Richtlinien für das Wiederaufgreifen abgeschlossener Entschädigungsverfahren (im Anschluss an BVerfG, RzW 70, 160 Nr. 7) - Zweitverfahrensrichtlinien (ZVR) der Länder -
I. Allgemeine Grundsätze
Die Gewährung einer (weiteren) Entschädigung nach abgeschlossenem Verfahren setzt voraus, dass die frühere Entscheidung (Bescheid, Urteil, unechter Vergleich) bei heutiger - rechtlicher oder tatsächlicher – Beurteilung im Ergebnis offensichtlich fehlerhaft ist und ein Festhalten an ihr dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann. Die Gewährung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Entschädigungsbehörde.
II. Grundsätze für die Ausübung des Ermessens
Eine erneute Entscheidung zugunsten des Antragstellers kann ergehen, wenn
die frühere Entscheidung der damaligen Rechtslage nicht entsprach und auch der heutigen Rechtslage nicht entspricht oder
seit dem Ergehen der früheren Entscheidung sich die rechtliche Beurteilung des Anspruchs – insbesondere auf Grund einer höchstrichterlichen Rechtsprechung – oder die Entschädigungspraxis des betreffenden Landes geändert haben oder
seit dem Ergehen der früheren Entscheidung eine für die Beurteilung des Anspruchs günstigere erhebliche Änderung der Beweislage eingetreten ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn Restitutionsgründe im Sinne des § 580 Nr. 6, 7 ZPO vorliegen. Nicht ausreichend sind dagegen das Vorbringen von Beweismitteln, die bereits in der früheren Entscheidung gewürdigt worden sind oder die schon in dem früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können, sowie die Beibringung von Erklärungen bisher noch nicht benannter Zeugen.
Eine erneute Entscheidung kann nur zugunsten des Verfolgten selbst ergehen und im Falle seines Todes zugunsten des überlebenden Ehegatten und der Kinder des Verfolgten, nicht dagegen zugunsten ferner stehenden Erben; dabei ist es unerheblich, ob der Erbfall vor oder nach der früheren Entscheidung eingetreten ist.
Eine erneute Entscheidung zugunsten des Antragstellers erfolgt nicht, wenn
in der früheren Entscheidung der Entschädigungsanspruch wegen in der Person des Antragstellers liegender Umstände oder wegen des Verhaltens des Antragstellers oder seines Vertreters abgelehnt worden ist; hierzu zählen insbesondere Ablehnungen wegen Versäumung einer Frist des BEG oder des BEG-SchlußG, wegen Vorliegens von Ausschluss- oder Versagungsgründen, oder wegen unterbliebener zumutbarer Mitwirkung, sofern nicht hinsichtlich des Ablehnungsgrundes die Voraussetzungen der Nr. 1 vorliegen oder
der Antragsteller durch einen Antrag nach dem BEG-SchlußG eine Änderung der früheren Entscheidung herbeiführen konnte oder
der Antragsteller eine Änderung der früheren Entscheidung durch einen Antrag nach § 206 BEG herbeiführen konnte.
Bei der erneuten Entscheidung zugunsten des Antragstellers ist er in der Regel so zu stellen, wie er bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage hätte gestellt werden müssen; dabei ist Art. III Nr. 2 Abs. 4 BEG-SchlußG entsprechend anzuwenden.
Abweichend von Abs. 1 sollen wiederkehrende Leistungen erst ab 1. Januar 1970 gewährt werden; für zurückliegende Zeiten kann Entschädigung bis zur Höhe des fünffachen Jahresbetrages der auf den 1. Januar 1970 entfallenden wiederkehrenden Leistung zugebilligt werden. Bereits erbrachte Leistungen sollen angerechnet werden.
Ein Zinszuschlag zu der (weiteren) Entschädigung wird nicht gewährt.
Die vorstehenden Grundsätze schließen nicht aus, dass in Ausnahmefällen, in denen die besonderen Umstände es rechtfertigen, davon abgewichen werden kann.
III. Verfahren
Die Prüfung, ob eine erneute Entscheidung zugunsten des Antragstellers erfolgen kann, setzt voraus, dass ein entsprechendes Begehren an die zuständige Entschädigungsbehörde gerichtet wird. Das Begehren muss den Anspruch, auf den sich die Prüfung erstrecken soll, genau bezeichnen und die Gründe für die Notwendigkeit einer erneuten Entscheidung darlegen; globale Überprüfungsbegehren genügen nicht.
Das Überprüfungsbegehren ist innerhalb einer angemessenen Frist zu stellen und nach Nr. 1 zu substantiieren. Als angemessen gilt die Frist von einem Jahr; wohnt der Antragsteller im außereuropäischen Ausland, so gilt eine Frist von 18 Monaten als angemessen. Die Frist beginnt frühestens mit dem Ablauf des Monats, in dem diese Richtlinien in der „Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht “ (RzW) veröffentlicht werden. Treten die Gründe, auf die ein Überprüfungsbegehren gestützt wird, erst später ein, so beginnt die Frist mit deren Eintritt; im Falle einer auf neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung beruhenden Änderung der rechtlichen Beurteilung eines Anspruchs gilt als maßgebender Zeitpunkt die Veröffentlichung dieser Entscheidung in der „Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht “ (RzW). Entsprechendes gilt für Überprüfungsbegehren, die auf einer Änderung dieser Richtlinien beruhen.
Die Bearbeitung von Überprüfungsbegehren wird erst aufgenommen, wenn sich dadurch die Erledigung von Anträgen auf Grund des BEG und des BEG-SchlußG nicht verzögert.
Soweit nicht die Voraussetzungen der Ziff. II 1 d vorliegen, werden bei der erneuten Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegt, auf denen die frühere Entscheidung beruht.
Die Gewährung einer (weiteren) Entschädigung erfolgt durch Vergleich oder Bescheid. Darin wird die (weitere) Entschädigung in Ergänzung bzw. Abweichung von der – zu bezeichnenden – früheren Entscheidung gewährt; die Bestandskraft der früheren Entscheidung bleibt unberührt.
Wird keine (weitere) Entschädigung gewährt, so entscheidet die Entschädigungsbehörde durch Bescheid.
IV. Echte Vergleiche
Die vorstehenden Richtlinien gelten nicht für Verfahren, die durch echte Vergleiche abgeschlossen worden sind; deren Wiederaufgreifen richtet sich nach allgemeinen Rechtsvorschriften.
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