Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen
Nachstehend werden in Ergänzung zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (KMBek vom 16. September 1994, KWMBl I S. 458) die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 1. Oktober 1999 beschlossenen Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Lernen bekannt gemacht:
1. Ziele und Aufgaben
1.1 Allgemeines
Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf im Bereich des Lern- und Leistungsverhaltens, insbesondere des schulischen Lernens, und des Umgehen-Könnens mit Beeinträchtigungen beim Lernen auf eine ihren individuellen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen. Sie soll die Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigungen darauf vorbereiten, erfolgreich und weitgehend selbstständig ihr Leben in Familie und Freizeit, in Gesellschaft und Staat, in Berufs- und Arbeitswelt, in Natur und Umwelt zu bewältigen.
Lernen als Entfaltung der eigenen Kräfte sowie als Aneignung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten vollzieht sich im Austausch des Individuums mit seiner Umwelt. In diesem Wechselwirkungsprozess stehen dem Lernenden seine vielfältigen Dispositionen zur Verfügung, um das Wissen und Können zu erweitern und Lernstrategien und Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Lernen mit dem Ziel der selbstständigen und entwicklungsfördernden Auseinandersetzung des Einzelnen mit sich und seiner Umwelt setzt Ganzheitlichkeit der Inhalte sowie Strukturiertheit der Lernformen und Lernverläufe voraus. Intensität und Effektivität des Entwicklungs- und Aneignungsprozesses werden durch Aktivität und Selbstbestimmtheit des Lernenden positiv beeinflusst und es werden die Handlungskompetenzen im Sinne einer bestmöglichen Persönlichkeitsentwicklung erweitert. Lernprozesse verlaufen bei den Kindern und Jugendlichen nicht einheitlich; sie unterliegen einer Vielzahl von förderlichen und hemmenden Bedingungen.
Bei Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen des Lernens ist die Beziehung zwischen Individuum und Umwelt dauerhaft bzw. zeitweilig so erschwert, dass sie die Ziele und Inhalte der Lehrpläne der allgemeinen Schule nicht oder nur ansatzweise erreichen können. Diesen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern muss Hilfe durch Angebote im Förderschwerpunkt Lernen zuteil werden.
Sonderpädagogische Förderung im Bereich des Förderschwerpunkts Lernen orientiert sich grundsätzlich an den Bildungs- und Erziehungszielen der allgemeinen Schule und erfüllt Bildungsaufgaben, die sich aus der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen des Lernens ergeben. Sie fördert durch geeignete und strukturierte Lernsituationen vor allem Denkprozesse, sprachliches Handeln, den Erwerb von altersentsprechendem Wissen, emotionale und soziale Stabilität sowie Handlungskompetenz.
Sonderpädagogische Förderung unterstützt und begleitet die Schülerinnen und Schüler durch möglichst frühzeitig einsetzende Hilfen. Dabei gilt es, soziokulturell bedingte Benachteiligungen und soziale Randständigkeit zu berücksichtigen sowie psychosoziale Verletzungen zu beachten. Auswirkungen von Beeinträchtigungen vor allem in den grundlegenden Bereichen der Lernentwicklung wie Denken, Gedächtnis, sprachliches Handeln, Wahrnehmung, Motorik, Emotionalität und Interaktion werden gemindert und durch Förderung individueller Stärken kompensiert.
Sonderpädagogische Förderung hilft den Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern durch Beratung, Begleitung und Anleitung bei der alltäglichen Lebensgestaltung, der Berufsorientierung und der Berufsfindung. Sie ist bestrebt, Interesse zu wecken, individuelle Lernwege zu erschließen und Aneignungsweisen von Bildungsinhalten aufzubauen. Über die Vermittlung von Lernerfolgen werden Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigungen gestärkt. Sonderpädagogische Förderung im Bereich des Förderschwerpunkts Lernen hat darüber hinaus die Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern eine sachliche und realistische Einschätzung ihrer individuellen Stärken und Schwächen, ihrer Wünsche und Vorstellungen zu ermöglichen.
1.2 Pädagogische Ausgangslage
Die pädagogische Ausgangslage von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen des Lern- und Leistungsverhaltens, insbesondere des schulischen Lernens, stellt sich vielfach in Verbindung mit Beeinträchtigungen der motorischen, sensorischen, kognitiven, sprachlichen sowie sozialen und emotionalen Fähigkeiten dar. Diese können unmittelbare Auswirkungen auf alle grundlegenden Entwicklungsbereiche haben und zeigen sich vor allem
– in der Grob- und Feinmotorik,
– in Wahrnehmungs- und Differenzierungsleistungen,
– in der Aufmerksamkeit,
– in der Entwicklung von Lernstrategien,
– in der Aneignung von Bildungsinhalten,
– in Transferleistungen,
– im sprachlichen Handeln,
– in der Motivation,
– im sozialen Handeln,
– im Aufbau von Selbstwertgefühl und einer realistischen Selbsteinschätzung.
Beeinträchtigungen in den genannten Entwicklungsbereichen haben wiederum Auswirkungen auf Denken, Orientierungsfähigkeiten sowie Einstellungen und Haltungen. Hierbei werden Ausmaß und Folgen einer Lernbeeinträchtigung insbesondere vom soziokulturellen Umfeld, von der Einstellung und dem Verhalten von Bezugspersonen, vor allem von Familienmitgliedern, beeinflusst.
Sonderpädagogische Förderung orientiert sich an der individuellen und sozialen Situation des Kindes und des Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigungen. Sie bezieht ein, dass zur Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen des Lernens Jungen häufiger zählen als Mädchen. Sie schließt die Vorbereitung auf spätere Lebenssituationen ein durch die Anbahnung von Kontakten zu Personen, Gruppen und Einrichtungen, die eine Teilnahme am Leben außerhalb von Schule und über die Schulzeit hinaus ermöglichen. Somit hat sie auch die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen auf ein Leben unter erschwerten Bedingungen auf die Alltagsbewältigung in Familie und Freizeit, in Gesellschaft und Staat, in Beruf und Arbeitswelt, in Natur und Umwelt vorzubereiten und dazu beizutragen, dass gegebenenfalls notwendige Begleitaufgaben durch andere Maßnahmeträger erfüllt werden.
2. Sonderpädagogischer Förderbedarf
Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen gegeben, die in ihrer Lern- und Leistungsentwicklung so erheblichen Beeinträchtigungen unterliegen, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden können. Sie benötigen sonderpädagogische Unterstützung, um unter den gegebenen Voraussetzungen eine bestmögliche Förderung zu erfahren und eine entsprechende Bildung zu erwerben. Dabei können sozialpädagogische, psychologische und medizinisch-therapeutische Hilfen außerschulischer Maßnahmeträger notwendig sein, die einer sorgfältigen Abstimmung mit der sonderpädagogischen Förderung bedürfen. Förderpläne und gegebenenfalls Hilfepläne, die auf der Grundlage des Jugendhilferechts erstellt werden, sind ebenso aufeinander abzustimmen.
Die Ausprägung der Lernbeeinträchtigungen, der Verlauf und die Ergebnisse der bisherigen Förderung, die Bedingungen im sozialen Umfeld, Auffälligkeiten im sensorischen. motorischen und sprachlichen Bereich und im Verhalten sowie konstitutionelle Besonderheiten bestimmen den individuellen Förderbedarf der Kinder und Jugendlichen.
Mit der Bestimmung und Beschreibung des individuellen Sonderpädagogischen Förderbedarfs ist ein komplexes Verständnis von Lernbeeinträchtigungen verbunden, die möglicherweise über einen längeren Zeitraum wirksam sind. Bei der Förderung im vorschulischen Bereich, in der Schule und in der Berufsausbildung können sich die Beeinträchtigungen des Lernens in Ausprägung und Intensität unterschiedlich darstellen.
Bei Kindern und Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf kommt es wesentlich darauf an, Voraussetzungen zum altersgemäßen Lernen und Handeln zu schaffen und dabei das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Hierdurch können sich Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit entwickeln. Bei wirklichkeitsnahen und lebensorientierten Aufgaben können sich die Kinder und Jugendlichen handelnd und selbstbestimmt einbringen.
Sonderpädagogische Förderung orientiert sich an Fähigkeiten und Erfahrungen, an Interessen, Neigungen und Wünschen, an Sorgen und Nöten dieser Kinder und Jugendlichen. Für sie muss Schule ein Lebens-, Lern- und Handlungsraum sein, in dem sie eigene Aktivitäten entwickeln, Aufgaben lösen, Konflikte verarbeiten sowie Erfahrungen und Anregungen aufnehmen, weiterführen und auf neue Ziele hinlenken können. Diese Kinder und Jugendlichen sind in der schulischen Förderung einerseits angewiesen auf Geborgenheit und Sicherheit, Zuwendung und Wärme, Anerkennung und Vertrauen, um Selbstwertgefühl und Leistungskraft entfalten zu können; sie benötigen andererseits Normen und Strukturen zu ihrer Orientierung sowie Regeln für Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft. So können sie schulische Aufgaben für die Gemeinschaft und Mitverantwortung für das Schulleben übernehmen.
Eine auf diese Grundlagen bezogene sonderpädagogische Förderung unterstützt den Austausch von Erfahrungen zwischen Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern. Dies bietet Möglichkeiten zu Beratung und Anleitung und zu konkreten Hilfen für alle, die in das Schulleben einbezogen sind.
Die Schülerinnen und Schüler müssen in besonderer Weise darauf vorbereitet werden, dass soziale und berufliche Integration ständig eigener Anstrengungen und Umorientierungen bedarf. Dabei sind auch mögliche Misserfolgserlebnisse zu bewältigen und ihre Ursachen zu klären.
3. Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs
Die Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von Eltern, Schulen und gegebenenfalls von anderen zuständigen Diensten beantragt werden.
Sonderpädagogischer Förderbedarf wird im Rahmen einer interdisziplinären Verlaufsdiagnostik ermittelt, die an förder- und entwicklungsdiagnostischen Kriterien orientiert ist. Die Feststellung Sonderpädagischen Förderbedarfs umfasst die Analyse der Person-Umfeld-Bedingungen, die Ermittlung des individuellen Entwicklungsstandes und der Lernausgangslage sowie eine Empfehlung zur Entscheidung über den notwendigen Förderumfang und den entsprechenden Lernort. Eine Feststellung Sonderpädagogischen Förderbedarfs findet in der Verantwortung von Schule und Schulaufsicht statt, die entweder selbst über eine auf den Förderschwerpunkt Lernen bezogene sonderpädagogische Kompetenz verfügen bzw. fachkundige Beratung hinzuziehen.
3.1 Ermittlung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs
Bei der Ermittlung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs sind die diagnostischen Fragestellungen auf ein qualitatives und quantitatives Profil der Fördermaßnahmen gerichtet, das Grundlage für die Förderung und die angestrebte Empfehlung zur Schullaufbahn ist. Es sind Art und Umfang des Förderbedarfs durch hierfür qualifizierte Sonderschullehrkräfte zu beurteilen; darüber hinaus sind die im konkreten Einzelfall gegebenen und organisierbaren Formen der Förderung und ihre Rahmenbedingungen in der Schule abzuklären, welche die Schülerin oder der Schüler besucht oder besuchen soll. Die Ermittlung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs geschieht unter Mitwirkung aller Beteiligten und bezieht soweit erforderlich eine medizinische und psychologische Diagnostik ein.
In der Person-Umfeld-Analyse werden das schulische und das weitere soziale Umfeld sowie dessen Wirkungen und Veränderungsmöglichkeiten aufgezeigt. Es bedarf der Darstellung des bisherigen Entwicklungsverlaufs sowie der Erfassung des aktuellen Entwicklungsstands in Bezug auf Kognition, Sensorik, Motorik, Sprache und Kommunikation, Emotionalität und Sozialkompetenz sowie Lern- und Leistungsverhalten. Schließlich sind der sozialpädagogische und der therapeutische Bedarf im sprachlichen und sozialen Handeln zu prüfen. Hierfür werden gegebenenfalls andere Maßnahmeträger einbezogen.
Unerlässlich sind in diesem Zusammenhang Gespräche mit den Eltern und mit dem bisherigen Erziehungs- und Lehrpersonal der Kinder und Jugendlichen. Bewährt haben sich eine Analyse von Schülerarbeiten sowie Beobachtungen im Unterricht und in außerunterrichtlichen Situationen im Hinblick auf das Leistungs- und Sozialverhalten. Informelle und standardisierte Verfahren geben wichtige Informationen zum Entwicklungs-, Lern- und Leistungsstand.
Hierbei werden Informationen, sofern sie für die schulische Förderung bedeutsam sind, vor allem zu folgenden Bereichen erhoben:
– allgemeiner Entwicklungs- und Lernverlauf,
– bisherige Förderungs- und Unterstützungsangebote,
– aktueller schulischer Leistungsstand,
– Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsverarbeitung,
– Seh-, Hör- und Sprachvermögen,
– kognitive Fähigkeiten und praktische Fertigkeiten,
– Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten,
– Erleben und Verhalten, Handlungskompetenzen und Aneignungsweisen,
– soziale Einbindung,
– individuelle Erziehungs- und Lebensumstände,
– Selbstständigkeit, Selbstwertgefühl, Emotionalität,
– Erkrankungen und deren Folgen,
– schulische und berufliche Perspektiven.
Die erhobenen Daten und gewonnenen Erkenntnisse werden unter Beachtung von Stellungnahmen aller am Verfahrensprozess Beteiligten von einer im Förderschwerpunkt sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkraft bewertet und in einem Gutachten mit einer Empfehlung zur Entscheidung über notwendige Fördermaßnahmen zusammengefasst. Die Ergebnisse des Gutachtens bilden die Grundlage für einen fortzuschreibenden individuellen Förderplan.
3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort
Die sonderpädagogische Förderung erfolgt in allgemeinen Schulen, in Sonderschulen und im Rahmen der Arbeit Sonderpädagogischer Förderzentren. Auf der Grundlage der Empfehlungen und unter Beteiligung der Eltern
Bei dieser Entscheidung können auch Einrichtungen mit ergänzenden Betreuungs- oder Ganztagsangeboten in Anspruch genommen werden. Diese sind im Vorfeld einer Entscheidung der Schulbehörde in Abstimmung mit den Eltern und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Maßnahmeträgern, z.B. Schulträgern und Trägern der Sozialhilfe und Jugendhilfe, zu prüfen.
Für Schülerinnen und Schüler, die sonderpädagogischer Förderung in weiteren Schwerpunkten bedürfen, ist den Empfehlungen zu den entsprechenden Förderschwerpunkten Rechnung zu tragen.
Bei jeder einzelnen Entscheidung sind zu beachten:
– Umfang des Sonderpädagogischen Förderbedarfs,
– Stellungnahme der Eltern, gegebenenfalls beratender Gremien, Fördermöglichkeiten an allgemeinen Schulen und anderen Lernorten,
– Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals einschließlich ambulanter sonderpädagogischer Dienste,
– Bereitstellung spezieller Lehr- und Lernmittel,
– Stellungnahme der Maßnahmeträger.
Unter Berücksichtigung der Auswirkungen einer Lernbeeinträchtigung ist derjenige Lernort zu wählen, der auf bestmögliche Weise dem Förderbedarf des Kindes und Jugendlichen sowie seiner Sozial- und Persönlichkeitsentwicklung gerecht wird und auf die gesellschaftliche Eingliederung sowie auf Berufs- und Arbeitsanforderungen vorbereiten kann. Alle Entscheidungen über den individuellen Förderbedarf erfordern eine Überprüfung in geeigneten Zeitabständen.
4. Erziehung und Unterricht
Ziele und Inhalte von Erziehung und Unterricht richten sich nach der Lernausgangslage der Schülerinnen und Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf. Dabei sind Erziehung und Unterricht als Einheit zu betrachten. Dies gilt grundsätzlich für alle Lernorte.
Die Kinder und Jugendlichen mit ihren Fähigkeiten und Neigungen, mit ihren Bedürfnissen nach Geborgenheit und Schutz, nach Anerkennung, Selbsttätigkeit und Bewegung sowie dem Bedürfnis, etwas zu leisten, sollen in konkrete Lern- und Lebenssituationen geführt werden und sich als handelnde Personen erleben. Erziehung und Unterricht bilden eine wesentliche Grundlage für die Persönlichkeitsentwicklung, vor allem in den Bereichen des Verhaltens, des Denkens und der Sprache.
Ziel aller erzieherischen und unterrichtlichen Bemühungen ist es, dass sich die Schülerinnen und Schüler zu handlungsfähigen, selbstständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten entwickeln. Erziehung und Unterricht stärken die Kinder und Jugendlichen in Kommunikation und Interaktion. Darüber hinaus helfen sie bei der Entfaltung einer Grundhaltung, die von Selbstachtung, Solidarität, Hilfsbereitschaft, Verantwortung, gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme getragen ist. Erziehung und Unterricht berücksichtigen die aktuelle Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler.
Erziehung und Unterricht schließen auch die Auseinandersetzung des Kindes und Jugendlichen mit seiner Beeinträchtigung und den Reaktionen der Umwelt auf diese ein. Sie sind ausgerichtet auf die Entwicklung eines wirklichkeitsbezogenen Selbstbildes, auf die Stärkung des Selbstwertgefühls, auf die Festigung der Persönlichkeit durch Aufbau kompensatorischer Fähigkeiten sowie auf die Verwirklichung der Fähigkeit, eigene Interessen in angemessener Weise zu vertreten und Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.
In Erziehung und Unterricht werden Zusammenhänge hergestellt, in denen die Kinder und Jugendlichen sich ihrer Lernfähigkeiten, Interessen und Neigungen bewusst werden und dafür Anerkennung erlangen. Die Erfahrung, sich mit den eigenen Motiven, Fragen und Zielvorstellungen als handelnde Personen zu erleben, hilft Misserfolge zu überwinden und Identität zu finden. Deshalb sind Schulen, in denen Kinder und Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen unterrichtet werden, zu Lebens-, Lern- und Handlungsräumen auszugestalten. Sie sollen als Orte der Begegnung zwischen Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern und Personen im weiteren Umfeld begriffen werden, wo lebendige und wirklichkeitsnahe Erfahrungen für umfassende persönlichkeitsbildende Prozesse und für eine individuelle Förderung erlebt und angenommen werden können. Schule schafft auf diese Weise ein förderliches Lernklima. Sie erzieht zu einem gewaltfreien und friedlichen Miteinander, zu Akzeptanz für Schwächere, Rücksichtnahme sowie Achtung vor dem Mitmenschen. Schule ist für Schülerinnen und Schüler auch ein Lern- und Lebensraum, der für die Entwicklung von Leistungszutrauen genutzt wird.
Der Unterricht im Förderschwerpunkt Lernen geht von den Bildungszielen und Lerninhalten der allgemeinen Schule aus. Diese Ziele und Inhalte des Unterrichts werden mit Blick auf die Lernvoraussetzungen und den Sonderpädagogischen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler modifiziert. Einem differenzierten Lern- und Unterrichtsangebot wird in einem Bildungsgang mit entsprechend modifizierten und eigenständigen Richtlinien und Lehrplänen entsprochen.
Didaktik und Methodik berücksichtigen die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten, beziehen Leistungsbereitschaft, Erfahrungen, Interessen und Neigungen der einzelnen Schülerin oder des einzelnen Schülers in der Lerngruppe ein und orientieren sich an deren Lebenswelt. Binnendifferenzierung und Individualisierung haben einen angemessenen Stellenwert. In einem Förderplan werden die unterrichtlichen Maßnahmen und gegebenenfalls Hilfen anderer Maßnahmeträger aufeinander abgestimmt. Ausgehend von diesen Lernvoraussetzungen ermöglicht ein handlungsorientierter und fachübergreifender Unterricht den Kindern und Jugendlichen die aktive Auseinandersetzung mit Lerngegenständen und kann Interesse und Neugier für das Lernen wecken.
Mit dem Ziel, dass die Schülerinnen und Schüler erworbenes Wissen und Können auf neue Anwendungsbereiche übertragen können, ist einem didaktischen und methodischen Vorgehen, bei dem die Schülerinnen und Schüler selbst Problemlösungen durch eigenes Tun und sprachliches Handeln finden, Vorrang einzuräumen.
Die Aneignung von Wissen und Können wird durch vielfältige Formen des Übens verstärkt und gesichert. Geeignete Übungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Neugierde wecken und die Aktivität der Schülerinnen und Schüler anregen. Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Einzelarbeit und Freiarbeit unterstützen diesen Prozess.
Der Unterricht berücksichtigt entwicklungshemmende Gegebenheiten bei den Kindern und Jugendlichen und die zum Teil auf Grund von Misserfolgen bestehenden Abneigungen gegenüber schulischem Lernen. Durch erfolgreiches Lernen wird das Selbstvertrauen gestärkt und die Anstrengungsbereitschaft angeregt.
Kinder und Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen benötigen Lerngruppen, in denen ihre individuellen Lernbedürfnisse Berücksichtigung finden können. Eine anregende Klassenraum- und Schulhausgestaltung sowie Lernatmosphäre fördern aktives Lernen, die Kommunikation und Interaktion von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern im Sinne einer lernenden Gemeinschaft. Sonderpädagogische Förderung muss dabei in einem ausgewogenen Verhältnis von Individualisierung und Unterricht in einer Lerngruppe gestaltet werden.
Grundlage für die Lernorganisation bilden fachgebundenes und kursbezogenes Vorgehen im Unterricht wie auch fachübergreifende Planung in Verbindung mit Sprachförderung und Sozialerziehung am Lernort Schule und in außerschulischen Situationen. Die diagnostischen, erzieherischen und didaktischen Aufgabenstellungen im Förderschwerpunkt Lernen erfordern eine stetige Kooperation zwischen den Lehrkräften. Dabei können die Bildung von Lehrerteams und Teamberatung jahrgangsbezogen oder jahrgangsübergreifend hilfreich sein. Bei der Zusammenarbeit geht es um eine gemeinsame Bewertung der begleitdiagnostischen Daten von Schülerinnen und Schülern, eine gemeinsame Unterrichtsplanung und einen Austausch von didaktischen Materialien. Teamarbeit der Lehrkräfte wirkt modellhaft auf die Arbeitsstrukturen der Schülergruppen und erweitert die fachliche Kompetenz dieser Lehrkräfte.
Vorrangiges Ziel ist die Entwicklung von Unterrichtsformen, die einen lebensnahen, altersgemäßen und förderspezifischen Umgang mit Unterrichtsgegenständen zulassen und die helfen, Voraussetzungen des Wissenserwerbs von lernbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen zu erschließen. Erziehung und Unterricht bilden eine Einheit, welche die motorische, kognitive, soziale und emotionale Entwicklung sowie das sprachliche Handeln fördert. Hierbei verlangt das Wahrnehmungs- und Auffassungsvermögen der Schülerinnen und Schüler eine individuelle Unterstützung des Lernprozesses. Dies geschieht durch die Anregung und Entwicklung aller Sinne und einen variablen sowie vielgestaltigen Medieneinsatz. Eine originäre und unmittelbare Auseinandersetzung mit Sachfragen in unterschiedlichen Lernsituationen und an unterschiedlichen Lernorten trägt wesentlich zum Erkenntnisprozess bei. Die neuen Medien eröffnen vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten.
Handlungsorientierter Unterricht fördert in besonderer Weise das Entdecken von Zusammenhängen und das Übertragen auf neue Situationen und führt in Techniken selbstständiger Lernorganisation ein. Unterricht, der das Erkennen und Durchdringen von Sachzusammenhängen durch die Schülerinnen und Schüler anstrebt, setzt an ihren Erfahrungen an und berücksichtigt ihre aktuellen und zu erwartenden Lebenssituationen.
Verlangsamte und erschwerte Lernprozesse erfordern, dass das zu Lernende veranschaulicht, gegliedert, sprachlich gefasst und angewendet wird. Darüber hinaus wird im Unterricht ein ausgewogener Wechsel von Anspannung und Entspannung, von Konzentrations- und Ruhephasen beachtet.
Für die ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat auch die Motorik eine zentrale Bedeutung. Bewegung im Unterricht, rhythmisch-musikalische Erziehung und das Unterrichtsfach Sport erweisen sich im Schulleben als wichtige Erfahrungsfelder sozialen und selbstverantworteten Handelns. Sie sind unverzichtbar für die motorische, psychomotorische und psychosoziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, auch im Sinne einer Prävention drohender oder vorhandener Entwicklungsstörungen, Leistungsschwächen und Verhaltensauffälligkeiten.
Darüber hinaus können Bewegungsimpulse und -möglichkeiten, die sich aus dem Unterricht ergeben, Anreize bieten, eigene Erfahrungen zu sammeln, neue Bewegungsabläufe zu entdecken und zu erproben, zu improvisieren und zu realisieren. Die Koordination von Bewegungsabläufen kann in besonderer Weise durch Geschicklichkeitsspiele, rhythmische Bewegungsspiele, Tanz, Malen und Zeichnen in Verbindung mit Musik, Partner- und Gruppenübungen sowie Sportspiele gefördert werden.
5. Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung
Die schulische Förderung im Förderschwerpunkt Lernen bezieht alle Schularten und Schulstufen ein. Dabei wird angestrebt, dass gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler mit und ohne Sonderpädagogischen Förderbedarf verwirklicht werden kann. Im Vorfeld Sonderpädagogischen Förderbedarfs haben vorbeugende Maßnahmen hohe Bedeutung. Wenn in der allgemeinen Schule eine angemessene Förderung nicht ermöglicht bzw. entwickelt werden kann, wird die Sonderschule als Förderort eines Kindes oder Jugendlichen infrage kommen.
Eine Vielzahl von Organisationsformen hat sich an unterschiedlichen Förderorten entwickelt. Kinder und Jugendliche, die in mehreren Förderschwerpunkten Bedarf haben, werden dort gefördert, wo dies nach den Erkenntnissen, die im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung Sonderpädagogischen Förderbedarfs gewonnen werden und unter Einbeziehung des Elternwunsches am besten möglich ist. Frühförderung, berufsorientierende und berufsbegleitende Maßnahmen sowie Hilfen anderer Maßnahmeträger unterstützen den Erfolg der sonderpädagogischen Förderung.
5.1 Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
Lern- und Entwicklungsverzögerungen sollen so früh wie möglich erkannt werden, um ihnen entgegenwirken zu können. Durch eine umfassende Person-Umfeld-Analyse müssen bereits in elementaren Entwicklungsbereichen Beeinträchtigungen wahrgenommen und entsprechende Handlungsperspektiven beschrieben werden, ohne dabei künftige schulische Förderorte festzulegen und vorwegzunehmen. Grundlage früher Hilfen und vorbeugender Maßnahmen ist ein Förderplan. Dieser berücksichtigt erhobene Daten aus Gesprächen mit Eltern, Gesundheitsämtern, Beratungsstellen, Sozialpädiatrischen Zentren, Kindergärten, Sonderkindergärten und anderen schulvorbereitenden Einrichtungen. Für die Entwicklung der Kinder, die in schwierigen Lebensverhältnissen aufwachsen, ist dabei auch eine Kooperation mit der Jugendhilfe und Sozialhilfe sowie anderen Diensten notwendig.
Präventive Förderung in der allgemeinen Schule wirkt der Entstehung und Verfestigung von Lernbeeinträchtigungen entgegen und kann Sonderpädagogischen Förderbedarf vermeiden helfen. Dazu werden die in den Schulen zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten koordiniert. Die Förderung wird im engen Zusammenwirken der Lehrkräfte der allgemeinen Schule unter Einbeziehung der Eltern verwirklicht und gegebenenfalls mit außerschulischen Institutionen, Fachkräften und Beratungsdiensten abgestimmt. Diese präventiven Fördermaßnahmen können durch sozialpädagogische Fachkräfte unterstützt werden.
5.2 Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht 12
Die Aufgabe der allgemeinen Schule schließt ein, Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen beim Lernen zu fördern. Kinder und Jugendliche mit Sonderpädagogischem Förderbedarf im Schwerpunkt Lernen können allgemeine Schulen besuchen, wenn für die sonderpädagogische Förderung angemessene personelle, räumliche und sächliche Voraussetzungen gegeben sind.
Diese Schülerinnen und Schüler werden nicht in allen Unterrichtsfächern nach den Lernzielen der allgemeinen Schulen unterrichtet. Die unterschiedlichen Angebote und Anforderungen entsprechen ihren individuellen Lernvoraussetzungen. Dabei sind in den Klassen mit gemeinsamem Unterricht differenzierende Formen der Planung sowie der Durchführung und der Ausgestaltung der Unterrichts- und Erziehungsprozesse in besonderem Maße erforderlich. Gemeinsamer Unterricht ermöglicht den Kindern, im sozialen Bereich voneinander zu lernen und eine Vielzahl von Anregungen im Leistungsverhalten zu erhalten.
Aufgaben von sonderpädagogischen Lehrkräften und Lehrkräften der allgemeinen Schule sind daher:
– die Abstimmung im Hinblick auf ihr pädagogisches Handeln,
– die Gestaltung eines Klimas der gemeinsamen Verantwortung in der Lerngruppe, das von Akzeptanz und Toleranz, von Rücksichtnahme und Unterstützungsbereitschaft geprägt ist,
– eine besondere Berücksichtigung der Erlebnis- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf,
– eine Einbindung von individualisierenden und differenzierenden Maßnahmen in ein pädagogisches Gesamtkonzept der Lerngruppe,
– die Förderung der motorischen, kognitiven, sprachlichen, emotionalen und sozialen Entwicklung aller Kinder und Jugendlichen,
– die Stärkung der Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern durch Förderung des Selbstvertrauens, des Selbstwertgefühls, der Leistungsbereitschaft, der Frustrationstoleranz,
– die Entwicklung und die Fortschreibung eines Förderplans,
– die gemeinsame Beratung mit den Eltern.
Spezifische Aufgaben der sonderpädagogischen Lehrkräfte betreffen
– die begleitende Diagnostik,
– die Förderprogramme für Motorik, Wahrnehmung und Handlungsfähigkeit sowie sprachliches Handeln und kognitive, emotionale und soziale Entwicklung,
– die Förderung von Lernstrategien und Arbeitsorganisation,
– die Beratung für den gemeinsamen Unterricht.
5.3 Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen
Wenn die sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule nicht gewährleistet werden kann, werden diese Kinder und Jugendlichen in der Schule für Lernbehinderte
Es ist Aufgabe der Schule für Lernbehinderte, ihren Schülerinnen und Schülern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und ihre Integration mit Blick auf ein selbstbestimmtes Leben zu fördern.
Dies bedeutet vor allem,
– individuelle Förderpläne auf der Grundlage begleitender Diagnostik zu erstellen und fortzuschreiben,
– eine schulische Situation zu schaffen, in der der individuelle Lernerfolg Ansporn sein kann und die Entwicklung einer Leistungsbereitschaft begünstigt,
– die Kinder und Jugendlichen so zu erziehen, dass sie alters- und situationsangemessene Formen des Verhaltens erwerben und festigen können,
– die Schülerinnen und Schüler zu einem Abschluss zu führen und Möglichkeiten zu eröffnen, den Hauptschulabschluss zu erlangen,
– einen Wechsel in die allgemeine Schule anzustreben, zu unterstützen, zu verwirklichen und diesen zu begleiten,
– durch praxisorientierte Angebote Jugendliche für einen Beruf zu interessieren und auf eine Berufsausbildung vorzubereiten,
– die Zusammenarbeit mit Berufsschulen, Arbeitsamt, Kammern und Betrieben der Region zu pflegen,
– das Zusammenwirken mit den Eltern zu fördern.
Schulen für Lernbehinderte in Ganztagsform kommen den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern entgegen, indem sie Angebote an Erziehung und Unterricht sowie sozialpädagogische Hilfen anderer Maßnahmeträger miteinander verbinden. Sie sollen über den Vormittagsunterricht hinaus Angebote im Zusammenwirken mit anderen Maßnahmeträgern ermöglichen.
5.4 Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen
Schulen für Lernbehinderte sollen eine enge pädagogische Zusammenarbeit mit allgemeinen Schulen der Region anstreben. Kooperative Formen der Erziehung und des Unterrichts ermöglichen den Kindern und Jugendlichen dieser Schulen die gegenseitige Akzeptanz und fördern den Umgang miteinander.
In kooperativen Formen werden Schülerinnen und Schüler befähigt, bestehende Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen aufrechtzuerhalten und neue anzubahnen. Die Förderung des Erwerbs und die Stärkung sozialer Kompetenzen sind wesentliche Prinzipien aller schulisch-kooperativen Lernprozesse.
Kinder und Jugendliche mit einer Lernbeeinträchtigung sollen in Begegnungen mit anderen ihre Fähigkeiten erkennen und erleben sowie eine realistische Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten gewinnen können. Die enge pädagogische Zusammenarbeit von allgemeinen Schulen und Sonderschulen eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten der Begegnung:
– gegenseitige Besuche von Klassen der allgemeinen Schule und der Sonderschule,
– gemeinsame Vorhaben wie Pausenhofgestaltung, Schulgartenpflege, gemeinsame Schul- und Sportfeste,
– Schulwanderungen, -fahrten und Schullandheimaufenthalte,
– Partnerschaften zwischen einzelnen Kindern und Jugendlichen oder Klassen,
– gemeinsame Unterrichtsvorhaben in einzelnen Fächern, vor allem in Arbeitslehre, Sport, Kunst und Musik.
Eine räumliche Zusammenführung von Klassen der allgemeinen Schulen und der Sonderschulen bietet günstige Voraussetzungen für eine angestrebte Kooperation. Sie macht das alltägliche Miteinander selbstverständlich und trägt zur Durchlässigkeit der Schularten bei.
Die in den kooperativen Formen angebahnten sozialen Beziehungen sollen über Unterricht und Schule hinaus in außerschulischen Bereichen wie bei Freizeiten, in Vereinen, in Jugendverbänden zusammenführen. Die Schulen unterstützen die Verbindung zu den außerschulischen Partnern und sind bei der Überwindung von Schwierigkeiten behilflich.
5.5 Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von Sonderpädagogischen Förderzentren
In einigen Ländern hat die Angebotsvielfalt sonderpädagogischer Förderung im Bereich des Lernens zur Entwicklung Sonderpädagogischer Förderzentren geführt. Sonderpädagogische Förderzentren als regionale und überregionale Einrichtungen können andere Förderschwerpunkte einbeziehen. Sie stellen die sonderpädagogische Förderung in allen Organisationsformen, einschließlich präventiver, integrativer und kooperativer Formen, in Zusammenarbeit mit allgemeinen Schulen und auch in eigenen Klassen fachgerecht und möglichst wohnortnah sicher.
Neben der Unterstützung des gemeinsamen Unterrichts liegt eine wesentliche Aufgabe der Sonderpädagogischen Förderzentren im präventiven Bereich sowie in der Entwicklung und Bereitstellung von Hilfen für Fördermaßnahmen der allgemeinen Schulen. Die Sonderpädagogischen Förderzentren haben unterstützende und beratende Funktion.
Die Sonderpädagogischen Förderzentren beraten in allen Fragen sonderpädagogischer Förderung Lehrkräfte, Eltern, Schulträger und Schulaufsicht. Sie verknüpfen Maßnahmen außerschulischer Träger mit der schulischen Erziehungs- und Unterrichtsarbeit.
5.6 Sonderpädagogische Förderung im berufsorientierenden und berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt
Eine qualifizierte Vorbereitung auf Beruf und Beschäftigung sowie auf den Übergang in die Arbeitswelt sind wesentliche Bereiche in Erziehung und Unterricht der Schulen im Förderschwerpunkt Lernen. Der Arbeitslehre kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Funktion zu, da hier wichtige Grundlagen für die Berufsorientierung und den Berufseintritt gelegt werden können; dabei sind fächerverbindende Aspekte zu beachten.
Eine berufliche Orientierung geschieht durch
– berufswahlvorbereitende Projekte, Berufswahlunterricht,
– Betriebserkundungen, Betriebspraktika, Praktikumstage,
– Zusammenarbeit mit den Berufsberaterinnen und Berufsberatern der Arbeitsämter,
– Kooperation mit berufsbildenden Schulen durch Erfahrungsaustausch, sog. Werkstatttage, Austausch unter Lehrkräften der berufsbildenden Schule und der Sonderschule,
– Zusammenarbeit mit Betrieben und Kammern sowie Trägern der Jugendhilfe und der Jugendarbeit,
– Schulen mit Werkcharakter.
Lehrkräfte berufsbildender Schulen müssen auf den Unterricht der Schülerinnen und Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf vorbereitet werden. Notwendig ist auch eine Sensibilisierung der Ausbilderinnen und Ausbilder in den Betrieben für die besonderen Bedürfnisse der Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf.
Bei vielen Schülerinnen und Schülern ist der Prozess der Berufswahl in der allgemeinbildenden Schule nicht abgeschlossen; er wird durch andere Maßnahmen wie Förderlehrgänge und Berufsvorbereitungsjahre fortgesetzt. Die Heranführung an diese Vorbereitungsformen hinsichtlich Berufswahl und Eingliederung in die Arbeitswelt ist ein gemeinsames Aufgabenfeld von Schule, Arbeitsverwaltung, Kammern, Betrieben, Jugendberufshilfe und Eltern.
6. Besondere Regelungen für den Schulbesuch
Für Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen im Bereich des Lernens ist eine differenzierende und in besonderem Maße individualisierende Förderung notwendig, die auf die jeweiligen Lernvoraussetzungen und Lerngegebenheiten eingeht. Die Unterrichtsführung bedarf eines schulischen Gestaltungsrahmens, der entsprechende pädagogische Freiräume ermöglicht. Alle Vorgaben bezüglich der Ziele und Inhalte, der Stundentafel, der Leistungsbeurteilung und Zeugniserteilung, der Versetzung und der Verlängerung der Dauer des Schulbesuchs sowie für den Wechsel in eine allgemeine Schule müssen deshalb notwendige Gestaltungsräume für die Lehrkräfte zulassen.
Der Unterricht orientiert sich an allgemein gültigen Zielvorstellungen und Lehrplänen. Es ist zu gewährleisten, dass über eine vergleichende und an den Vorgaben orientierte Leistungsbeurteilung hinaus auch die individuelle Leistung vor dem Hintergrund des Förderplans der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers Berücksichtigung findet, um so der angestrebten Individualisierung der sonderpädagogischen Förderung konsequent Rechnung tragen zu können. In diesem Zusammenhang sollte soweit wie möglich einer verbalen Beurteilung der Vorzug vor Zifferbenotungen gegeben werden. Aus den Zeugnissen der Schülerinnen und Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf muss gegebenenfalls hervorgehen, in welchen Unterrichtsfächern entsprechend den Anforderungen der Lehrpläne der Schule für Lernbehinderte unterrichtet wurde.
7. Zusammenarbeit
Bei der sonderpädagogischen Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen des Lernens ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule erforderlich. Die Lehrkräfte erhalten durch Gespräche mit den Eltern und bei Hausbesuchen Hinweise über Erleben und Verhalten der Kinder und Jugendlichen außerhalb der Schule. Sie informieren ihrerseits die Eltern über wichtige Beobachtungen und die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen und beraten sich mit ihnen über Ziele und Möglichkeiten der Förderung.
Darüber hinaus verständigen sich die Lehrkräfte mit den Eltern über weiterführende Hilfen, therapeutische Angebote und familienunterstützende Maßnahmen außerschulischer Träger sowie über andere Möglichkeiten der Förderung der Kinder und Jugendlichen. Absprachen zwischen Lehrkräften, Eltern und anderen Maßnahmeträgern über zu vereinbarende Förder- und Erziehungsziele sollen zur Umsetzung der notwendigen und realisierbaren Maßnahmen führen.
Ebenso unverzichtbar ist eine verbindliche und qualifizierte Zusammenarbeit aller Lehrkräfte einer Schule zur Planung und Umsetzung einer umfassenden Förderung der Kinder und Jugendlichen. Beim Eintritt in die Schule und beim Übergang in die Arbeitswelt bedarf die sonderpädagogische Förderung einer Ergänzung durch Maßnahmen unterschiedlicher Dienste und Leistungsträger. Daher arbeiten Schulen und Eltern mit den Gesundheits-, Sozial- und Jugendämtern, den schulpsychologischen, schul- und fachärztlichen Diensten, den Erziehungsberatungsstellen, Einrichtungen der Frühförderung, weiteren Fachleuten und Institutionen, Arbeitsämtern, Kammern und Betrieben im Interesse einer abgestimmten Förderung zusammen. Um den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten für ihre Freizeitgestaltung zu erschließen, wirken die Lehrkräfte mit Trägern außerschulischer Sport-, Freizeit- und Bildungsangebote zusammen.
8. Einsatz und Qualifikation des Personals
Die Ausbildung der sonderpädagogischen Lehrkräfte muss die Breite und Struktur des jeweiligen Tätigkeitsfeldes und die Anforderungen an die einzelnen Personen berücksichtigen. Sie vermittelt Grundlagen zu den Zielen und Aufgaben im Förderschwerpunkt Lernen und erfolgt auf der Basis einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Menschen. Darüber hinaus gibt sie einen allgemeinen Überblick über Erziehung und Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf, insbesondere in den Förderschwerpunkten Sprache sowie im emotionalen und sozialen Handeln.
Wesentliche Merkmale der Qualifikation sind umfassende Kenntnisse über Formen und Ursachen von Lernbeeinträchtigungen und deren Begleiterscheinungen, psychosoziale Zusammenhänge und Auswirkungen sowie lernpsychologische, didaktisch-methodische Fähigkeiten und Beratungskompetenz.
Sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte benötigen Fach- und Handlungskompetenzen für die Gebiete, die im Zusammenhang mit der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigungen stehen. Dies ist insbesondere die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Lernbeeinträchtigungen und mit der Förderung von Wahrnehmungsprozessen sowie der kognitiven, kommunikativen, motorischen, emotionalen und sozialen Entwicklung. Besondere Befähigungen werden erforderlich im Hinblick auf die Aufgaben bei der Zusammenarbeit mit Eltern und Vertreterinnen und Vertretern anderer Fachgebiete sowie für die begleitende Unterstützung des Prozesses der beruflichen und sozialen Integration. Die Lehrkräfte müssen individuelle Förderpläne erstellen, umsetzen und evaluieren können.
Die im Förderschwerpunkt Lernen qualifizierten Lehrkräfte wirken intensiv mit den Lehrkräften der Förderschwerpunkte Sprache sowie emotionales und soziales Handeln zusammen. Sie pflegen den Austausch mit Medizinerinnen und Medizinern, Psychologinnen und Psychologen sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen.
Zur Sicherung und Entwicklung der Qualität sonderpädagogischer Förderung ist fortlaufende fachspezifische Fortbildung der Lehrkräfte über die gesamte Zeit der Berufstätigkeit erforderlich. Darüber hinaus sind im gleichen Maße Fähigkeiten weiterzuentwickeln, die sich auf die Lehrerpersönlichkeit beziehen und die für die ganzheitliche Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernbeeinträchtigungen notwendig sind. Dazu gehören das Verständnis für die spezifische Lebenswelt Benachteiligter und sozial Randständiger sowie für wechselnde Lernvoraussetzungen und Lernprozesse, dazu das Überprüfen und Relativieren eigener Erwartungshaltungen gegenüber den Leistungen der Kinder und Jugendlichen, das Vertrauen in Leistungsfähigkeiten sowie die Annahme der Schülerinnen und Schüler mit ihren vielfältigen Problemen. Die Lehrkräfte benötigen die Kraft, persönliche Zuwendung in belastenden Situationen zu geben und zugleich Balance von persönlicher Nähe und notwendiger Distanz zu halten sowie Enttäuschungen bei Rückschlägen zu ertragen und Berufszufriedenheit zu erhalten.
Die in Ausbildung und Fortbildung erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lehrkräfte werden durch Teamsitzungen, Fallbesprechungen und Arbeitsgemeinschaften regelmäßig aktualisiert und erweitert.
9. Schlussbestimmung
Die Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17. November 1977 - werden hiermit aufgehoben.
I.A. Erhard
Ministerialdirektor
Feedback