Mitwirkung der Gemeinde bei der Nachlasssicherung
Mit Bekanntmachung vom 18. Dezember 1902 (BayBSVI I S. 9) haben die Bayerischen Staatsministerien der Justiz und des Innern eine „Anweisung für die Mitwirkung der Gemeindebehörden bei der Sicherung eines Nachlasses“ veröffentlicht. Diese entspricht nicht mehr in allem der Rechtslage, nachdem die Aufgaben der Gemeinde bei der Nachlasssicherung in Art. 36 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes – AGGVG – (BayRS 300-1-1-J), geändert durch Gesetz vom 5. Juli 1986 (GVBl S. 99), gesetzlich geregelt worden sind. Im Übrigen erscheinen im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere ergänzende Hinweise zur Zulässigkeit der Gewaltanwendung und des Zutritts zu Räumen gegen den Willen des Wohnungsinhabers erforderlich.
Die o. a. Bekanntmachung wird deshalb im Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz aufgehoben und durch die nachfolgenden Hinweise ersetzt. Diese gelten auch für die Verwaltungsgemeinschaften.
1. Allgemeines; Voraussetzungen der Nachlasssicherung
1.1
Die Gemeinden wirken an der Sicherung des Nachlasses mit (§ 1960 Abs. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB –, Art. 36 Abs. 1 AGGVG). Diese Mitwirkung ist eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises.
1.2
Der Nachlass ist zu sichern, wenn
– der Erbe (Miterbe) unbekannt ist (z.B. weil unklar ist, ob eine – wirksame – Verfügung von Todes wegen vorliegt),
– die Erbschaft noch nicht angenommen ist, oder
– ungewiss ist, ob der Erbe (Miterbe) die Erbschaft angenommen hat.
Eine Nachlasssicherung findet nur statt, soweit ein Bedürfnis besteht. Maßgebend dafür ist das Interesse des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses. Ein Bedürfnis für die Nachlasssicherung wird in der Regel fehlen, wenn Miterben, Ehegatte, Eltern oder Abkömmlinge des Erblassers vorhanden sind, die den Nachlass zuverlässig verwalten, oder Nachlassverwaltung oder Testamentsvollstreckung besteht.
2. Mitwirkung der Gemeinde; Zuständigkeit, Kosten
2.1
Das Amtsgericht kann die Anlegung von Siegeln zur Sicherung eines Nachlasses, der sich nicht in der Gemeinde befindet, in der das zuständige Amtsgericht seinen Sitz hat (vgl. §§ 343, 344 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG –), sowie die Entsiegelung der Gemeinde übertragen.
2.2
In dringenden Fällen hat die Gemeinde von sich aus für die Siegelung des Nachlasses zu sorgen. Auch dies gilt jedoch nur, wenn das zuständige Gericht nicht seinen Sitz in dieser Gemeinde hat. Die getroffene Maßnahme ist sofort dem Amtsgericht, in dessen Bezirk das Sicherungsbedürfnis eingetreten ist, oder dem Nachlassgericht anzuzeigen (§§ 343, 344 Abs. 4 FamFG).
2.3
Die Nachlasssicherung ist im Regelfall eine „laufende Angelegenheit“ im Sinn von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung (GO), die vom ersten Bürgermeister in eigener Zuständigkeit zu erledigen ist. Jedenfalls wird es sich aber um ein „unaufschiebbares Geschäft“ handeln, so dass der erste Bürgermeister auch anstelle des Gemeinderats nach Art. 37 Abs. 3 GO tätig werden könnte.
2.4
Für Siegelungen und Entsiegelungen durch die Gemeinden sind Kosten nach dem Ersten Abschnitt des Kostengesetzes (KG) zu erheben. Dabei ist unter Berücksichtigung des Art. 6 des Kostengesetzes grundsätzlich eine Gebühr im Rahmen von 5 bis 250 € angemessen. Für die Siegelung und die nachfolgende Entsiegelung ist nur eine Gebühr zu berechnen; für die Höhe der Gebühr kann der gesamte Zeitaufwand berücksichtigt werden. Als Kostenschuldner ist der Erbe in Anspruch zu nehmen.
3. Anlegung von Siegeln
3.1
Siegel sind an die zum Nachlass gehörenden beweglichen Sachen anzulegen. Ausgenommen bleiben die zum täglichen Gebrauch der Mitbewohner und die zur Fortführung des Haushalts, des Geschäfts- oder Wirtschaftsbetriebs erforderlichen Gegenstände sowie Vorräte, ferner Tiere und die zur Versiegelung ungeeigneten Sachen (z.B. verderbliche Sachen).
3.2
Die versiegelten Sachen sind möglichst in verschließbaren Behältnissen oder Räumen, deren Weiterbenutzung nicht erforderlich ist, unterzubringen. Diese sind zu verschließen und mit dem Gemeindesiegel so zu versiegeln, dass sie ohne Verletzung des Verschlusses nicht geöffnet werden können. Wohnräume eines Verstorbenen sollen erst versiegelt werden, wenn sie gereinigt und – soweit nötig – desinfiziert sind.
Den Familienangehörigen des Erblassers, die zur Zeit des Todes des Erblassers in dessen Haushalt gelebt und von ihm Unterhalt erhalten haben, ist auf Verlangen die Benutzung der Wohnung und der Haushaltsgegenstände im Rahmen des § 1969 BGB zu gestatten.
3.3
Zur Anlegung des Siegels sollten eine oder mehrere Personen – möglichst aus dem Kreis der voraussichtlichen Erben oder der Verwandten des Erblassers – beigezogen werden. Die anwesenden Personen sind darauf hinzuweisen, dass das unbefugte Beschädigen, Ablösen oder Unkenntlichmachen eines Siegels strafbar ist.
3.4
Die Anlegung von Siegeln kann nicht mit Gewalt erzwungen werden.
3.5
Über die Anlegung des Siegels ist ein Protokoll aufzunehmen. Dieses hat insbesondere zu enthalten:
– die Angabe des Ortes und des Tages der Handlung sowie des Namens des die Siegelung Vornehmenden;
– die Angabe des Namens, des Berufs und des Wohnsitzes des Erblassers;
– die Bezeichnung der anwesenden Personen, die Darstellung des Verlaufs der Handlung, die Bezeichnung der Behältnisse und Räume, die versiegelt wurden, und ihren wesentlichen Inhalt;
– die Bezeichnung des Namens der bestellten Aufsichtsperson (Nummer 4);
– eine allgemeine Bezeichnung der nicht unter Siegel gelegten Sachen und der diesbezüglich getroffenen Maßnahmen;
– das Verzeichnis der vorgefundenen Gelder, Wertpapiere und Kostbarkeiten, die Angabe der den beteiligten überlassenen Geldsummen und das Empfangsbekenntnis (Nummer 5);
– die Feststellung, dass die Anwesenden auf die Unverletzlichkeit des Siegels und die strafrechtlichen Folgen der Verletzung des Siegels aufmerksam gemacht worden sind (Nummer 3.3).
Das Protokoll ist zu verlesen, von den anwesenden Beteiligten, der bestellten Aufsichtsperson sowie von der Person, welche die Siegelung vornimmt, zu unterschreiben und danach umgehend dem Amtsgericht zu übersenden.
4. Beaufsichtigung des Siegels
Die Beaufsichtigung des Siegels und der nicht unter Verschluss gebrachten Sachen ist einem im Hause wohnenden geeigneten Beteiligten oder einer anderen Person mit der Weisung zu übertragen, für deren Sicherung zu sorgen. Dieser Aufsichtsperson werden auch die Schlüssel zu den versiegelten Behältnissen und Räumen ausgehändigt, soweit sie nicht von der Gemeinde selbst in Verwahrung genommen werden.
5. Auffinden von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten; Testamente
5.1
Zum Nachlass gehörende Gelder, Wertpapiere oder Kostbarkeiten, die bei der Anlegung der Siegel vorgefunden werden, sind zu verzeichnen und dem zuständigen Amtsgericht zu übergeben. Für die Fortführung des Haushalts, des Geschäfts- oder Wirtschaftsbetriebs sowie zur Erfüllung dringender Nachlassverbindlichkeiten, namentlich zur Bestreitung der Beerdigungskosten, kann den Beteiligten eine bestimmte Geldsumme gegen ein schriftliches Empfangsbekenntnis überlassen werden mit der Verpflichtung, später mit dem Erben darüber abzurechnen.
5.2
Findet sich ein Testament, ein Erbvertrag, ein Ehe- und Erbvertrag oder ein Hinterlegungsschein über eine Verfügung von Todes wegen vor, so ist das Schriftstück unverzüglich dem zuständigen Amtsgericht zu übergeben; in das Protokoll ist hierüber ein kurzer Vermerk aufzunehmen.
6. Entsiegelung
6.1
Der Zeitpunkt der Entsiegelung ist den Beteiligten sowie der bestellten Aufsichtsperson, soweit es tunlich ist, bekannt zu geben.
6.2
Bei der Entsiegelung ist zu untersuchen, ob die Siegel noch vorhanden und unverletzt sind.
6.3
Über die Entsiegelung ist ein Protokoll aufzunehmen. In diesem ist der Befund der Siegel und der versiegelten Sachen sowie das Vorhandensein der Sachen, die nicht versiegelt wurden, festzustellen. Das Protokoll ist zu verlesen, von den anwesenden Beteiligten sowie von der Person, welche die Entsiegelung vornimmt, zu unterschreiben und danach dem zuständigen Amtsgericht zu übersenden.
7. Durchsuchung einer Wohnung gegen den Willen des Wohnungsinhabers
Eine Wohnung darf zum Zweck der Nachlasssicherung gegen den Willen des Wohnungsinhabers nicht durchsucht werden.
I. A.
Dr. Waltner
Ministerialdirektor
EAPl 104
GAPl 1415
AllMBl 1990 S. 428
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