Reform der Kommunalverwaltungen; Experimentierklausel im Kommunalrecht
DE - Landesrecht Bayern

Reform der Kommunalverwaltungen; Experimentierklausel im Kommunalrecht

An
die Gemeinden
die Verwaltungsgemeinschaften
die Landkreise
die Bezirke
die Zweckverbände und
die sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die die Kommunalgesetze und die auf Grund dieser Gesetze erlassenen Verordnungen anwenden, sowie
die Rechtsaufsichtsbehörden

1.  Vorbemerkung

Die bayerischen Kommunen haben vielfältige Bemühungen aufgenommen, die kommunalen Steuerungsprozesse zu verbessern. Das gilt u. a. auf der organisatorischen Seite, wo eine größere Eigenverantwortlichkeit der ausführenden Stellen erreicht werden soll, vor allem aber im Haushalts- und Rechnungswesen, das eine höhere Wirtschaftlichkeit kommunalen Handelns ermöglichen und damit den Grund für Einsparungen und für Leistungsverbesserungen liefern soll. Zugleich soll mehr Transparenz und Bürgernähe erreicht werden.
Modellhaft beabsichtigte Vorhaben können an Grenzen des geltenden Rechts stoßen. Deshalb wurde in die Kommunalgesetze eine Experimentierklausel eingefügt, die Ausnahmegenehmigungen ermöglicht (vgl. Art. 117a GO, Art. 103 LKrO, Art. 99a BezO ‑ Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften vom 23. Juli 1994 ‑ GVBl S. 609). Die Klausel erstreckt sich auf die organisations- und haushaltsrechtlichen Vorschriften nicht nur der im Rahmen des Kommunalrechts erlassenen Rechtsverordnungen, sondern auch der Kommunalgesetze selbst. Damit ist einerseits Gewähr leistet, dass auch weiter gehende Reformziele angegangen werden können, während zum anderen der Gesetzgeber die Bereitschaft zur Unterstützung der Reformbemühungen unterstrichen hat. Die Experimentierklausel ist nicht anwendbar auf bundesrechtliche Vorschriften (insbesondere Beamtenrecht, Finanz- und Personalstatistiken) und das Recht der Europäischen Gemeinschaft. Aus dem Ziel der Vorschrift, die kommunale Selbstverwaltung weiterzuentwickeln, folgt, dass über Maßnahmen außerhalb dieses Kernbereichs der Verwaltung (wie z.B. Privatisierungen) ausschließlich im Rahmen der dafür geltenden Vorschriften zu entscheiden ist.
Dem Staatsministerium des Innern ist durchaus bewusst, dass man bei der Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme geltendes Recht verletzt oder nicht, unterschiedliche Auffassungen vertreten kann.
Das Staatsministerium des Innern kann an dieser Stelle nicht alle Auslegungsprobleme des geltenden Rechts lösen. Die Erfahrungen mit den Reformmaßnahmen werden Grenzfälle aufzeigen und entsprechende Konsequenzen ermöglichen (z.B. Rechtsänderungen, Klarstellungen für den Vollzug).
Das Staatsministerium des Innern bittet alle Beteiligten ‑ Kommunen wie Aufsichtsbehörden ‑, solche Grenzfälle aufzuzeigen und zum Nutzen für die spätere Auswertung der Reformmaßnahmen lieber eine bei anderer Auslegung nicht notwendige Ausnahmegenehmigung einzuholen als in Kauf zu nehmen, dass ein Problem nicht erkannt wird. Die Experimentierklausel soll Reformen rechtlich absichern, nicht aber verhindern oder inhaltlich unnötig lenken.
Nur so sind auch die erforderlichen Informationen zu erhalten, die wieder zur Verfügung gestellt werden sollen (s. Nr. 3).

2.  Ausnahmegenehmigung

Einzelne Kommunen erproben bereits jetzt konkrete Maßnahmen, die über das geltende Recht hinausgehen. Diese Aktivitäten wurden bisher von den Rechtsaufsichtsbehörden toleriert. Über die erforderlichen Genehmigungsanträge wird unter dem Gesichtspunkt entschieden, dass die Vorhaben auch weiterhin möglichst nicht behindert werden sollen.

2.1  Antrag und Verfahren

Die interessierte Kommune stellt beim Staatsministerium des Innern einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auf der Grundlage der Experimentierklausel. Dieser Antrag ist auf dem Dienstweg vorzulegen. Die Landratsämter und die Regierungen werden gebeten, jeweils kurzfristig eine Stellungnahme zu den Vorhaben abzugeben. Der Antrag sollte möglichst innerhalb von zehn Arbeitstagen von der Rechtsaufsichtsbehörde weitergeleitet werden. Die Rechtsaufsichtsbehörde wird gebeten, das überörtliche Prüfungsorgan zu informieren. Weitere erforderliche Beteiligungen veranlasst das Staatsministerium des Innern.
Die Ausnahmegenehmigung wird für die im Antrag dargestellten Maßnahmen (Ort, Umfang, Verwaltungsbereich) erteilt.

2.2  Antragsinhalt

Inhaltliche Beschreibung der Maßnahme(n)
Begründung der Maßnahme(n) im Sinne des Gesetzes (z.B. Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, Verbesserung der kommunalen Steuerungsprozesse, Erhöhung der Wirtschaftlichkeit kommunalen Handelns)
Zeitplanung
Die Reformmaßnahmen sollten als Projekt, d.h. in fest definierten Schritten im Rahmen einer Zeit- und ‑ wenn möglich ‑ auch Kostenplanung organisiert und umgesetzt werden. Andernfalls ist eine angemessene Realisierung und Zielkontrolle nicht immer Gewähr leistet. Ein Vorschlag zur Befristung (Nr. 2.3) wird empfohlen.
Ansprechpartner bei der Kommune (Name, Funktion, Anschrift, Telefon und Telefax)
Darstellung der konkreten Einzelmaßnahmen, durch die ohne Erteilung einer Ausnahmegenehmigung geltendes Recht verletzt würde (Angabe der betroffenen Rechtsvorschriften, vgl. hierzu Vorbemerkung)
Beschluss des zuständigen kommunalen Gremiums (falls dieser nach dem Umfang der Maßnahmen erforderlich ist)
Die Kommunen werden außerdem gebeten, ein Datenblatt auszufüllen und dem Antrag beizufügen (vgl. Einzelheiten unter Nr. 3).

2.3  Entscheidung

Ein Anspruch auf Genehmigung besteht nicht, jedoch sollen Modellvorhaben in breitem Umfang ermöglicht werden. Auch solche Vorhaben sind an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu messen; insbesondere müssen Aufwand und Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis stehen.
Nach einer Experimentierphase wird die Frage zu entscheiden sein, ob als Ergebnis kommunal- oder haushaltsrechtliche oder sonstige Vorschriften geändert werden müssen und in welchem Umfang. Ein einheitliches Haushaltsrecht ist im Interesse der Vergleichbarkeit längerfristig unabdingbar. Wir weisen deshalb ausdrücklich darauf hin, dass die dauernde rechtliche Zulässigkeit probeweise eingeführter Neugestaltungen nicht Gewähr leistet werden kann.

2.4 

Die Ausnahmegenehmigung wird befristet erteilt; Fristverlängerung ist zulässig. Die Dauer der Frist ist abhängig vom konkreten Projekt und der zu Grunde gelegten Zeitplanung.

2.5 

Daneben sind Bedingungen und Auflagen möglich, um den einheitlichen Vollzug und die Vergleichbarkeit des Kommunalrechts nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen.
Insbesondere kommen folgende Auflagen in Betracht:
Den Kommunen wird auferlegt, in geeigneten Zeiträumen dem Staatsministerium des Innern den Stand der Umsetzung der Reformmaßnahmen, die bisher gewonnenen Erfahrungen und die gegebenenfalls zu ziehenden Konsequenzen zu berichten. Dies kann zur Vermeidung zusätzlichen Verwaltungsaufwands z.B. anlässlich der Behandlung der Reformmaßnahmen durch das Kollegialorgan oder einen Ausschuss, oder anlässlich einer Präsentation gegenüber den Bürgern und/oder der Presse geschehen.
Es wird außerdem nachdrücklich darauf hingewiesen, die verfassungs-, bundes- und europarechtlichen Vorgaben zu beachten. Dies betrifft insbesondere die Anforderungen der Finanz- und Personalstatistik (Vollzug des Finanz- und Personalstatistikgesetzes - FPStatG vom 21. Dezember 1992 BGBl I S. 2119).
Nach dem Wortlaut des Gesetzes sollen die Ergebnisse der Erprobung für andere Kommunen nutzbar gemacht werden können. Das Staatsministerium des Innern behält sich deshalb vor, interessierte Kommunen vom Stand der Reformvorhaben in den „Experimentierkommunen “ zu informieren. Außerdem kann den betreffenden Kommunen auferlegt werden, andere interessierte Kommunen in angemessenem Umfang zu informieren.
Die Kommune wird gebeten, die Prüfungsorgane, insbesondere das überörtliche Prüfungsorgan von den Reformmaßnahmen zu unterrichten.

3.  Information

Das Staatsministerium des Innern unterstützt die Anstrengungen der Kommunen zur Verwaltungsreform. Dazu sind Kenntnisse über begonnene oder geplante Aktivitäten notwendig. Nur so kann ein Handlungsbedarf im Hinblick auf die Fortentwicklung des geltenden Rechts erkannt werden. Die Reformkommunen können dem Staatsministerium des Innern dabei helfen, indem sie über ihre Aktivitäten informieren. Um diese Daten in leicht auswertbarer standardisierter Form zu erfassen, wurde der in der
Die so gewonnenen Informationen sollten im Gegenzug den Kommunen zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch zur Verfügung gestellt werden. So werden Kenntnisse, die anderswo bereits gemacht wurden, bekannt und können genützt werden. Deshalb liegt es im Interesse der Kommunen, den Erhebungsbogen auszufüllen, damit das Staatsministerium des Innern eine möglichst vollständige Kenntnis der bei bayerischen Kommunen laufenden Reformvorhaben hat.
Diese Bitte richtet sich an alle Reformkommunen, unabhängig davon, ob deren Reformmaßnahmen sich innerhalb des geltenden Rechts bewegen oder eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist.
Die Rechtsaufsichtsbehörden werden gebeten, die Kommunen entsprechend zu beraten sowie Formulare für den Erhebungsbogen vorzuhalten und im Bedarfsfall zuzuleiten.

4.  Staatliche Mittel zur Förderung von Modellvorhaben

Vorbehaltlich der Beschlussfassung des Bayerischen Landtags über den Entwurf des Staatshaushalts 1995/96 stehen 1995 einmalig allerdings sehr begrenzte Mittel u. a. zur Förderung modellhafter Reformvorhaben zur Verfügung. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch nicht möglich, die Förderkriterien im Einzelnen festzulegen. Interessierte Kommunen werden gebeten, Förderwünsche bis zum 15. Oktober 1995 gegenüber dem Staatsministerium des Innern anzumelden. Aus den Unterlagen soll hervorgehen, für welche Maßnahmen, in welchem Umfang und aus welchem Grund staatliche Fördermittel beansprucht werden. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die geringe Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel lediglich eine voraussichtlich bescheidene, anteilige staatliche Förderung in einer geringen Anzahl von Fällen zulässt.
I. A.
Dr. Waltner
Ministerialdirektor
EAPl 940
GAPl 1512
AllMBl 1995 S. 611

Anlagen 

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