Naturwälder in Bayern gemäß Art. 12a Abs. 2 des Bayerischen Waldgesetzes (BayWaldG)
DE - Landesrecht Bayern

Naturwälder in Bayern gemäß Art. 12a Abs. 2 des Bayerischen Waldgesetzes (BayWaldG)

¹Die waldrechtliche Kategorie „Naturwaldfläche“ wurde mit dem Zweiten Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern vom 24. Juli 2019 (Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Versöhnungsgesetz) eingeführt. ²Waldflächen im Staatswald, die durch Rechtsverordnung, Bekanntmachung, Selbstverpflichtung oder aus sonstigen Gründen zum Teil schon frei von forstlicher Nutzung sind oder zum Aufbau des angestrebten grünen Netzwerks zusätzlich und neu dafür ausgewählt wurden, werden dauerhaft der natürlichen Waldentwicklung überlassen. ³Ihr gemeinsamer, verbindlicher Schutzstatus als grünes Netzwerk tritt mit dieser Bekanntmachung in Kraft. ⁴Die Naturwaldflächen – kurz „Naturwälder“ – dienen insbesondere dem Erhalt und der Verbesserung der Biodiversität. ⁵Gleichzeitig sollen sie den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit bieten, diese wilde Natur in Bayerns Wäldern aktiv zu erleben. ⁶Die Kombination aus Beidem prägt diese eigenständige Schutzkategorie des Bayerischen Waldgesetzes. ⁷Der gesetzliche Auftrag des Art. 12a Abs. 2 BayWaldG zum Aufbau eines grünen Netzwerks aus Naturwaldflächen ohne forstliche Nutzung richtet sich nur an den Staatswald. ⁸Die nachhaltige Waldbewirtschaftung trägt in allen Waldbesitzarten zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei (Art. 1 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 BayWaldG).

1.  Rechtliche Rahmenbedingungen

1.1 

Nach Art. 12a Abs. 2 des BayWaldG wird bis zum Jahr 2023 im Staatswald ein grünes Netzwerk eingerichtet, das zehn Prozent des Staatswaldes umfasst und aus naturnahen Wäldern mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität besteht (Naturwaldflächen).

1.2 

¹Für Flächen, die bereits durch andere Rechtsgrundlagen geschützt sind, gelten die dort getroffenen Schutzbestimmungen uneingeschränkt fort. ²So sind für die Nationalparke Bayerischer Wald und Berchtesgaden, das Biosphärenreservat Rhön, das Nationale Naturmonument Weltenburger Enge sowie die im Staatswald gelegenen Naturwaldreservate die entsprechenden Regelungen in der jeweils gültigen Fassung weiterhin zu beachten.

2.  Begriffe

Die Begriffe „Naturwaldfläche“ (Art. 12a Abs. 2 BayWaldG) und „Naturwald“ werden in dieser Bekanntmachung synonym verwendet.

3.  Ziele des grünen Netzwerks

Mit dem grünen Netzwerk (Naturwaldflächen) werden folgende Ziele verfolgt:

3.1 

Einen Beitrag zum Erhalt und zur Verbesserung der Biodiversität zu leisten,

3.2 

diese Flächen, wo es die natürlichen Voraussetzungen zulassen, für die Gesellschaft besonders erlebbar zu gestalten und

3.3 

Referenz für die Entwicklung naturnaher Wälder im Klimawandel ohne den Einfluss forstlicher Maßnahmen zu bieten.

4.  Anforderungen an das grüne Netzwerk

4.1 

¹Naturwaldflächen werden nur im Staatswald eingerichtet. ²Neben Flächen der Bayerischen Staatsforsten AöR (BaySF) können dies auch Flächen des sonstigen Staatswalds des Freistaats Bayern oder des Bundes sein.

4.2 

¹Als Naturwälder kommen naturnahe Wälder mit besonderer Bedeutung für die Biodiversität in Betracht. ²Insbesondere sollen am grünen Netzwerk beteiligt werden:
– Möglichst reife Wälder mit weitgehend naturnaher Baumartenzusammensetzung in für Bayern typischen Waldgesellschaften, einschließlich der prägenden Bergwälder aller Höhenzonen.
– Möglichst Wälder mit langer Habitattradition, besonderer Vernetzungsfunktion oder sonstiger naturschutzfachlicher Ausnahmestellung.

4.3 

Waldflächen ab einer Mindestgröße von 3 000 m² können zur Schaffung des grünen Netzwerks beitragen und können deshalb als Naturwaldflächen ausgewiesen werden.

4.4 

Als Naturwaldflächen sind nicht geeignet:
Flächen, die der dauerhaften Pflege bedürfen (z. B. stark kulturgeprägte Wälder und Schutzwald-Sanierungsflächen, auf denen Pflanz- und Verbauungsmaßnahmen erforderlich sind).

5.  Verfahren

5.1 

Nach Aufforderung durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) oder aus eigener Veranlassung schlagen die zuständigen staatlichen Verwaltungen bzw. die BaySF dem StMELF mögliche Naturwaldflächen oder Ergänzungen zu bestehenden Naturwaldflächen vor.

5.2 

Das StMELF prüft die Flächen auf ihre Eignung und entscheidet über die Aufnahme in das grüne Netzwerk.

5.3 

¹Die Einrichtung oder Erweiterung von Naturwaldflächen wird durch Aufnahme in das am StMELF geführte „Verzeichnis über das grüne Netzwerk der Naturwaldflächen“ vollzogen; sie sind über die Internetanwendung „BayernAtlas“ (https://v.bayern.de/wG33M) flächenscharf einsehbar. ²Eine Kartenübersicht der Flächenkulisse je Regierungsbezirk ist dieser Bekanntmachung in

6.  Naturwald-Entwicklungskonzepte

6.1 

Für die Naturwälder können Pläne (Naturwald-Entwicklungskonzepte) zur Unterstützung der unter Nr. 3 genannten Ziele erstellt werden.

6.2 

¹Die Pläne werden federführend von den Behörden der Bayerischen Forstverwaltung unter enger Einbindung der Waldbesitzenden erstellt. ²Die betroffenen Gemeinden, Träger öffentlicher Belange und berührten Verbände sind dabei möglichst zu beteiligen.

6.3 

Pläne, die auf anderer Rechtsgrundlage erstellt wurden und den Zielen der Nr. 3 dienen, können Pläne im Sinne der Nr. 6 ggf. ersetzen oder ergänzen.

7.  Folgen der Einrichtung von Naturwäldern (Management)

7.1  Bewirtschaftung und Holzentnahme

7.1.1 

Naturwälder werden forstwirtschaftlich nicht genutzt.

7.1.2 

¹Es finden keine Bewirtschaftung und keine Holzentnahme statt. ²Auch unterbleiben:
– Forstwirtschaftliche Nutzungen und Pflegemaßnahmen einschließlich der Aufarbeitung durch biotische bzw. abiotische Einwirkungen betroffener Bäume, sofern nicht der Schutz angrenzender Waldbestände dies erforderlich macht,
– jegliche aktive Maßnahmen zur Waldverjüngung,
– Maßnahmen zur Beeinflussung der Böden (z. B. Kalkung, Bodenbearbeitung) sowie der Tier- und Pflanzenwelt, insbesondere Gras-, Unkraut- sowie Schädlingsbekämpfung,
– die Instandhaltung von Entwässerungsgräben, sofern keine rechtliche Verpflichtung hierfür besteht (Maßnahmen des Wegeunterhalts sind hiervon nicht berührt).

7.2  Waldschutz

Notwendige Maßnahmen des Waldschutzes sind zulässig, insbesondere um ein Übergreifen von Schädlingen auf umliegende Wälder zu verhindern.

7.3  Verkehrssicherung, Hochwasserschutz

¹Notwendige Maßnahmen der Verkehrssicherung sind zulässig, insbesondere um die Erlebbarkeit dieser Flächen für die Bevölkerung sicherzustellen. ²Dies gilt auch für Maßnahmen, die dem Hochwasserschutz dienen.

7.4 

In Naturwäldern soll das ausnahmsweise bei Maßnahmen der Nrn. 7.2 und 7.3 eingeschlagene Holz auf der Fläche verbleiben, sofern dies zeitlich, logistisch oder prozessbedingt und ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist.

7.5  Erschließung und Befahrung

7.5.1 

Die Erschließung richtet sich vorrangig nach den Zielen der Nr. 3 und den notwendigen Leistungen des Gemeinwohls (z. B. Rettungswege, Waldbrandbekämpfung).

7.5.2 

Der Umgang mit vorhandener Erschließung richtet sich, soweit vorhanden, nach den Plänen der Nr. 6.

7.5.3 

Abseits von vorhandenen Forststraßen und -wegen, sowie Rückewegen und -gassen findet keine Befahrung statt.

7.6 

Naturwaldflächen unterliegen wie Naturwaldreservate einem erhöhten Schutz vor Rodungen (Art. 9 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 7 BayWaldG analog).

7.7  Jagd

7.7.1 

Zulässig ist die rechtmäßige Ausübung der Jagd.

7.7.2 

Im Staatswald ist sie vorbildlich im Sinne von Art. 18 BayWaldG sowie ggf. Art. 4 des Staatsforstengesetzes (StFoG) auszuüben, insbesondere ist die Entwicklung und Verjüngung naturnaher Wälder durch ein geeignetes Jagdmanagement sicherzustellen und in den betriebsbezogenen Jagdkonzepten zu verankern.

7.7.3 

Die Neuanlage von Wildwiesen, Wildfütterungen und Wildäckern unterbleibt.

7.8  Fischerei

Die fischereiliche Nutzung wird durch die Ausweisung als Naturwald nicht berührt.

7.9 

Die Ausübung bestehender Forstrechte sowie gesetzlicher und vertraglicher Rechte Dritter (z. B. Leitungsrechte) bleibt unberührt.

7.10 

Weitere Rechtspflichten, z. B. nach Natur- und Artenschutzrecht, bleiben unberührt.

8.  Ausnahmen

¹Ausnahmen von den Regelungen nach Nr. 7 sind zulässig, soweit und solange die unter Nr. 3 genannten Ziele des grünen Netzwerks dadurch nicht gefährdet werden. ²Davon erfasst sind insbesondere:

8.1 

Notwendige herstellende Maßnahmen zur Bereinigung eines durch menschliche Einwirkungen entstandenen naturwidrigen Zustandes auf der Basis eines abgestimmten Pflegeplans, um absehbare Waldschutzrisiken insbesondere für umliegende Waldbestände zu vermeiden, bis zehn Jahre nach Aufnahme in das Verzeichnis der Naturwaldflächen,

8.2 

im Ausnahmefall notwendige punktuelle oder lineare Pflegemaßnahmen zum Erhalt herausragender Schutzgüter als essenzieller Bestandteil der Biodiversität der Naturwälder (z. B. Flächen gemäß § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes – BNatSchG – oder Arten gemäß den Anhängen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – FFH-Richtlinie).

8.3 

Wissenschaftliche Untersuchungen im öffentlichen Interesse.

8.4 

Gewinnung von Saatgut und Pfropfreisern zur Erhaltung seltener und spezifischer forstlicher Genressourcen.

8.5 

Hochwasserschutzmaßnahmen, sofern sie mit den Zielbestimmungen der Nr. 3 vereinbar sind (z. B. Deichrückverlegungen, wasserbauliche Maßnahmen).

9.  Anzeigepflichten

¹In Naturwäldern, die größer als zehn Hektar sind, sind Maßnahmen nach den Nrn. 7.2 und 7.3 sowie 8.1, 8.2 und 8.5 dem örtlich zuständigen Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) vorab in Textform anzuzeigen. ²Eine vorgesehene Holzentnahme ist in der Anzeige zu begründen.

10.  Aufgaben der Waldbesitzenden und der Forstbehörden

10.1 

Die mittelfristige Forstbetriebsplanung (Forsteinrichtung) inklusive Fortführung der regelmäßigen Waldinventuren im Rahmen der Forsteinrichtung sollen von den Waldbesitzenden auch in Naturwäldern im bisherigen Umfang durchgeführt werden.

10.2 

¹Das zuständige AELF verschafft sich in Absprache mit den Waldbesitzenden regelmäßig einen Überblick über die Naturwälder. ²Auffällige Ereignisse und Beobachtungen werden der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) und in Kopie den Waldbesitzenden übermittelt.

11.  Forschung und Öffentlichkeitsarbeit

11.1 

Die LWF führt eine Datenbank über die in Naturwäldern erhobenen waldökologischen und waldkundlichen Daten und sammelt alle Unterlagen inklusive der Monitoring- und Forschungsergebnisse, soweit nicht andere Staatsverwaltungen diese Aufgabe aufgrund anderer Rechtsgrundlagen oder weiterer Vereinbarung erfüllen.

11.2 

In Naturwäldern findet regelmäßig und dauerhaft ein Monitoring zur Beobachtung der Entwicklung naturnaher Wälder im Klimawandel ohne den Einfluss forstlicher Maßnahmen statt.

11.3 

¹Die gewonnenen Ergebnisse sollen nutzbar gemacht und veröffentlicht werden. ²Ein Austausch zwischen der LWF, Forschungseinrichtungen anderer Staatsverwaltungen und den Waldbesitzenden über den aktuellen Stand der Forschungs- und Monitoringarbeiten sowie den Forschungsbedarf ist anzustreben. ³Veröffentlichungen sollen den betroffenen Waldbesitzenden zur Verfügung gestellt werden.

11.4 

Naturwälder sollen gezielt und regelmäßig für Maßnahmen zur Information der Bürgerinnen und Bürger, für die Erlebbarkeit der Flächen, für Zwecke der Waldpädagogik und die forstliche Aus- und Fortbildung genutzt werden.

12.  Untergang von Naturwaldflächen

12.1 

¹Störungen durch Stürme und dergleichen können Naturwälder verändern. ²Darauf wird kein Einfluss genommen, soweit hierdurch nicht notwendige Maßnahmen des Waldschutzes oder der Verkehrssicherung im Sinne des Art. 12a Abs. 1 Satz 3 BayWaldG erforderlich werden.

12.2 

Sollten jedoch, namentlich im Berg- und Schutzwald, z. B. in Folge des Klimawandels örtlich Situationen entstehen, die aus übergeordneten Gründen der Risikoabwehr eine Sanierung solcher Flächen unabdingbar notwendig machen, so kann das zur Unvereinbarkeit mit den Zielen und Anforderungen nach den Nrn. 3 und 4 führen und im seltenen Ausnahmefall die Aufgabe einer Naturwaldfläche ganz oder in Teilen nach sich ziehen.

12.3 

Die Entscheidung hierüber trifft das StMELF nach eingehender Prüfung und veranlasst ggf. die Löschung aus dem Verzeichnis der Naturwaldflächen.

12.4 

¹Um das grüne Netzwerk in seinem Umfang zu erhalten, ist ein geeigneter Flächenersatz angrenzend oder zumindest im gleichen Wuchsgebiet anzustreben. ²Dabei ist gemäß den Nrn. 5.1 bis 5.3 zu verfahren.

13.  Inkrafttreten

Diese Bekanntmachung tritt am 2. Dezember 2020 in Kraft.
Hubertus Wörner
Ministerialdirigent

Anlagen 

Anlage 1:
Anlage 2:
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