Vollzugshinweise zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Lebensmittel- und Veterinärrecht
Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz erlässt zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Lebensmittel- und Veterinärrecht folgende Vollzugshinweise:
1. Rechtsgrundlagen
1.1 Bundesrecht
– Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)
1.2 Landesrecht
– Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz (GDVG)
– Zuständigkeitsverordnung (ZustV)
2. Verfahren
2.1 Zuständigkeit
2.1.1
¹Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 37 OWiG. ²Auf die Zuständigkeit verschiedener Verwaltungsbehörden bei zusammenhängenden Ordnungswidrigkeiten wird hingewiesen (§ 38 OWiG).
2.1.2
Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG in Verbindung mit §§ 87 ff. ZustV.
2.1.3 Zuständige Behörde
¹Bei Zuständigkeit mehrerer Verwaltungsbehörden (§ 39 OWiG) ist die vorzuziehende Verfolgungsbehörde unverzüglich festzulegen. ²Dabei erscheint ebenso wie bei einer Vereinbarung nach § 39 Abs. 2 Satz 1 OWiG wegen § 19 Abs. 2 OWiG eine Übertragung an die Behörde sachdienlich, die für die mit der höchsten Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit zuständig ist. ³Ansonsten sollte der Schwerpunkt der Ordnungswidrigkeiten entscheidend sein. ⁴Sind innerhalb einer Verwaltungsbehörde mehrere Sachbereiche zuständig, soll auf die Übernahme durch eine Stelle unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze hingewirkt werden. ⁵Diese führt mit Unterstützung der anderen betroffenen Stellen das Verfahren durch und unterrichtet diese auch über den weiteren Verlauf des Verfahrens.
2.2 Allgemeines
2.2.1 Definitionen
¹Eine Ordnungswidrigkeit ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes (förmliches Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung) verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt (§ 1 Abs. 1 OWiG). ²Eine Straftat ist eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Strafe (Freiheitsstrafe, Geldstrafe) zulässt.
2.2.2 Abgabe an die Staatsanwaltschaft
¹Die Verwaltungsbehörde hat die Sache an die zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die zu verfolgende Tat eine Straftat ist (§ 41 Abs. 1 OWiG). ²Eine Sache ist im Hinblick auf § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG auch dann als Straftat zu behandeln und damit an die Staatsanwaltschaft abzugeben, wenn durch dieselbe Handlung (Tateinheit) oder durch mehrere Handlungen innerhalb eines einheitlichen Ereignisses (Verknüpfung mehrerer Handlungen in einem einheitlichen Lebensvorgang) sowohl der Tatbestand einer Straftat als auch einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht wird. ³Wird jedoch in diesen Fällen eine Strafe nicht verhängt, ist eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit möglich (§ 21 Abs. 2 OWiG). ⁴Bei Handlungen, die je nach den Umständen des Einzelfalles (insbesondere im Hinblick auf die Tatbegehung oder den subjektiven Tatbestand) als Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt werden können (Mischtatbestände), ist für die Abgabe regelmäßig ausreichend, wenn der objektive Tatbestand erfüllt ist und keine offensichtlichen sonstigen Gründe gegen eine Strafbarkeit sprechen. ⁵Der Umstand, inwieweit der Betroffene auf der subjektiven Ebene vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, unterliegt der vorrangigen Beurteilung durch die für die Verfolgung der Straftat zuständigen Staatsanwaltschaft. ⁶Typische Mischtatbestände finden sich zum Beispiel im Bereich des Lebensmittel- und Futtermittelrechts in den in § 60 Abs. 1 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) genannten Fällen, die bei vorsätzlicher Begehungsweise als Straftat und im Falle von Fahrlässigkeit gemäß § 60 Abs. 1 LFGB als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können. ⁷Sieht die Staatsanwaltschaft davon ab, ein Strafverfahren einzuleiten, so gibt sie die Sache an die Verwaltungsbehörde zurück (§ 41 Abs. 2 OWiG).
2.2.3 Fahrlässige Begehung
Eine Ahndung von Ordnungswidrigkeiten erfolgt bei Vorsatz, bei Fahrlässigkeit nur, wenn die fahrlässige Begehung ausdrücklich bewehrt ist.
2.2.4 Tateinheit oder Tatmehrheit
¹Verletzt dieselbe Handlung mehrere Gesetze, nach denen sie als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann, oder ein solches Gesetz mehrmals (Tateinheit), so wird nur eine einzige Geldbuße festgesetzt. ²Sind mehrere Gesetze verletzt, so wird die Geldbuße nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Geldbuße androht (§ 19 OWiG). ³Werden durch mehrere rechtlich selbstständige Handlungen mehrere Ordnungswidrigkeiten begangen (Tatmehrheit), so wird für jede eine Geldbuße gesondert festgesetzt (§ 20 OWiG).
2.2.5 Besondere Personengruppen
¹Handelt jemand für einen anderen (als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, als gesetzlicher Vertreter eines anderen oder als Beauftragter in einem Betrieb), sind die besonderen Bestimmungen des § 9 OWiG zu beachten. ²Gegen juristische Personen und Personenvereinigungen kann unter den Voraussetzungen des § 30 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden. ³Hinsichtlich des Tatbestands der Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen durch den Inhaber oder diesem gleichstehende Personen wird auf § 130 OWiG hingewiesen.
2.3 Opportunitätsermessen
¹Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde (§ 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG). ²Im Rahmen der Ermessenausübung sind stets sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wie zum Beispiel
– Bedeutung und Auswirkung der Tat
– Grad der Vorwerfbarkeit
– Wiederholungsgefahr (auch durch andere)
– Häufigkeit gleichartiger Verstöße
– Tätereinstellung zur Rechtsordnung
– Folgen der Tat für den Betroffen
– Nachtatverhalten.
³Ein Bußgeldverfahren
2.4 Verwarnung
¹Ist eine Ordnungswidrigkeit als geringfügig zu beurteilen, kann von der Durchführung eines Bußgeldverfahrens abgesehen und eine Verwarnung erteilt werden (§ 56 Abs. 1 OWiG). ²Dabei soll ein Verwarnungsgeld vorgesehen werden, wenn die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld unzureichend ist. ³Die Erfordernisse des § 56 Abs. 2 OWiG sind zu beachten (Einverständnis des Täters nach Belehrung; Zahlung des Verwarnungsgeldes sofort oder innerhalb einer bestimmten Frist, die eine Woche betragen soll).
2.5 Bußgeldbemessung
2.5.1 Höhe der Geldbuße
¹Gemäß § 17 Abs. 1 OWiG beträgt die Höhe der Geldbuße bei vorsätzlichem Handeln mindestens fünf Euro und höchstens 1 000 Euro, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt. ²Das Lebensmittel- und Veterinärrecht enthält jedoch regelmäßig spezielle Bestimmungen zur Höhe der Geldbuße (vergleiche zum Beispiel § 60 Abs. 5 LFGB, Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung, § 32 Abs. 3 Tiergesundheitsgesetz und andere). ³Die dort vorgesehenen Bußgeldrahmen sind im Regelfall deutlich höher als § 17 Abs. 1 OWiG. ⁴Gemäß § 17 Abs. 2 OWiG kann fahrlässiges Handeln im Höchstmaß nur mit der Hälfte des angedrohten Höchstbetrages der Geldbuße geahndet werden, wenn das Gesetz für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln Geldbuße androht, ohne im Höchstmaß zu unterscheiden (zum Beispiel § 60 Abs. 5 LFGB). ⁵Bei nicht geringfügigen, fahrlässigen Ordnungswidrigkeiten ist bei erstmaliger Begehung in der Regel eine
2.5.2 Kriterien
2.5.2.1 Bedeutung der Ordnungswidrigkeit (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG)
¹Im Vordergrund stehen hier die konkrete Tathandlung und die Auswirkungen der Tat. ²An dieser Stelle sind Umstände wie die Ausführung durch Unterlassen, Beteiligung und Versuch zu werten. ³Bußgelderhöhend wirkt beispielweise, wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsgutes nach den Umständen des Einzelfalles überdurchschnittlich hoch ist. ⁴Umgekehrt wirkt eine geringe Beeinträchtigung bußgeldermäßigend. ⁵Des Weiteren wirkt es bußgelderhöhend, wenn die Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs oder eines Gewerbes begangen wurde, sofern der Tatbestand auch ohne diesen Zusammenhang verwirklicht werden kann. ⁶Ebenfalls bußgelderhöhend wirkt es, wenn der rechtwidrige Zustand für einen gewissen Zeitraum vorwerfbar herbeigeführt wurde.
2.5.2.2 Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG)
¹Hierbei ist innerhalb der jeweiligen Schuldform abzustufen, in welchem Maße ein Verschulden vorliegt. ²Bei Vorsatz ist somit nach Absicht, Vorsatz oder bedingtem Vorsatz zu differenzieren. ³Hierbei sind Motiv und Ziel des Täters zu berücksichtigen. ⁴Bei Fahrlässigkeit ist zwischen grober Fahrlässigkeit, Fahrlässigkeit und leichter Fahrlässigkeit zu differenzieren. ⁵Weitere Aspekte sind zum Beispiel:
– Verhalten nach der Tat, insbesondere unverzügliche Beseitigung der Rechtsverstöße
– Reue
– Geständnis
– Vorliegen einer Zwangslage.
⁶Bußgelderhöhend wirkt es beispielsweise, wenn sich der Täter uneinsichtig zeigt. ⁷Umgekehrt wirkt es bußgeldermäßigend, wenn sich der Täter einsichtig zeigt und daher eine Wiederholung nicht zu befürchten ist.
2.5.2.3 Wirtschaftliche Verhältnisse des Täters (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG)
¹Im Rahmen der Bemessung der Höhe der Geldbuße kommen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters lediglich „in Betracht“, das heißt, sie sind gegenüber den Grundlagen für die Zumessung der Geldbuße (vergleiche Nr. 2.5.2.1 und 2.5.2.2) nur nachrangig zu berücksichtigen. ²Mit Blick auf die spezialpräventive Funktion der Geldbuße ist es geboten, diese so zu bemessen, dass sie den Täter spürbar trifft. ³So wirkt es bußgelderhöhend, wenn der Täter ersichtlich in überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.
2.5.2.4 Übersteigen des wirtschaftlichen Vorteils (§ 17 Abs. 4 OWiG)
¹
§ 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG sieht als weiteres, eigenständiges Zumessungskriterium vor, dass die Geldbuße so zu bemessen ist, dass sie den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigt. ²Hierfür kann gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG das gesetzliche Höchstmaß, das der jeweilige Bußgeldrahmen vorsieht, überschritten werden (Rechtsgedanke der Einziehung). ³Neben den ahndenden Teil der Geldbuße tritt also ein eigenständiger, abschöpfender Teil, dessen Höhe sich allein nach dem vom Täter gezogenen wirtschaftlichen Vorteil bestimmt. ⁴Dieses Zumessungskriterium bestimmt zugleich die Mindesthöhe des Bußgeldes (vergleiche Nr. 2.5.1).
3. Verfolgungsverjährung (§ 31 OWiG)
¹Die Verfolgungsverjährung ist abhängig vom Bußgeldrahmen und beträgt zwischen sechs Monaten und drei Jahren. ²Entscheidend für den Beginn der Verjährung sind die Beendigung der Handlung beziehungsweise der Eintritt des Erfolges. ³Die Pflicht zur unverzüglichen Information der Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1a LFGB bleibt hiervon unberührt.
4. Schlussbestimmungen
¹Diese Bekanntmachung tritt mit Wirkung vom 1. September 2021 in Kraft. ²Sie tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2026 außer Kraft.
Dr. Rüdiger Detsch
Ministerialdirektor
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