Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
Nachstehend werden in Ergänzung zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (KM-Bekanntmachung vom 16. September 1994, KWMBl I S. 458) die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 10. März 2000 beschlossenen Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung bekannt gemacht:
1. Ziele und Aufgaben
1.1 Allgemeines
Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung auf eine ihren individuellen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung verwirklichen helfen. Emotionales Erleben und soziales Handeln beziehen die emotionale und soziale Entwicklung, die Selbststeuerung sowie das Umgehen-Können mit Störungen des Erlebens und Verhaltens ein. Die sonderpädagogische Förderung orientiert sich grundsätzlich an den Bildungszielen der allgemeinen und beruflichen Schulen. Darüber hinaus hat sie Bildungs- und Erziehungsaufgaben zu erfüllen, die sich aus den Lebenswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler mit einer Beeinträchtigung im emotionalen Erleben und sozialen Handeln ergeben. Die Schülerinnen und Schüler können unabhängig vom jeweiligen Förderort die Bildungsabschlüsse der Schularten erhalten, nach deren Lehrplänen sie unterrichtet wurden.
Die sonderpädagogische Förderung ist in erster Linie auf die Weiterentwicklung der Fähigkeiten zu emotionalem Erleben und sozialem Handeln gerichtet. Dabei unterstützt und begleitet sie diese Kinder und Jugendlichen durch ein breites Angebot spezifischer individueller Hilfen, die
– die Wahrnehmung für ihr eigenes sowie fremdes Empfinden stärken, ihre Selbststeuerungskräfte aktivieren und dadurch die Motivation für dauerhafte Veränderungen unterstützen und die Steuerungsfähigkeit ihres Verhaltens langfristig stabilisieren,
– die Fähigkeit zur Reflexion ihres eigenen Denkens und Handelns sowie das von anderen erweitern, dabei Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber anderen entfalten,
– Interesse für das Lernen, Verständnis für die Zusammenarbeit und Sinn für das Handeln mit anderen vermitteln.
Durch vorbeugende Maßnahmen können die Verfestigung sozial unangemessener Handlungsmuster frühzeitig verhindert, erwünschte angebahnt und dadurch die schulische Entwicklung positiv beeinflusst werden. Ziel ist die bestmögliche schulische, berufliche und soziale Eingliederung.
Zu den vordringlichen Aufgaben gehört es,
– die Bedingungen für das Entstehen einer Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung, ihre Eigendynamik und innere Logik zu verstehen,
– die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Selbstkonzept und ihrem eigenen emotionalen Befinden und sozialen Handeln auseinander setzen können,
– Fragen der Orientierung, Grenzsetzung, Identifikation, Annahme und Abgrenzung, der Nähe und Distanz, des Beziehungsaufbaus, der sozialen Verantwortung, der Kooperation und der Gruppenfähigkeit zur Grundlage pädagogischen Handelns zu machen,
– die jungen Menschen mehr und mehr in die Verantwortung für ihre Entscheidungen und für die Lösung ihrer eigenen Probleme zu nehmen,
– Handlungsalternativen durch eine dialogische Problemanalyse und Lösungssuche zu entwickeln und Entscheidungshilfen bei deren Umsetzung, Modifikation und Kontrolle zu geben,
– Voraussetzungen für ein möglichst wohnortnahes, flexibles sonderpädagogisches Förderangebot unter Einbeziehung von Schulsozialarbeit, sozialpädagogischen, psychologischen und medizinisch-therapeutischen Hilfen zu schaffen.
In Fällen tiefgreifender Störungsbilder oder Erkrankungen erfolgt die sonderpädagogische Förderung in Zusammenarbeit mit psychiatrischen oder forensischen Einrichtungen.
1.2 Pädagogische Ausgangslage
Die pädagogische Ausgangslage von Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns ist von vielfältigen komplexen Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Individuum, sozialem Umfeld und Persönlichkeitsentwicklung geprägt. Zudem können die Auswirkungen von Entwicklungsstörungen, Krankheiten und Behinderungen problemverstärkend wirken.
Beeinträchtigungen im Erleben und sozialen Handeln stellen keine feststehenden und situationsunabhängigen Tatsachen dar, sondern unterliegen Entwicklungsprozessen, die durch veränderbare außerindividuelle Gegebenheiten beeinflusst werden können. Sie sind nicht auf unveränderliche Eigenschaften der Persönlichkeit zurückzuführen, sondern als Folge einer inneren Erlebens- und Erfahrungswelt anzusehen, die sich in Interaktionsprozessen im persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Umfeld herausbildet. Pädagogische Interventionen sind deshalb in erster Linie auf die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Veränderung innerer Verhaltensmuster und zur individuellen Anpassung an äußere Rahmenbedingungen sowie auf den Erwerb und die Stärkung emotionaler und sozialer Fähigkeiten gerichtet.
Bei der Darstellung der pädagogischen Ausgangslage muss so konkret wie möglich festgestellt werden, welche Entwicklungsprozesse und Interaktionsverläufe auf der persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Ebene sich ereignen, welches Verhalten wahrgenommen wird und welche möglichen Ursachen und Wechselwirkungen damit im Zusammenhang stehen. Darüber hinaus sind auf jeder Ebene die Ressourcen und Chancen zu beschreiben und zum Ausgangspunkt der Förderung zu machen.
Familiäre und soziale Lebensbedingungen sowie das schulische Umfeld bedingen und beeinflussen persönliche Merkmale und Fähigkeiten wie Selbstwertgefühl, Ich-Stärke, Sicherheit, Selbstverantwortung, Impulskontrolle, Stetigkeit und Verlässlichkeit, Entwicklung von Lebensmut und Zukunftsperspektive, Realitätssinn.
Widersprüchliche Erfahrungen, insbesondere mit Eltern, Lehrkräften und Freundschaftsgruppen, können zu einer unrealistischen Selbst- und Fremdwahrnehmung führen. Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns überschätzen ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten fast ebenso häufig, wie sie diese unterschätzen. Sie sehen Lösungen unter anderem darin, Anforderungen auszuweichen und in übersteigertes Selbstbewusstsein zu flüchten. Machtfantasien sind ebenso anzutreffen wie die Flucht in Traumwelten oder übersteigertes Statusdenken. Förder- oder Hilfeangeboten stehen sie gleichgültig oder ablehnend gegenüber.
Erfahrungen von Alleingelassensein, das Erleben von Angst und Hilflosigkeit, von Armut, sozialem Ausschluss, auch emotionale Überforderung und Trennungsängste oder sexueller Missbrauch können zu aggressiven wie auch regressiven oder introvertierten Verhaltensweisen führen. Die Kinder und Jugendlichen ziehen sich auf sich selbst zurück, sind depressiv und ängstlich, weinen, entwickeln Tics und zeigen kaum eigene Initiativen, sie erkranken wiederholt oder entdecken das Kranksein als ein Ereignis, auf das andere mit Zuwendung reagieren.
In extremen Fällen finden Kinder und Jugendliche keinen Ausweg aus den sich gegenseitig überlagernden und verstärkenden Problemebenen. Sie reagieren mit psychosomatischen Symptomen oder Erkrankungen. Sie geraten in die Abhängigkeit von Drogen, suchen Kontakte zu Jugendsekten oder zu kriminellen Gruppen.
Erfahrungen innerhalb der Familie, im familiären Umfeld und den jeweiligen Lebensbedingungen beeinflussen nachhaltig die Entwicklungsprozesse und Verhaltensmuster der Kinder und Jugendlichen. Die Zusammenhänge zwischen ihrem beobachtbaren Handeln im schulischen Umfeld sowie den familiären Lebensbedingungen und Erfahrungen sind für Lehrkräfte meist schwer zu erkennen, da sie in der Regel keinen direkten Einblick in die Familie haben und häufig nur über Beobachtungen bzw. Informationen Dritter verfügen. Die Eltern selbst unterliegen den Erfahrungen ihrer eigenen Kindheitsentwicklung, die wiederum ihr emotionales Erleben und erzieherisches Handeln bestimmen kann.
Emotionale Verwahrlosung und Kälte, Mangel an Zuwendung und Versorgung, wenig Zeit für Gespräche im Elternhaus sind mit übersteigerten Gehorsams- und Leistungserwartungen, Drohungen und hartem Dirigismus, manchmal auch Gewalt verbunden. Inkonsequenz, Unberechenbarkeit des elterlichen Verhaltens, Partnerschaftsprobleme, unaufgeklärte Familientabus bei Krankheit und Sucht, Straffälligkeit und Arbeitslosigkeit können hohe Belastungs- und Risikofaktoren darstellen. Weitere traumatisierende Ereignisse wie schwere Unfälle, Vertreibung, Flucht und Tod können als Familienschicksale die Entwicklung eines Kindes einschränken oder blockieren. Die notwendige Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrerinnen und Lehrern kann durch unterschiedliche Kommunikations- und Interaktionsmuster oder mangelnde Kooperationsbereitschaft erschwert werden.
Beeinträchtigungen im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns können auch durch Überbehütung, unsichere Bindung an die Eltern, Verwöhnung oder durch geringes Zutrauen zum Kind verstärkt werden. Die Bereitschaft der Kinder, Initiative zu zeigen oder Verantwortung zu übernehmen, kann sinken. Diese Kinder stehen sozial im Abseits, entwickeln Krankheitssymptome und entziehen sich der Gemeinschaft.
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns sind häufig für schulisches Lernen und Handeln wenig motiviert und nicht in der Lage, eine durchschnittliche altersgemäße Aufmerksamkeit zu zeigen. Hohe Ablenkbarkeit und kurze Konzentrationsspannen hindern sie an der Entfaltung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit. Die Schülerinnen und Schüler zeigen zeitweise Übereifer und spontane Arbeitsbereitschaft, resignieren dann jedoch oft ebenso schnell, sind mutlos und enttäuscht, erscheinen antriebsarm und gleichgültig und wehren pädagogische Interventionen ab; Motivation, Ausdauer, Lerntempo und Belastbarkeit unterliegen extremen Schwankungen. Sie unternehmen bisweilen hohe Anstrengungen, um im Mittelpunkt zu stehen, und fordern von ihren Bezugspersonen ein kaum erfüllbares Maß an ständiger Zuwendung.
Die schulische Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler ist oft durch die Vielzahl nicht unterrichtsbezogener und zugleich kräftezehrender Interaktionsprozesse erheblich eingeschränkt. Förderbedarf in anderen Schwerpunkten ist die Regel, insbesondere im Bereich des Lernens und der Sprache.
Die Wahrnehmungen der wechselseitigen Interaktionsprozesse innerhalb der schulische Ebene durch die Schülerinnen und Schüler einerseits, die Lehrkräfte und die anderen beteiligten Personen andererseits sind sehr verschieden. So reagieren Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns stark affektiv auf unklare Regeln, persönliche Entwertungen, Über- und Unterforderungen im Leistungsbereich, Strafen ohne Beziehung zur Tat oder auf unbegründete Beschuldigungen und finden ohne Hilfe meist keinen Ausweg aus der belastenden Situation. Ohne angemessene Intervention durch die Lehrkräfte oder die anderen beteiligten Personen kann das emotionale und soziale Handeln der Schülerin oder des Schülers in solchen Konfliktsituationen negativ verstärkt werden. Dabei besteht die Gefahr, dass sich die Lehrkräfte in der subjektiven Wahrnehmung ihres eigenen emotionalen Erlebens und sozialen Handelns bestätigt oder gerechtfertigt fühlen. Auf diese Weise eskalieren Konflikte häufig.
Die als Auffälligkeiten wahrgenommenen Handlungsweisen können sein: Verstöße gegen die Regeln im Umgang mit Mitschülerinnen und Mitschülern oder Lehrerinnen und Lehrern, gegen Arbeitsanforderungen, gegen Normen der Klasse und der Schule, gegen die Pflicht zum Schulbesuch. Durch die Ablehnung jeder schulischen Autorität, isolierte Machtkämpfe, Verstöße gegen Normen mit der Folge negativer Einflüsse auf die Gemeinschaft geraten sie in ihrer Lerngruppe oder im gesamten schulischen Umfeld in soziale Randständigkeit. Stigmatisierende Rollenzuschreibungen sind häufig die Folge. Wenn die Schülerinnen und Schüler gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, z.B. bei Zerstörungen und Diebstählen im Umfeld der Schule oder bei Konflikten in Einrichtungen des Personenverkehrs, kann die Akzeptanz der Schule in der Nachbarschaft erschwert werden.
Innere Spannungszustände der Schülerinnen und Schüler haben oft Auswirkungen auf den psychosomatischen und psychomotorischen Bereich und können sich durch erhöhte Anfälligkeiten für Krankheiten, erhöhte Bereitschaft zum Drogenkonsum, organische Beeinträchtigungen sowie andauernde motorische Aktivitäten und permanente innere Unruhe zeigen.
Schülerinnen und Schüler können sich aber auch ängstlich zurückziehen, sich abkapseln, in Passivität verharren oder allgemein gehemmt sein. Sie fühlen sich hilflos, haben kein Zutrauen zu sich und scheitern fast immer an Angeboten des selbstständigen Lernens. Vielen fällt es schwer, Angebote zur Zusammenarbeit mit anderen Schülerinnen und Schülern anzunehmen. Bei diesen Schülerinnen und Schülern zeigen sich Auswirkungen wie selbstverletzendes Verhalten, Vereinzelung, Rückzug auf frühere Entwicklungsphasen und Verhaltensmuster, Entmutigung und Resignation bis hin zur Suizidgefährdung. Äußere Signale und Symptome werden oft falsch gedeutet oder als nicht unmittelbar störend wahrgenommen.
Persönliche, familiäre und schulische Bereiche werden durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst, die fördernde oder hemmende Wirkungen auf die Entwicklungsprozesse und Interaktionsverläufe haben können. Sie sind deshalb bei der Bewertung der pädagogischen Ausgangslage zu beachten.
Finanzielle Notlagen in den Familien können in soziale Isolation führen. Kinder und Jugendliche empfinden den Ausschluss von den Konsummöglichkeiten vielfach als Makel, sie ziehen sich aus festen Freundschaftsgruppen und aus Vereinen zurück und verlieren so oft die Möglichkeit, unterschiedliche soziale Erfahrungen zu sammeln und Halt gebende Bindungen einzugehen. Wenn Wohnsituation und Wohnumfeld keine hinreichenden Spiel- und Bewegungsräume bieten, fehlen vor allem Bewegungs- und Gruppenerfahrungen.
Die Reizüberflutung durch Medienkonsum kann für Schülerinnen und Schüler eine ständige Überforderung darstellen. Auswahl und Unterscheidung bei der Nutzung erfolgen eher zufällig und orientierungslos. Die alltägliche und selbstverständliche Abbildung von Gewalt, Sexualität, Sucht, Kriminalität kann die eigene normative Unsicherheit verstärken und den Aufbau einer kritischen Haltung zu den Medien, erschweren. Die undifferenzierte Darstellung der Normenvielfalt, insbesondere in den Medien, kann bei Schülerinnen und Schülern mit einer Beeinträchtigung des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns den Eindruck der Beliebigkeit von Normen erwecken und den Aufbau eines eigenen gefestigten Wertesystems erschweren oder sogar verhindern.
Aggressions- und Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft erschweren die pädagogischen Bemühungen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, Toleranz gegenüber Minderheiten zu zeigen und eine weitgehend aggressionsfreie Selbststeuerung zu entwickeln. Sie verstärken auch die Anfälligkeit für politisch extreme Positionen. In vielen Fällen haben gewaltbereite Kinder und Jugendliche selbst Übergriffe der Eltern und anderer Menschen erleiden müssen und legitimieren damit ihr eigenes gewalttätiges Verhalten.
Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns sind in besonderem Maße durch Drogenkonsum gefährdet. Dies trifft für immer jüngere Schülerinnen und Schüler zu. Die Einnahme von Drogen ermöglicht die rasche Flucht in eine Traumwelt, einen höheren Status in der Freundschaftsgruppe und die Bewältigung des Gruppendrucks. Drogenkonsum kann zur Missachtung von Regeln ermutigen. Um die Drogensucht zu finanzieren, spielt die Beschaffungskriminalität eine große Rolle und führt zu besonderen Belastungen in der Schule. Schulische Förderung von drogenabhängigen Schülerinnen und Schülern kann nur im Verbund mit anderen außerschulischen Institutionen wirksam werden. Dazu zählen neben Jugendhilfe, therapeutischen Einrichtungen, psychiatrischen Kliniken und Beratungsstellen auch Polizei, Gerichte und der Jugendstrafvollzug.
2. Sonderpädagogischer Förderbedarf
Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen der emotionalen und sozialen Entwicklung, des Erlebens und der Selbststeuerung anzunehmen, wenn sie in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule auch mithilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können.
Wenn bei Kindern und Jugendlichen entwicklungs- und situationsbedingte Auffälligkeiten erkennbar werden, ohne dass die in der pädagogischen Ausgangslage beschriebenen Problemebenen zu lang andauernden, verfestigten oder übergreifenden Störungen führen, besteht ein temporärer Förderbedarf, dem mit allgemeinpädagogischen oder außerschulischen Hilfen entsprochen werden kann. In diesen Fällen können die Schulen mit Sonderschulen und mobilen Beratungs- und Unterstützungsdiensten kooperieren.
Beeinträchtigungen im emotionalen Erleben und sozialen Handeln sind Ausdruck einer unbewältigten inneren Problematik und als Folge einer gestörten Person-Umwelt-Beziehung zu verstehen. Sonderpädagogische Förderung kann deshalb nur auf der Basis einer differenzierten Person-Umfeld-Analyse realisiert werden.
Sonderpädagogische Förderung erstreckt sich auch auf die Entwicklung alternativer Lernangebote für Schülerinnen und Schüler, bei denen wegen stark reduzierter Gruppenfähigkeit, ausgeprägter Schulmüdigkeit, sich wiederholender Misserfolgserlebnisse, fehlender Lernmotivation, Perspektivlosigkeit oder erheblicher Lern- und Leistungsprobleme die üblichen pädagogischen oder sonderpädagogischen Maßnahmen nicht ausreichen. Solche Lernangebote können in der Regel nur in engem Zusammenwirken mit anderen Maßnahmeträgern entwickelt und durchgeführt werden.
Auch im Sekundarbereich II kann sonderpädagogische Förderung erforderlich sein. Insbesondere in psychiatrischen, psychotherapeutischen oder forensischen Einrichtungen hat sie die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler bei der Bewältigung einer Berufsausbildung oder dem Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses sowie bei der Entwicklung der eigenen Lebensplanung zu unterstützen.
3. Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs
Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Ermittlung des individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort. Das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von den Eltern, der Schule oder gegebenenfalls von anderen zuständigen Diensten beantragt werden
3.1 Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs
Bei der Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sind die diagnostischen Fragestellungen auf ein qualitatives und quantitatives Profil der notwendigen Fördermaßnahmen gerichtet. Der Förderbedarf ist auf der Basis einer Person-Umfeld-Analyse zu erheben. Dabei werden insbesondere die sozialen Fähigkeiten, die Erlebnis- und Wahrnehmungsfähigkeit, die emotionale Ausdrucksfähigkeit und die Fähigkeit, sich zu steuern, sowie das Selbstkonzept der Schülerin oder des Schülers vor dem Hintergrund der persönlichen Lebenssituation und der schulischen Anforderungen beschrieben. Ferner sind die jeweils im konkreten Einzelfall gegebenen und organisierbaren Formen der Förderung abzuklären.
Bereitschaft und Fähigkeit zum Beobachten und Wahrnehmen der ganzen Person über das Unterrichtsgeschehen hinaus sind Voraussetzungen, um das Kind oder den Jugendlichen in seinen Entwicklungs- und Förderbedürfnissen zu verstehen. Für die Erhebung des sonderpädagogischen Förderbedarfs werden Informationen aus folgenden Bereichen herangezogen:
– Stärken und Kräfte in der Person und in ihrem Umfeld,
– individuelle Lebens- und Erziehungsumstände sowie die soziale Einbindung,
– psychosoziale Grunderfahrungen und deren Entwicklung,
– Formen der Klärung und Bewältigung aktueller Lern- und Lebenssituationen,
– schulisches Umfeld, Beziehungen zu Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und anderen Personen,
– allgemeiner Entwicklungs- und Leistungsstand, Wahrnehmung, Belastbarkeit, Ausdauer und Konzentration,
– soziale, emotionale, motorische und kognitive Entwicklung in schulischen Lernzusammenhängen und außerschulischen Erfahrungssituationen sowie in unmittelbaren Sachbegegnungen,
– Fähigkeit zum sprachlichen Handeln, Eigentätigkeit und Selbstverantwortung,
– Gruppenbewusstsein, Zugehörigkeitsgefühl, Fähigkeit zur Zusammenarbeit,
– Verlauf der Entwicklung und gegebenenfalls Ergebnisse bisheriger Förderung.
Grundsätzlich ist eine interdisziplinär angelegte Diagnostik erforderlich, die in einen gemeinsam abgestimmten Förderplan mündet. Das kann die besondere Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in vorschulischen und schulischen Einrichtungen, das Einbeziehen von psychosozialen, medizinischen und psychotherapeutischen Diensten sowie die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe, dem schulpsychologischen Dienst, Erziehungsberatungsstellen, den Jugendgerichten und dem Jugendstrafvollzug erfordern. Auf diese Weise können bereits vorliegende Informationen diagnostisch einbezogen werden. Vielfach werden entscheidungsrelevante Erkenntnisse durch Beobachtung und gemeinsame Beratung auch mit den Kindern und Jugendlichen gewonnen.
Darüber hinaus ist gemeinsam zu prüfen, ob die Lernvoraussetzungen durch eine begleitende medizinische oder psychotherapeutische Behandlung, durch ein verändertes schulisches Umfeld oder durch Maßnahmen der Jugendhilfe verbessert werden können. Die erhobenen Daten und gewonnenen Erkenntnisse werden unter Beachtung von Stellungnahmen aller am Verfahren Beteiligten von einer im Förderschwerpunkt qualifizierten Lehrkraft bewertet und in einem Gutachten mit einer Empfehlung zur Entscheidung über notwendige Fördermaßnahmen zusammengefasst. Die Ergebnisse des Gutachtens bilden die Grundlage für einen fortzuschreibenden individuellen Förderplan.
3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort
Auf der Grundlage der Empfehlung und der Beteiligung der Eltern und anderer Dienste sowie unter Beachtung der schulischen und außerschulischen Rahmenbedingungen entscheiden Schule und Schulaufsicht, ob die Schülerin oder der Schüler in die allgemeine Schule aufgenommen wird, dort verbleibt, eine allgemeine Schule mit gemeinsamem Unterricht besucht oder eine schulische Förderung durch eine Sonderschule, in besonderen Klassen oder kooperativen Formen erhält. In diese Entscheidung kann auch die Inanspruchnahme von Einrichtungen mit ergänzenden Ganztags- oder Betreuungsangeboten, vor allem seitens der Jugendhilfe, einbezogen werden.
Bei jeder einzelnen Entscheidung sind zu beachten:
– Art und Umfang des Förderbedarfs,
– Stellungnahmen der Eltern, der beratenden Gremien und Dienste,
– Fördermöglichkeiten der allgemeinen Schule einschließlich unterstützender Dienste,
– Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals,
– Verfügbarkeit medizinisch-therapeutischer, psychologischer und sozialer Dienste,
– Möglichkeiten der Veränderung des Umfeldes.
Dabei ist in jedem Einzelfall das Spannungsverhältnis zwischen der bestmöglichen schulischen Förderung und der Herausnahme aus dem sozialen Umfeld zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist derjenige Förderort zu wählen, der dem Förderbedarf des Kindes oder des Jugendlichen, seiner Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung bestmöglich gerecht wird und hilft, auf die Lebensumstände des Kindes oder Jugendlichen und seiner Familie einzugehen. In Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten und gegebenenfalls der Jugendhilfe werden positive Veränderungen der Lebenswelt angestrebt.
Die Entscheidung über den individuellen Förderbedarf und den Förderort erfordert eine Überprüfung in geeigneten Zeitabständen. Das gilt auch für die Frage des Wechsels in die allgemeine Schule.
4. Erziehung und Unterricht
Erziehung und Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns zielen in allen Formen und Orten sonderpädagogischer Förderung neben dem Erwerb von Wissen und der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere auf den Aufbau und die Festigung von positiven Einstellungen und Werthaltungen. Der Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler macht eine spezifische Gestaltung der Erziehungs- und Unterrichtsangebote notwendig. Zu lernen, wie durch die selbstständige Entwicklung von Handlungskompetenzen mit Belastungen im Bereich des Erlebens und der sozialen Erfahrung umgegangen werden kann, hat hierbei einen hohen Stellenwert. Wesentlicher Bestandteil der schulischen Förderung ist unter der Berücksichtigung individueller Interessen und Neigungen, Wünsche und Hoffnungen, aber auch von Sorgen und Ängsten der Aufbau verlässlicher Gemeinschaften, die Halt und Orientierung bieten und die Voraussetzung dafür schaffen, dass Schülerinnen und Schüler ihre persönlichen Kräfte und Fähigkeiten entfalten können.
Voraussetzung für pädagogisches Handeln ist eine tragfähige Schüler-Lehrer-Beziehung. Sie zeichnet sich durch ein hohes Maß an Verständnis, durch besondere persönliche Zuwendung und pädagogisch-psychologische Unterstützung aus. Hierzu gehört auch, dass Grenzen gesetzt und Normen und Regeln vereinbart werden. Unterrichtliche und erzieherische Hilfen zur Orientierung im sozialen Umfeld und zur Selbststeuerung dienen der Verarbeitung von belastenden Lebenseindrücken und sollen zu einer individuell und gesellschaftlich akzeptierten Lebensführung beitragen.
Alle an der Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns Beteiligten haben den Auftrag, die Beziehungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Eine klar gegliederte Ordnung innerhalb eines verlässlichen und belastbaren Rahmens bietet den Schülerinnen und Schülern Orientierung für die Gestaltung und Stabilisierung von Beziehungen im Schulalter und darüber hinaus.
Authentisches Verhalten, Klarheit und Konsequenz bei Interventionen, Flexibilität bei der Unterrichtsplanung und -durchführung, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des Lehrerverhaltens sind für die Schülerinnen und Schüler wichtige Hilfen, sich auf die Lernprozesse und die Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer einzulassen. Auf Seiten der Lehrkräfte sind Bereitschaft, Wille und Mut zur Veränderung eigener Sicht- und Handlungsweisen Voraussetzung für die Steuerung der Prozesse in Unterricht und Schule. Reflexion und Evaluation des unterrichtlichen Handelns und der eigenen Rolle sind für die Lehrkräfte unabdingbar, um unbewusste Handlungsmuster aufzudecken, eigene Anteile bei schwierigen Interaktionen bewusst zu machen und nach Möglichkeit Veränderungen einzuleiten. Hierzu eignen sich themenspezifische Dienstbesprechungen, regelmäßige Fallbesprechungen oder Möglichkeiten zur Supervision.
Äußere und innere Formen der Differenzierung und Individualisierung müssen den in den verschiedenen Erfahrungs- und Entwicklungsbereichen sehr unterschiedlichen Förderbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler entsprechen. In Verbindung mit Partnern der Schule, etwa aus dem Bereich der Jugendhilfe, bestehen erweiterte Möglichkeiten schulischer und außerschulischer Förderung, die gemeinsam ausgestaltet und zu einem standortbezogenen Schulkonzept entwickelt werden können. Praktisches Lernen dient der Entwicklung und der Erweiterung der Handlungskompetenzen und erlaubt eine Erprobung der Handlungsfähigkeit in einem geschützten Rahmen.
Neben Fördermaßnahmen, die sich auf eine Gruppe beziehen, können auch Einzelfördermaßnahmen notwendig sein. Sie sind häufig mit Einrichtungen vernetzt, die im Umfeld der Schule sowie vor- und nachschulisch für Kinder und Jugendliche tätig sind.
Vielfach erschweren entwicklungshemmende Erfahrungen oder gravierende Entwicklungsprobleme - häufig nach langen Phasen des Misserfolgs -, den Schülerinnen und Schülern, einen Zugang zu Personen und Lerngegenständen zu finden. Um schulferne Kinder und Jugendliche wieder an den Unterricht heranzuführen, bedarf es vorbereitender, individueller Angebote. Aggressive und regressive Tendenzen, verbunden mit Gefühlsäußerungen wie Angst, Wut, Hass, Neid, Eifersucht sowie Resignation und Depression, erfordern Raum für Gestaltungs- und Ausdrucksformen im musisch-künstlerischen und gestalterischen Bereich. Sie benötigen einen pädagogischen Rahmen, der durch Behutsamkeit und Vertrauen geprägt ist, um verdeckte Botschaften und Spannungen in den Beziehungen der Schülerinnen und Schüler zu Personen zu entschlüsseln. Für den Unterricht bedeutet dies, dass es bei der Auswahl und Interpretation lehrplanbezogener Themen und Inhalte sowie bei der Auswahl unterschiedlicher - auch außerschulischer Lernorte - einen großen Ermessensspielraum gibt.
Feste Orientierungspunkte zum Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen, Transparenz in den Entscheidungen, Rituale und ein Rhythmus für alltägliche Abläufe im Schulbereich bedeuten für die einzelnen Schülerinnen und Schüler wie für die Lerngruppe Überschaubarkeit, Verlässlichkeit, Stetigkeit und Sicherheit. Dadurch können die einzelnen Schülerinnen und Schüler lernen, das eigene Leben zu planen und die getroffenen Entscheidungen selbst zu überprüfen. Durch die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Gestaltung des Schullebens und durch die Berücksichtigung ihrer individuellen Wünsche und Vorschläge entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit und die Möglichkeit, die Klassen- und Schulgemeinschaft als anregungsreiches soziales Lernfeld zu erfahren. Die Übernahme von Verantwortung für das Handeln in der Gruppe und die Bereitschaft, Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen, sind wichtige Teilziele der sonderpädagogischen Förderung. Im Zusammenwirken von offenen Vorgehensweisen und strukturierenden Maßnahmen können Selbstvertrauen, Entscheidungsfreude und Verantwortungsbereitschaft erwachsen.
Für die pädagogisch-didaktische Konzeptbildung und ihre Umsetzung sind neben der speziellen sonderpädagogischen Kompetenz ein Förderschwerpunkte übergreifendes Denken und kooperatives Handeln der Lehrkräfte unverzichtbar. Alle Förderangebote, die sich auf Bewegung, Kommunikation, Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Emotionalität und Soziabilität beziehen, sind als Bestandteile eines umfassenden individuellen Förderplans und eines Gesamtkonzepts für die jeweilige Lerngruppe auszuweisen. Der Förderplan sollte gemeinsam mit den Personen, die die Förderung durchführen, in konkrete, umsetzbare Schritte gegliedert und schriftlich festgehalten werden.
Bei der Verwirklichung der individuellen Förderpläne in Erziehung und Unterricht sind folgende allgemeine methodische Grundsätze und inhaltliche Angebotsformen zu beachten:
Viele Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns brauchen in der täglichen Unterrichtsarbeit vielfältige Unterstützung ihrer Wahrnehmung. Kinder und Jugendliche mit Wahrnehmungsstörungen benötigen klare und verlässliche Strukturen. Erarbeitung und Aneignung der Lerninhalte werden erleichtert, wenn ein Lernen mit allen Sinnen ermöglicht wird. Die Förderung der Wahrnehmung begleitet den gesamten Unterricht und setzt eine genaue Kenntnis des Entwicklungsstandes der Kinder und Jugendlichen voraus. Sie beeinflusst, differenziert und erweitert die individuellen Erfahrungen und die Ausdrucksmöglichkeiten. Wahrnehmungsförderung unterstützt die Herausbildung kognitiver Fähigkeiten, dazu Konzentrations- und Anstrengungsbereitschaft, Belastbarkeit und Ausdauer, vor allem aber auch Fantasie und Kreativität. Die Wahrnehmungsförderung zielt darauf, mit allen Sinnen sich selbst und seine Umwelt zu erfahren, wirklichkeitsbezogen zu verarbeiten und in das Handeln einzubeziehen. Die Versprachlichung der Sinneseindrücke lässt dabei die Subjektivität jeder Wahrnehmung erkennen. Das erleichtert, unterschiedliche Sichtweisen zu akzeptieren. Wahrnehmungsförderung hat somit auch für die emotionale Entwicklung und die Steuerung des sozialen Handelns erhebliche Bedeutung.
Wahrnehmung und Bewegung sind miteinander verbunden. Bewegungserziehung und Sport ermöglichen, Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen und sich mitzuteilen. Sie sind unverzichtbar für die individuelle Förderung der motorischen, psychomotorischen und psychosozialen Entwicklung. Der Zusammenhang von Bewegung und kognitiver Entwicklung, emotionaler Stabilität und Abbau von Spannungen erfordert ein aktives, positiv erlebtes Sich-Bewegen, Spielen und Sporttreiben.
Die Einbeziehung vielfältiger Bewegungsmöglichkeiten in den Unterricht, ein Wechsel von Anspannung und Entspannung sowie eine zur Bewegung anregende Schullandschaft können die emotionale und soziale Entwicklung in besonderer Weise fördern. Darüber hinaus können Bewegungsimpulse und Bewegungsmöglichkeiten, die sich aus dem Unterricht ergeben, ebenso wie Sport und Tanz Anreize bieten, eigene Erfahrungen zu sammeln, neue Bewegungsabläufe zu entdecken und zu erproben, zu improvisieren und zu realisieren.
Die Koordination von Bewegungsabläufen kann in besonderer Weise durch Geschicklichkeitsspiele, rhythmische Bewegungsspiele, Tanzen, Malen und Zeichnen in Verbindung mit Musik, Partner- und Gruppenübungen und durch Sportspiele gefördert werden. Die Schülerinnen und Schüler können häufig ihre Gefühle und inneren Spannungen leichter über Musik oder den kreativen Umgang mit Medien ausdrücken. Trommeln, Schlagzeug spielen, Umgang mit Ton oder großflächiges Musik-Malen und das Hören von Musik stellen wichtige Förderangebote für die Entwicklung des Einzelnen oder der Gruppe dar.
Erziehung und Unterricht müssen einen hohen Aufforderungscharakter zum sprachlichen Handeln besitzen. Dem Förderbedarf wird entsprochen durch die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen bei der Ausweitung ihrer kommunikativen Handlungsfähigkeiten und durch die Sensibilisierung für eigene Anteile an einer erschwerten Kommunikation. Für die didaktisch-methodische Gestaltung bieten sich daher der handlungs- und projektorientierte Unterricht, die Gestaltung lebensweltbezogener Unterrichtssituationen und das Aufsuchen außerschulischer Lernorte an. Aus der Sache begründete Anlässe und Notwendigkeiten zur Versprachlichung, zur spontanen Mitteilung von Entdecktem, zur gegenseitigen Abstimmung und zur Zusammenarbeit können für die Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung darstellen, Sprache handlungsbegleitend und zugleich handlungsleitend zu verwenden. Die dabei neu erworbenen sprachlichen Kompetenzen sowie Lern- und Handlungsstrategien müssen in neuen Sachzusammenhängen und Lernsituationen erprobt, variiert, gesichert und erweitert werden. Das Schreiben für sich selbst und an andere in Form eines Tagebuchs, in Briefen oder E-Mails und kreatives Sprachhandeln erweitern die sprachlichen Kompetenzen und können dem sprachlichen Ausdruck und der Reflexion dienen.
Die Fähigkeit zu spielen ist bei den Kindern und Jugendlichen mit diesem Förderbedarf vielfach unzureichend entwickelt. Spiele in Gruppen erfordern Absprachen, das Einhalten von Regeln und Durchhaltevermögen. In einer entspannten Spielatmosphäre können sich die Kinder engagieren, überlassen sich der Dynamik der Spielsituation und empfinden Freude und Vergnügen. Aus Beobachtungen während des Spiels lassen sich Hinweise für die schulische Förderung ableiten. Durch Regelspiele können das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und das Ertragen von Erfolg und Misserfolg geübt werden.
Rollenspiele können bei der Entwicklung von Selbst- und Fremdwahrnehmung, von Einfühlungsvermögen, von Rollendistanz und Identität, aber auch beim Aufbau von Frustrationstoleranz und Abbau von Vorurteilen hilfreich sein. Sie bieten für die Bewältigung von konkreten Situationen die Möglichkeit des Probehandelns, um in einem geschützten Rahmen unterschiedliche Versuche zur Lösung eines Problems zu machen, alternative Entscheidungen zu überprüfen und schließlich einen Weg für den Umgang mit diesem Problem zu finden. Im Spiel mit Handpuppen kann es insbesondere unsicheren, gehemmten und verschlossenen Kindern gelingen, sich mitzuteilen und auszudrücken. Literarische Werke wie Märchen, Geschichten oder Gedichte können wertvolle Grundlagen sozialen Lernens und hilfreich bei der konstruktiven Auseinandersetzung mit sich und anderen Personen sein.
Für Schülerinnen und Schüler bedeutsame, aus ihrer Lebenswelt stammende Themen und Inhalte werden im Unterricht durch Projekte und in Arbeitsgemeinschaften altersgemäß aufbereitet. Der Ernstcharakter der Aufgabe und das konkrete eigene Tun stehen im Mittelpunkt und führen zu unmittelbaren, für das schulische Leben wichtigen Erfahrungen. Durch bestätigende und ermutigende Rückmeldungen von außerschulischen Partnern, von Lehrkräften und der Gruppe, aber auch durch gute Arbeitsergebnisse werden Leistungsmotivation und Interesse gesteigert. Dies erfordert eine kreative Nutzung der schulischen Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere der Unterrichtsinhalte, der Stundentafel, des Stundenplans und des Schullebens sowie der Räumlichkeiten und der Ausstattung.
Im Unterricht sind Tätigkeiten von Bedeutung, die zu handwerklichen und technischen Arbeiten, zu künstlerischen Darstellungen und zu sozialen Hilfeleistungen führen. Für Schülerinnen und Schüler, die vor dem Übergang in den beruflichen Bereich stehen, erhalten Begegnungen, die Einblick in die Erfordernisse von Ausbildungsverhältnissen und die Gestaltung einer Lebensführung gewähren, ein besonderes Gewicht.
Die Leistungsbeurteilung wird zunächst der individuellen Förderung untergeordnet. Sie orientiert sich allerdings zunehmend an den Anforderungen der entsprechenden Bildungsgänge. Rechtliche Regelungen bezüglich der Leistungsbewertung erfordern für die Lehrkräfte einen Gestaltungsspielraum, der die Berücksichtigung individueller Lernfortschritte ermöglicht. Kennzeichnend für diesen Förderschwerpunkt ist, dass die Rückmeldung zu den Leistungen als Bestandteil des pädagogischen Dialogs erfolgt.
Der pädagogische Grundsatz, dass Fehler Chancen zum Lernen sind, hat für Kinder und Jugendliche mit diesem Förderschwerpunkt eine wichtige Funktion. Die häufige Erfahrung dieser Schülerinnen und Schüler, dass Fehler negativ bewertet werden und damit oft eine Entwertung der Person verbunden ist, blockiert sie nicht nur im fachlichen Leistungsbereich, sondern auch bei Entscheidungen im sozialen Handeln. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern ermutigt sie, andere Wege zu beschreiten, zu experimentieren, sich auf ein noch nicht erprobtes Handlungsmuster einzulassen. Die Schülerinnen und Schüler müssen Umwege gehen können und sich sogar für nachteilige Wege entscheiden dürfen, ohne dass sofort Korrekturen erfolgen. So werden sie nach und nach Verantwortung für ihre Entscheidungen, Fehler und die Folgen übernehmen.
5. Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung
Die schulische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns erfolgt in einer Vielzahl von Förderformen und an verschiedenen Förderorten, die den unterschiedlichen Förderbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, aber auch regionalen Gegebenheiten Rechnung tragen. Der Schwerpunkt liegt im Primarbereich und im Sekundarbereich I. Schulische Förderung kann aber auch im Sekundarbereich II sowohl im allgemeinbildenden als auch im berufsbildenden Bereich notwendig sein. Aufgrund der Vielfältigkeit des Förderbedarfs gibt es differenzierte und konzeptionell verschiedenartige Formen vorbeugender Maßnahmen, mobiler Beratungs- und Unterstützungsdienste, gemeinsamen Unterrichts und von Kooperation mit allgemeinen Schulen sowie im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren. Grundsätzlich wird angestrebt, in einem gestuften System von Beratung und Unterstützung eine angemessene Förderung der Kinder in flexiblen Organisationsformen zu sichern, damit sie in ihrer Stammschule verbleiben können. Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und der Verbund mit anderen regionalen Diensten haben einen hohen Stellenwert. Die Entscheidung für einen Förderort orientiert sich an der bestmöglichen Förderung der Kinder und Jugendlichen.
5.1 Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
Vorbeugende Maßnahmen beschränken sich vor Eintritt in die Schule in der Regel auf die Kooperation zwischen Sonderschulen bzw. sonderpädagogischen Förderzentren und Kindertageseinrichtungen. Sie zielen auf die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes und erfolgen in Form der Beratung des Personals und durch spezielle Fortbildungsangebote. In einigen Ländern ist eine Institutionalisierung der vorbeugenden Maßnahmen durch Einrichtung von Diagnose- und Förderklassen, Vorschulklassen, schulvorbereitenden Einrichtungen sowie mobilen Beratungs- und Unterstützungsdiensten, die vor allen Dingen im Elementar- und Primarbereich tätig werden, gegeben. Die Unterstützung vorschulischer Einrichtungen durch sonderpädagogische Lehrkräfte erweist sich insbesondere beim Übergang in die Schule als hilfreich.
Vorbeugende Maßnahmen erstrecken sich auf die Früherkennung von Problemlagen in der Familie sowie auf die Vermittlung von Maßnahmen der Frühförderung und der Jugendhilfe. Es kommt vor allem darauf an, in kritischen Situationen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen rechtzeitig Einfluss zu nehmen. Kritische Situationen sind insbesondere Übergänge in neue Lebensabschnitte, zum Beispiel beim Beginn der Schulpflicht, beim Wechsel in eine andere Schule oder in den Beruf, aber auch in der Pubertät oder durch besondere Ereignisse wie Ortswechsel, schwere Krankheit oder Tod eines Elternteils, Scheidung der Eltern. Für die Schülerinnen und Schüler besteht in der Regel noch kein sonderpädagogischer Förderbedarf. Allerdings kann ohne Wahrnehmung der belastenden Situation und entsprechender Symptome der sich abzeichnenden Schwierigkeiten und ohne eine entsprechende Stützung eine Verfestigung der Störungen entstehen, die sonderpädagogische Förderung notwendig machen.
Förderung im Rahmen der Vorbeugung erfolgt in der Grundschule und in den Schulen im Sekundarbereich durch kooperative Zusammenarbeit mit Sonderschulen, sonderpädagogischen Förderzentren oder mobilen Beratungs- und Unterstützungsdiensten, die auch an allgemeinen Schulen eingerichtet sein können. Schwerpunkte hierbei sind:
– Information und Beratung von Lehrkräften und Eltern über die Wechselwirkungen gestörter Interaktionsprozesse,
– Begründung von Interventionen, die die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes stärken und stützen,
– Hilfen zur Gestaltung vielfältiger sozialer und emotionaler Lernsituationen,
– Entwicklung eines Schulkonzepts, das in besonderer Weise die Förderung von Kindern und Jugendlichen dieses Förderschwerpunktes zum Ziel hat.
Die Stärkung der Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft, Programme zur Schaffung von Ausbildungsplätzen für Jugendliche, ein dichtes Netz von Drogenberatungsstellen, der Verbund und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Dienste, vor allem von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe, mit der Schule, zudem ganztägige Betreuungsangebote über die Dauer des Schulunterrichts hinaus und Unterstützung der schulischen Arbeit durch Schulsozialarbeit haben hohe vorbeugende Wirkung.
5.2 Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns besuchen allgemeine Schulen, wenn dort die notwendigen personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen gegeben sind oder geschaffen werden können. Die sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht erfolgt in Zusammenarbeit von sonderpädagogischen Lehrkräften mit Lehrkräften der allgemeinen Schule.
Die Schülerinnen und Schüler sind in der allgemeinen Schule in ein altersangemessenes soziales Umfeld eingebunden, das ihnen Gelegenheiten gibt, ihr Handeln an den Normen einer weitgehend stabilen sozialen Gruppe zu orientieren, aber auch zu erproben und zu kontrollieren. Sonderpädagogische Förderung in der allgemeinen Schule legt deshalb besonderen Wert auf die Schaffung von Unterrichtssituationen, die gegenseitige Wertschätzung zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls ermöglichen, kooperatives und kommunikatives Handeln fördern, Selbst- und Fremdwahrnehmung stärken und zur Entwicklung tragfähiger Konfliktlösungsstrategien beitragen.
Sonderpädagogische Förderung im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns verlangt in der allgemeinen Schule ein flexibles System der Schul- und Unterrichtsorganisation, das sich auf inhaltliche, personelle und räumliche Aspekte bezieht. Die Schwerpunktsetzung sollte in einem entsprechenden Schulkonzept verdeutlicht sein.
Eine verlässliche und tragfähige Schüler-Lehrer-Beziehung als Voraussetzung für eine wirksame sonderpädagogische Förderung verlangt eine personelle Kontinuität. Die allgemeine Schule bedarf einer räumlichen Ausstattung, die es erlaubt, dass auch sonderpädagogische Fördermaßnahmen durchgeführt werden können, die individuelle Lernangebote, Spiel- und Bewegungsübungen zum Abbau von Spannungszuständen, Selbstlernkonzepte sowie Lernen in Projekten ermöglichen.
Die Wechselwirkungen zwischen den persönlichen, familiären, schulischen und gesellschaftlichen Ebenen verlangen eine intensive Zusammenarbeit der Lehrkräfte der Schule untereinander sowie mit den Eltern und den anderen Diensten. Da bei gemeinsamem Unterricht die sonderpädagogische Förderung wohnortnah erfolgt, kann die notwendige Zusammenarbeit meist kurzfristiger und effektiver organisiert werden als bei Schulen mit sehr weiten Einzugsbereichen. Eine wirkungsvolle und in vielen Fällen notwendige Ergänzung der sonderpädagogischen Förderung kann durch abgestimmte sozialpädagogische Hilfen oder durch Schulsozialarbeit unterschiedlicher Maßnahmeträger erfolgen.
Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung stellen an die inhaltliche und organisatorische Konzeption der allgemeinen Schule hohe Anforderungen. Insbesondere Lernen im Projekt- und Werkstattunterricht, Thematisieren von Konflikten im Unterricht, die Veränderung geplanten Unterrichts bei Störungen erfordern neben Absprachen und gegenseitiger Unterstützung auch ein erweitertes Raumangebot für spezielle Unterrichtsangebote und Differenzierungsmöglichkeiten.
Im gemeinsamen Unterricht im Sekundarbereich II erfolgt die sonderpädagogische Förderung hauptsächlich durch Beratung und Diagnose sowie Intervention in Einzelfällen.
5.3 Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns, für die eine hinreichende Förderung in allgemeinen Schulen nicht gewährleistet werden kann, werden in Sonderschulen oder in Schulen und Klassen für Erziehungshilfe
Die sonderpädagogische Förderung erfolgt schwerpunktmäßig im Primarbereich der Schulen und Klassen für Erziehungshilfe. Sie sind als Durchgangsschule konzipiert. In ihnen wird grundsätzlich nach den Lehrplänen der Grundschule unterrichtet. Ziel ist die frühestmögliche Rückführung in die Grundschule.
Besteht für Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I weiterhin sonderpädagogischer Förderbedarf, so können die Schülerinnen und Schüler durch die sonderpädagogische Förderung einen Schulabschluss erlangen, der ihren individuellen Möglichkeiten entspricht.
Durch die Trennung der sonderpädagogischen Förderung in Primar- und Sekundarbereich kann dem unterschiedlichen entwicklungsbedingten Förderbedarf durch inhaltliche, organisatorische und altersbezogene Förderangebote entsprochen werden. Dadurch können die Auswirkungen negativer Vorbilder, Abhängigkeit und Ausbeutung als problemverstärkende Faktoren abgeschwächt oder verhindert werden. Für die pädagogische Arbeit ist es förderlich, wenn die Größe von Sonderschulen dieses Schwerpunkts so bemessen ist, dass Erziehungspersonen jede Schülerin und jeden Schüler kennen.
Der Anteil von Mädchen ist in den Schulen für Erziehungshilfe deutlich geringer als der der Jungen. Als Gründe werden dafür genannt: Mädchen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns bringen ihre Probleme mit sich und der Umwelt vielfach durch gehemmte oder unsichere Verhaltensmuster zum Ausdruck. Sie erleben sich häufiger in Angst- und Spannungszuständen, begleitet von Gefühlen der Minderwertigkeit, des Versagens und Verlassenseins, manche werden ausgebeutet oder sexuell missbraucht. Da vor allem regressive Verhaltensweisen von Mädchen nicht als störend erlebt werden, werden die psychosozialen und psychosomatischen Folgen oft nicht erkannt. Deshalb ist die Sensibilität zur Wahrnehmung dieser Probleme in den allgemeinen Schulen zu stärken. Zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Mädchen ist die geschlechtsbedingte spezifische Situation in die Person-Umfeld-Analyse einzubeziehen.
Die Verunsicherung in ihrer geschlechtlichen und gesellschaftlichen Rolle kann bei einigen Mädchen auch zu erhöhter Gewaltbereitschaft und –tätigkeit führen. Schulen für Erziehungshilfe benötigen eigene Konzepte zur Förderung der Mädchen.
In Schulen für Erziehungshilfe können Schülerinnen und Schülern mit umfangreichem sonderpädagogischen Förderbedarf besondere, auf die persönliche Situation zugeschnittene Förderangebote gemacht werden. In Zusammenarbeit mit anderen Diensten können schulische Maßnahmen für so genannte Straßenkinder oder Jugendliche ohne festen Wohnsitz entwickelt und realisiert werden. Für einzelne Schülerinnen und Schüler können Unterricht, Therapie und soziale Fürsorge durch ein abgestimmtes Konzept grundlegender Veränderung der Lebensumstände zu langfristig wirksamen neuen Lebensentscheidungen führen.
Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung bedürfen in besonderer Weise strukturierender Hilfen im Tagesablauf. Schulen für Erziehungshilfe, die als Ganztagsschulen oder als Schulen mit Nachmittagsangeboten konzipiert sind, können diesem Bedürfnis durch einen rhythmisierten Tagesablauf, der schulische Aktivitäten und Freizeitangebote verbindet, entsprechen. Ist die Sonderschule mit einem heilpädagogischen Heim oder einer Tagesstätte verbunden, wird die enge Zusammenarbeit der Institutionen unerlässlich.
Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns brauchen mehr Raum als andere Schülerinnen und Schüler, zum Beispiel zur Abgrenzung, da sie durch körperliche Nähe überfordert sein können. Andere Schülerinnen und Schüler benötigen mehr Raum, damit andere Schülerinnen und Schüler durch den hohen Bewegungsdrang nicht gestört werden. Einzel- und Kleingruppenförderung, Entspannung und Bewegung, Förderangebote in akuten Konfliktsituationen sowie Projekt- und Werkstattunterricht erfordern spezielle räumliche Gegebenheiten mit der notwendigen Ausstattung.
Sonderpädagogische Förderung kann zeitweise oder auch auf längere Dauer in psychiatrischen oder forensischen Einrichtungen erfolgen. Hier ist sie in das Gesamtkonzept der Rehabilitation eingebunden und zielt darauf ab, für die Dauer des Aufenthalts dem Kind oder Jugendlichen eine schulische oder berufliche Bildung zu sichern, die ihm nach der Entlassung eine schulische oder berufliche Eingliederung ermöglicht. Es können auch Bildungsabschlüsse erworben oder Berufsausbildungen absolviert werden.
5.4 Sonderpädagogische Förderung in Kooperation mit allgemeinen Schulen
Schulen für Erziehungshilfe arbeiten mit allgemeinen Schulen zusammen. Kooperative Formen der Erziehung und Unterrichtung ermöglichen allen Beteiligten Erfahrungen im unvoreingenommenen Umgang miteinander. Die Durchlässigkeit der Schulen und gegenseitiges Unterstützen der Lehrkräfte unterschiedlicher Schulformen werden durch Kooperation begünstigt. Darüber hinaus leisten beispielsweise Begegnungsveranstaltungen wichtige Beiträge für die Förderung des sozialen Handelns und emotionalen Erlebens aller Schülerinnen und Schüler.
Die sonderpädagogische Förderung in Kooperation mit allgemeinen Schulen erfolgt in unterschiedlichen Formen: zeitweise Förderung einer Schülerin oder eines Schülers aus der Schule oder Klasse für Erziehungshilfe in bestimmten Fächern in der allgemeinen Schule, gemeinsame Unterrichtsvorhaben von Lehrkräften beider Schulen, Probeunterricht im Rahmen einer Rückschulung, Austausch von Lehrkräften, gemeinsame Klassenfahrten, gegenseitige Einzelfallhilfe und Beratung, Maßnahmen der vorbeugenden Hilfe.
5.5 Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren
Regionale oder überregionale sonderpädagogische Förderzentren
Bei der Entwicklung von sonderpädagogischen Förderzentren sind in den Ländern verschiedene Richtungen erkennbar, die einer fachlichen und organisatorischen Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung im gemeinsamen Unterricht und in der ambulanten Arbeit Rechnung tragen. Dabei gibt es unterschiedliche Organisationsformen: Sonderpädagogische Förderzentren mit Sonderschulangebot und zusätzlicher sonderpädagogischer Förderung in allgemeinen Schulen sowie solche, die für alle Lehrkräfte, Eltern und andere Interessierte sonderpädagogische Fachkompetenz bereitstellen und die Förderung unterschiedlicher Dienste koordinieren.
Sonderpädagogische Förderzentren mit mehreren Förderschwerpunkten verfügen über sonderpädagogische Lehrkräfte der entsprechenden Fachrichtungen und die notwendige räumliche und sächliche Ausstattung. Die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die über den sonderpädagogischen Förderbedarf im emotionalen Erleben oder sozialen Handeln hinaus in weiteren Förderschwerpunkten zu fördern sind, verlangt ein besonders hohes Maß an Kooperationsbereitschaft und Koordinierung bei der Realisierung eines ganzheitlichen und integrativen Förderansatzes.
5.6 Sonderpädagogische Förderung im berufsorientierenden und berufsbildenden Bereich sowie beim Übergang in die Arbeitswelt
Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im Bereich der sozialen und emotionalen Entwicklung haben erhöhte Schwierigkeiten beim Übergang in die Berufs- und Arbeitswelt. Neue personale Bezüge, ungewohnte Anforderungen, veränderte Kommunikationsstrukturen können zu Unsicherheiten im Verhalten, zu Leistungsversagen und Rückzug auf alte Verhaltensmuster, auch zu Aggressionen und zur Verweigerung führen. Ausbildungsverhältnisse scheitern dann, wenn Hilfen für den Übergang fehlen. Sonderpädagogische Förderung soll bereits im Sekundarbereich I auf diese Situation vorbereiten.
Berufsorientierung und Vorbereitung auf Beruf und Leben sind Schwerpunkte in den allgemeinen Schulen und Sonderschulen des Sekundarbereichs I. Die Entwicklung eines realistischen Selbstkonzepts ist Voraussetzung für eine tragfähige Berufswahlentscheidung. Sie wird insbesondere durch Betriebspraktika unterstützt und gefestigt, die in der Anzahl und der Dauer flexibel gestaltet werden. Dadurch wird auch der spätere Übergang in die Arbeitswelt erleichtert. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen durch die Betriebspraktika Sicherheit im Umgang mit neuen Situationen und Personen. Sie lernen, sich in die vorgegebenen Bedingungen der Arbeitswelt einzuordnen und die dort erforderlichen Arbeitshaltungen einzuüben. Gleichzeitig erhalten sie ein realistisches Bewährungsfeld für ihr emotionales und soziales Handeln, in dem sie Kooperations- und Kommunikationsformen sowie Konfliktlösungsstrategien in neuen Situationen erproben können.
Sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Störungen im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung erfolgt im berufsbildenden Bereich im gemeinsamen Unterricht, durch Kooperation von Sonderschulen mit beruflichen Schulen, in Sonderberufsschulen und in Berufsbildungswerken.
Nach dem Übergang in den berufsbildenden Bereich kann die sonderpädagogische Förderung in Zusammenarbeit mit dem Betrieb, der Jugendberufshilfe und anderen Partnern die bereits erlernten Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler festigen, indem die neue Situation angesprochen, Einzelfallhilfe geleistet und die Eingewöhnungsphase in die neue Lernumgebung erleichtert wird.
Wenn die sonderpädagogische Förderung nicht durch Lehrkräfte einer beruflichen Schule erfolgen kann, die zugleich eine Lehrbefähigung für Sonderpädagogik besitzen, übernehmen sonderpädagogische Lehrkräfte diese Aufgabe oder tragen dazu bei, dass die Jugendlichen durch Bereitstellung und Koordination sonderpädagogischer Hilfen und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in bestmöglicher Weise gefördert werden.
Im berufsbildenden Bereich zielt die sonderpädagogische Förderung im Wesentlichen auf die Festigung erworbener emotionaler und sozialer Kompetenzen. Sie dient der Unterstützung Jugendlicher beim Erwerb der berufsbezogenen Kenntnisse und Fertigkeiten und bietet Hilfen in schwierigen Kommunikations- und Kooperationssituationen im Ausbildungsbetrieb. Die Zusammenarbeit der Lehrkräfte der beruflichen Schulen und der sonderpädagogischen Lehrkräfte mit den Ausbilderinnen und Ausbildern im Betrieb und mit der Arbeitsverwaltung ist unerlässlich.
Sonderberufsschulen für Erziehungshilfe, die auch an klinischen oder forensischen Einrichtungen eingerichtet sein können, ermöglichen Schülerinnen und Schülern eine Berufsausbildung. Sie arbeiten mit den entsprechenden Einrichtungen der Rehabilitation zusammen.
6. Regelungen für den Schulbesuch
Der Auftrag zur Individualisierung der Förderung ergibt sich aus den spezifischen Ausprägungen des sonderpädagogischen Förderbedarfs des einzelnen Kindes oder Jugendlichen. Eine Unterrichtsführung und Erziehungsplanung, die die persönliche Weiterentwicklung und die sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise beachten und zum Ausgangs- und Zielpunkt von Unterricht machen, brauchen einen schulischen Gestaltungsrahmen, der auf die langfristige Stabilisierung ausgerichtet ist und auf aktuelle Herausforderungen reagieren kann.
Aus diesem Grunde werden bei Vorgaben bezüglich der Ziele und Inhalte, der Stundentafel, der Leistungsbeurteilung und Zeugnisgebung, der Versetzung, der Verlängerung der Schulpflicht sowie der Übergangsbestimmungen für weiterführende Schularten die vorhandenen Modifikationsmöglichkeiten genutzt.
Bei Leistungsanforderungen und -kontrollen sowie bei Prüfungen darf den Schülerinnen und Schülern aufgrund der Beeinträchtigung im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns kein Nachteil entstehen. Erforderlichenfalls ist ein Nachteilsausgleich zum Beispiel durch Zulassen oder Bereitstellen von Hilfen oder die Gewährung einer Zeitzugabe zu schaffen.
7. Zusammenarbeit
In der schulischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns sind im Interesse einer gemeinsam abgestimmten Erziehung und Bildung das Mitbestimmungsrecht der Eltern und die Verantwortung der Träger der Hilfemaßnahmen in besonderer Weise zu beachten. Alle Konflikte, insbesondere die zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und Eltern, stellen eine gemeinsam zu bewältigende Aufgabe dar.
Schulen für Erziehungshilfe oder entsprechende Unterstützungseinrichtungen arbeiten mit Kindertageseinrichtungen, verschiedenen Beratungsstellen und schulpsychologischen Diensten und Einrichtungen der Jugendarbeit zusammen. Dem Zusammenwirken mit der Jugendhilfe kommt hohe Bedeutung zu. Freizeitpädagogische Maßnahmen werden auch mit außerschulischen Trägern wie Kirchen und Vereinen vorbereitet und durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung ist von der Schule möglichst frühzeitig zu planen und zu koordinieren. Durch die Zusammenarbeit zwischen allgemeiner Schule, Sonderschule, medizinischen und psychologischen Diensten sowie mit Kirchen und Vereinen werden den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten des Zugangs zur allgemeinen Schule eröffnet.
Die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule erfordert
– persönlichen Kontakt zwischen Fachkräften aus beiden Bereichen,
– die Schaffung einer Struktur für eine verbindliche Zusammenarbeit,
– Rollenzuschreibungen für die Partner der Jugendhilfe und der Schule,
– gemeinsame Fortbildung,
– Transparenz vorhandener Angebote für die Eltern,
– eine effiziente Nutzung der Ressourcen durch Kooperation mit Trägern und Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit.
Die Grundlage der Zusammenarbeit ist gegenseitiges Vertrauen, das sich aus einer kontinuierlichen Gesprächsbereitschaft, aus persönlicher Wertschätzung, Akzeptanz und Toleranz und Respektierung der fachlichen Zuständigkeiten entwickelt. Der Austausch von Informationen und Erfahrungen bietet wesentliche Entscheidungshilfen; im Austausch von unterschiedlichen Sichtweisen können sich neue Möglichkeiten pädagogischen Handelns eröffnen.
Die Zusammenarbeit verschafft neue Handlungsmöglichkeiten und schließt Formen der Beratung ein. Beratungsgespräche machen es möglich, Probleme gemeinsam zu bewältigen, die die Beziehung zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern erschweren und die den Lernprozess beeinträchtigen. Die Beratungsqualität kann durch Fortbildung, Fallbesprechungen oder Supervision gesichert werden. Für die Beratung sind zweckentsprechende räumliche und zeitliche Voraussetzungen erforderlich.
8. Einsatz und Qualifikation des Personals
Die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns erfordert den Einsatz von sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrkräften. Die Ausbildung dieser Lehrkräfte berücksichtigt die Breite und Struktur des gesamten Tätigkeitsfeldes.
Sie schließt neben der Fach- und Beratungskompetenz in diesem Förderschwerpunkt die notwendigen Wissensanteile aus dem Gesamtbereich der Erziehung und Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein, insbesondere im Bereich des sprachlichen Handelns und des Lernens.
Zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität sonderpädagogischer Förderung ist regelmäßige Fortbildung erforderlich. Hierbei ist der Kooperations-, Beratungs- und Abstimmungsbedarf mit Fachkräften aus anderen Disziplinen und Institutionen zu berücksichtigen.
Die an der schulischen Förderung beteiligten Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler reflektieren ihr eigenes Handeln und die Auswirkungen ihrer Handlungen auf das Beziehungsgeflecht. Hierbei ist eine Balance zwischen der Identifikation mit Problemen der Schülerinnen und Schüler und der notwendigen Distanz herzustellen. Regelmäßige Fallbesprechungen, themenspezifische Fall- und Dienstbesprechungen und Supervision ermöglichen es, Abläufe der Erziehungs- und Unterrichtsprozesse darzustellen sowie im Erfahrungsaustausch mit dem Kollegium Möglichkeiten der weiteren Gestaltung zu erarbeiten.
Die Persönlichkeit der Lehrkraft ist wesentlich für die Entwicklung der Beziehungen der Schülerinnen und Schüler zu Personen und Dingen. Die Lehrkräfte vermitteln durch ihre Haltung persönliche Orientierung. Sie bieten Schülerinnen und Schülern, die in Konflikten zu gesellschaftlichen Normen stehen, ihre Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven und der Übernahme gesellschaftlicher Normen und Werte an. Deshalb benötigen die Lehrkräfte wie die Schülerinnen und Schüler zusätzlich Angebote, die sich auf die Weiterentwicklung und Stabilisierung ihrer Persönlichkeit beziehen. Dazu gehören das Verständnis für plötzlich wechselnde und extreme Verhaltensänderungen, das Überprüfen und Relativieren eigener Erwartungshaltungen an das Handeln im sozialen und emotionalen Bereich, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Schülerin oder des Schülers, die Annahme der Schülerinnen und Schüler mit ihren vielfältigen Problemen, persönliche Zuwendung in belastenden Situationen, schließlich das Aushalten von Enttäuschungen und Rückschlägen.
9. Schlussbestimmung
Die Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Verhaltensgestörte - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17. November 1977 - werden hiermit aufgehoben.
I.A. Erhard
Ministerialdirektor
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