gesichtspunkten zu ordnen und zu erschließen. Die Bereitstellung von Verknüpfungen personenbezogener Daten durch das öffentliche Archiv ist innerhalb der in § 9 Abs. 1 und 2 genannten Schutzfristen nur zulässig, wenn schutzwürdige Belange betroffener Personen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden.

TEIL 3 Nutzung von Archivgut

§ 7 Recht auf Nutzung

(1) Das Recht, öffentliches Archivgut zu nutzen, steht jeder Person nach Maßgabe der §§ 8 bis 10 zu. Regelungen in anderen Rechtsvorschriften sowie Vereinbarungen zugunsten von Eigentümerinnen und Eigentümern Archivguts privater Herkunft bleiben unberührt.
(2) Die Nutzung von archivierten Unterlagen, die Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung unterliegen, richtet sich nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2021 (BGBl. I S. 4122).

§ 8 Einschränkung der Nutzung in besonderen Fällen

(1) Die Nutzung von Archivgut ist einzuschränken oder zu versagen, wenn Grund zu der Annahme besteht,
1.
dass dem Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder der Länder wesentliche Nachteile erwachsen,
2.
schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter beeinträchtigt werden oder
3.
Vereinbarungen mit gegenwärtigen oder früheren Eigentümerinnen und Eigentümern entgegenstehen.
Im Übrigen kann die Nutzung eingeschränkt werden, wenn
1.
der Erhaltungszustand des Archivguts gefährdet wird oder
2.
durch die Nutzung ein nicht vertretbarer Verwaltungsaufwand entsteht.
(2) Die oberste Aufsichtsbehörde entscheidet über die Einschränkung oder Versagung der Nutzung des Archivguts in den Fällen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Das jeweils zuständige öffentliche Archiv entscheidet über die Einschränkung oder Versagung in den Fällen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 1 Satz 2.

§ 9 Schutzfristen

(1) Für öffentliches Archivgut gilt im Regelfall eine Schutzfrist von 30 Jahren nach Entstehung der Unterlagen. Archivgut, das bei der Übernahme durch das öffentliche Archiv besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterlegen hat, darf im Regelfall erst 60 Jahre nach Entstehung der Unterlagen genutzt werden. Dies gilt auch für Unterlagen, die aufgrund besonderer Vorschriften hätten gelöscht oder vernichtet werden müssen.
(2) Unbeschadet der generellen Schutzfristen darf Archivgut, das sich seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht (personenbezogenes Archivgut), im Regelfall erst zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person oder der letztverstorbenen von mehreren betroffenen Personen durch Dritte genutzt werden. Ist das Todesjahr nicht festzustellen, endet die Schutzfrist 100 Jahre nach der Geburt der betroffenen Person oder der Geburt der letztgeborenen von mehreren Personen, deren Todesjahr nicht festzustellen ist. Ist weder Geburts- noch Todesjahr der betroffenen Person oder einer der betroffenen Personen mit vertretbarem Aufwand festzustellen, so endet die Schutzfrist 60 Jahre nach Entstehung der Unterlagen.
(3) Die Schutzfristen nach Abs. 1 und 2 gelten auch bei der Nutzung durch öffentliche Stellen. Für die abgebenden Stellen gelten die Schutzfristen der Abs. 1 und 2 nur für Unterlagen, die bei ihnen aufgrund von besonderen Vorschriften hätten gesperrt, gelöscht oder vernichtet werden müssen.
(4) Die Schutzfristen nach Abs. 1 können vom öffentlichen Archiv im Einzelfall auf Antrag der Nutzerin oder des Nutzers verkürzt werden, wenn es im öffentlichen Interesse liegt oder die Nutzung zur Wahrnehmung berechtigter Belange im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle unerlässlich ist.
(5) Bei personenbezogenem Archivgut nach Abs. 2 können die Schutzfristen vom öffentlichen Archiv im Einzelfall auf Antrag der Nutzerin oder des Nutzers verkürzt werden, wenn
1.
die Nutzung für ein konkretes Forschungsvorhaben erforderlich ist und
a)
sichergestellt wird, dass schutzwürdige Belange der betroffenen Personen oder Dritter nicht beeinträchtigt werden, oder
b)
das öffentliche Interesse an der Durchführung des konkreten Forschungsvorhabens die schutzwürdigen Belange überwiegt oder
2.
die Nutzung zur Wahrnehmung berechtigter Belange im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle unerlässlich ist und eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange der betroffenen Person oder Dritter durch angemessene Maßnahmen ausgeschlossen wird.
(6) Eine Nutzung personenbezogenen Archivguts ist unabhängig von den in Abs. 2 genannten Schutzfristen auch zulässig, wenn
1.
die betroffene Person in die Nutzung eingewilligt hat oder
2.
im Falle des Todes der betroffenen Person deren Rechtsnachfolger in die Nutzung eingewilligt haben, es sei denn, die betroffene Person hat zu Lebzeiten der Nutzung nachweislich widersprochen, oder die Erklärung der Einwilligung wäre nur höchstpersönlich durch die betroffene Person möglich gewesen.
(7) Vor Ablauf der Schutzfristen dürfen personenbezogene Angaben nur veröffentlicht werden, wenn die betroffenen Personen, im Falle ihres Todes deren Rechtsnachfolger nach Abs. 6 eingewilligt haben oder dies für die Darstellung der Ergebnisse des bestimmten Forschungsvorhabens unerlässlich ist. Bei Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes und bei Personen der Zeitgeschichte ist die Veröffentlichung zulässig, soweit diese einer angemessenen Berücksichtigung schutzwürdiger Belange nicht zuwiderläuft.
(8) Die Schutzfristen nach Abs. 1 und 2 gelten nicht für solches Archivgut, das bereits bei seiner Entstehung zur Veröffentlichung bestimmt war oder für welches vor der Übergabe an das zuständige Archiv bereits ein Zugang nach einem Informationsfreiheitsgesetz oder anderweitigen gesetzlichen Regelungen vorlag.

§ 10 Rechte Betroffener

(1) Besteht ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 des Hessischen Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetzes und sind entsprechende Daten im Archivgut enthalten, ist der betroffenen Person auf Antrag nach Maßgabe des § 9 Abs. 4 und 5 Nr. 2 das Recht auf Einsicht in die Unterlagen und die Herausgabe von Reproduktionen von dem betreffenden Archivgut zu gewähren, soweit schutzwürdige Belange Dritter nicht beeinträchtigt werden. Ein Recht auf Datenübertragbarkeit nach Art. 20 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 besteht nicht.
(2) Bestreitet eine betroffene Person die Richtigkeit personenbezogener Daten im Archivgut und wird die Unrichtigkeit festgestellt, ist dies zu den betreffenden Unterlagen in geeigneter Weise gesondert zu vermerken. Lässt sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit der Daten feststellen, ist dem Archivgut auf Verlangen einer betroffenen Person eine Gegendarstellung beizufügen.
(3) Nach dem Tod der betroffenen Person stehen die Rechte nach Abs. 1 und 2 den Rechtsnachfolgern zu. Rechte nach Art. 19 und 21 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 bestehen nicht.
(4) Die Gegendarstellung nach Abs. 2 Satz 2 bedarf der Schriftform und muss von der betroffenen Person oder ihren Rechtsnachfolgern unterzeichnet sein. Sie muss sich auf Angaben über Tatsachen beschränken und darf keinen strafbaren Inhalt haben.
(5) Das Gegendarstellungsrecht nach Abs. 2 Satz 2 gilt nicht für amtliche Niederschriften und Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände und anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts sowie der Gerichte.

§ 11 Weitergabe und Veröffentlichung von Archivgut und von Reproduktionen öffentlichen Archivguts

(1) Das zuständige Archiv ist berechtigt, Archivgut, Reproduktionen von Archivgut sowie die dazugehörigen Erschließungsinformationen unter Wahrung der schutzwürdigen Belange Betroffener und Dritter weiterzugeben und zu veröffentlichen. Die §§ 8 bis 10 bleiben unberührt.
(2) Die oberste Aufsichtsbehörde kann im Einvernehmen mit der oder dem Hessischen Datenschutzbeauftragten gestatten, dass ein Archiv anderen Archiven oder Museen, Gedenkstätten, Dokumentationsstellen, Bibliotheken und Forschungsstellen Reproduktionen seines öffentlichen Archivguts sowie die dazugehörigen Erschließungsinformationen vor Ablauf der Schutzfristen überlässt, wenn daran ein besonderes öffentliches Interesse im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung besteht.
(3) Die Gestattung ist nur zulässig, wenn durch die empfangende Stelle sichergestellt wird, dass die Grundsätze der §§ 8 bis 10 entsprechend Anwendung finden.

TEIL 4 Staatliche Archivverwaltung

§ 12 Hessisches Landesarchiv

(1) Das Land unterhält für die Erfüllung aller staatlichen Archivaufgaben das Hessische Landesarchiv. Das für das Archivwesen zuständige Ministerium übt die Dienst- und Fachaufsicht über das Hessische Landesarchiv aus.
(2) Die vom Hessischen Landesarchiv zu erreichenden archivfachlichen Ziele werden zwischen dem für das Archivwesen zuständigen Ministerium und dem Hessischen Landesarchiv in einer Zielvereinbarung festgelegt.

§ 13 Aufgaben des Hessischen Landesarchivs

(1) Das Hessische Landesarchiv hat die Aufgabe, die archivwürdigen Unterlagen des Landes zu archivieren. Aufgaben der Archivierung werden von Personen wahrgenommen, die eine archivfachliche Ausbildung besitzen oder in sonstiger Weise fachlich geeignet sind.
(2) Das Hessische Landesarchiv berät die in § 2 Abs. 6 und 7 genannten Stellen im Rahmen seiner Zuständigkeit bei der Verwaltung und Sicherung ihrer Unterlagen im Hinblick auf die spätere Archivierung.
(3) Das Hessische Landesarchiv berät nichtstaatliche Archive bei der Archivierung nach Maßgabe dieses Gesetzes.
(4) Das Hessische Landesarchiv wirkt als Haus der Geschichte an der wissenschaftlichen Auswertung der von ihm aufbewahrten Unterlagen sowie an der Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Landes mit.
(5) Das Hessische Landesarchiv nimmt Aufgaben der Aus- und Fortbildung des archivarischen Fachpersonals wahr.
(6) Das Hessische Landesarchiv kann Verträge über die Archivierung von Unterlagen nicht anbietungspflichtiger Stellen im Namen des Landes abschließen.

TEIL 5 Kooperationspartner des Hessischen Landesarchivs

§ 14 Archivschule Marburg - Hochschule für Archivwissenschaft

(1) Das Land ist Träger der Archivschule Marburg - Hochschule für Archivwissenschaft (Archivschule). Sie ist ein Landesbetrieb nach § 26 der Hessischen Landeshaushaltsordnung vom 15. März 1999 (GVBl. I S. 248), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (GVBl. S. 338), im Geschäftsbereich des für das Archivwesen zuständigen Ministeriums.
(2) Die Archivschule hat die Aufgabe, Archivarinnen und Archivare des gehobenen und höheren Dienstes für Bund, Länder und andere Archivträger nach hessischem Recht auszubilden.
(3) Die Archivschule verleiht an ihre Studierenden aufgrund der Laufbahnprüfung in den Diplomstudiengängen auf Antrag einen Diplomgrad mit dem Zusatz „Fachhochschule (FH)“, in den Bachelorstudiengängen einen Bachelorgrad und in den Masterstudiengängen einen Mastergrad.
(4) Die Archivschule führt Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch und betreibt archivwissenschaftliche Forschung.
(5) Die Archivschule arbeitet mit dem Hessischen Landesarchiv auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung zusammen. Sie kann mit anderen Forschungs- und Bildungseinrichtungen des In- und Auslandes zusammenwirken und Vereinbarungen über Kooperationen abschließen.
(6) Die Qualität der Leistungen der Archivschule wird nach Maßgabe des für das Archivwesen zuständigen Ministeriums regelmäßig evaluiert.

§ 15 Hessisches Institut für Landesgeschichte

(1) Das Hessische Institut für Landesgeschichte mit Sitz in Marburg hat die Aufgabe, Grundlagen der hessischen Geschichte zu erschließen und im Kontext überregionaler Forschung wissenschaftlich zu vermitteln. Seine Arbeitsgebiete sind insbesondere der Hessische Städteatlas, das Historische Ortslexikon des Landes Hessen und das Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS). Das Hessische Institut für Landesgeschichte ermittelt historische Geobasisdaten und betreibt einen digitalen Kartendienst. Es gibt in eigener Zuständigkeit Schriften heraus. Die wissenschaftliche Qualität der Leistungen des Hessischen Instituts für Landesgeschichte wird nach Maßgabe des für das Archivwesen zuständigen Ministeriums regelmäßig evaluiert.
(2) Das Hessische Institut für Landesgeschichte arbeitet mit dem Hessischen Landesarchiv und der Philipps-Universität Marburg auf der Grundlage von Kooperationsvereinbarungen zusammen. Es kann mit anderen Forschungs- und Bildungseinrichtungen des In- und Auslandes zusammenwirken und Vereinbarungen über Kooperationen abschließen.

TEIL 6 Archivgut des Landtags, des Bundes, der Kommunen und sonstiger öffentlicher Stellen

§ 16 Archivgut des Landtags

(1) Der Hessische Landtag entscheidet, ob er seine Unterlagen selbst archiviert oder dem Hessischen Landesarchiv zur Übernahme anbietet.
(2) Sofern der Hessische Landtag ein eigenes Archiv unterhält, regelt er die Einzelheiten der Archivierung und Nutzung nach Maßgabe dieses Gesetzes.

§ 17 Archivgut des Bundes

Werden vom Hessischen Landesarchiv oder den hessischen Kommunalarchiven archivwürdige Unterlagen nachgeordneter Stellen des Bundes übernommen, so gelten sie als öffentliches Archivgut des Landes oder der Kommunen im Sinne dieses Gesetzes, soweit bundesrechtlich nichts anderes bestimmt ist. Für die Nutzung solcher Unterlagen gelten die Vorschriften des Bundesarchivgesetzes entsprechend.

§ 18 Archivgut der Kommunen

Die Träger der kommunalen Selbstverwaltung, deren Verbände sowie kommunale Stiftungen regeln die Archivierung ihrer Unterlagen in eigener Zuständigkeit nach Maßgabe dieses Gesetzes durch Satzung. Zu diesem Zweck unterhalten sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eigene oder gemeinschaftlich getragene öffentliche Archive.

§ 19 Archivgut sonstiger öffentlicher Stellen

(1) Die Hochschulen regeln die Archivierung ihrer Unterlagen in eigener Zuständigkeit in eigenen oder in gemeinschaftlich getragenen fachlich geleiteten öffentlichen Archiven nach Maßgabe dieses Gesetzes durch Satzung.
(2) Gleiches gilt für die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und ihre Vereinigungen sowie für die in § 2 Abs. 7 genannten Stellen, soweit sie eine ordnungsgemäße Archivierung ihrer Unterlagen sicherstellen können. Drohen Vernichtung oder Zersplitterung der archivwürdigen Unterlagen, sind die nicht mehr benötigten Unterlagen dieser Stellen dem Hessischen Landesarchiv anzubieten. In diesem Fall werden die archivwürdigen Unterlagen dieser Stellen zu staatlichem Archivgut.

TEIL 7 Regelungsbefugnisse

§ 20 Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen

(1) Die Landesregierung regelt durch Rechtsverordnung die Kostentragungspflicht
1.
für Unterlagen, die aufgrund von Rechtsvorschriften dauernd aufzubewahren sind und an das Hessische Landesarchiv abgegeben werden,
2.
für Zwischenarchivgut, das dem Hessischen Landesarchiv übergeben wird,
3.
für die Übernahme von archivwürdigen digitalen Unterlagen durch das Hessische Landesarchiv, sofern diese nicht vorab archivtauglich konvertiert und aufbereitet sind.
(2) Die für das Archivwesen zuständige Ministerin oder der zuständige Minister regelt durch Rechtsverordnung
1.
die Nutzung des Archivguts des Hessischen Landesarchivs, insbesondere das Verfahren, die Sorgfaltspflichten bei der Nutzung, die Ausleihe von Archivgut, die Herstellung von Reproduktionen und die Einräumung von Nutzungsrechten,
2.
die Organisation und Aufgaben der Archivschule.

TEIL 8 Schlussbestimmungen

§ 21 Aufhebung bisherigen Rechts

Das Hessische Archivgesetz vom 26. November 2012 (GVBl. S. 458)
1)
, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Oktober 2017 (GVBl. S. 294), wird aufgehoben.
Fußnoten
1)
Hebt auf FFN 76-13

§ 22 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Es tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2029 außer Kraft.
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