Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
Nachstehend werden in Ergänzung zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (Bekanntmachung vom 16. September 1994, KWMBl I S. 458) die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 26. Juni 1998 beschlossenen Empfehlungen zum Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bekannt gemacht:
1. Ziele und Aufgaben
1.1 Allgemeines
Sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen im Bereich der geistigen Entwicklung verwirklicht als Bestandteil der umfassenden Eingliederungsmaßnahmen das Recht auf Bildung für diese Kinder und Jugendlichen.
Sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung beinhaltet eine alle Entwicklungsbereiche umfassende Erziehung und Unterrichtung unter besonderer Berücksichtigung der praktischen Bewältigung ihres Lebens. Für eine aktive Lebensbewältigung in sozialer Integration und für ein Leben in größtmöglicher Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sind Förderung und spezielle Lern- und Eingliederungsangebote erforderlich.
Sonderpädagogische Förderung unterstützt und begleitet die Schülerinnen und Schüler, unabhängig von Schweregrad und Umfang der Beeinträchtigungen, durch individuelle Hilfen beim Erkennen eigener Handlungsmöglichkeiten und bei der Erweiterung der Fähigkeiten zum Handeln. Die eingeengten Möglichkeiten der psychisch-geistigen
Entwicklung, die veränderten Ausdrucks-, Kommunikations- und Handlungsformen haben Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentfaltung und das soziale Umfeld. Im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten können die Schülerinnen und Schüler Fähigkeiten und Fertigkeiten, zur Bewältigung ihres Lebens mit einer Behinderung erlernen.
Zudem hat sonderpädagogische Förderung die Aufgabe, diesen Schülerinnen und Schülern zu unmittelbarer Begegnung und Auseinandersetzung mit sich selbst, mit eigenen Wünschen und Vorstellungen in Familie, Schule, Freizeit, Beschäftigung und Arbeit sowie in der Gesellschaft zu verhelfen. Die Schülerinnen und Schüler mit einer Beeinträchtigung im Bereich der geistigen Entwicklung sollen erfahren, dass sowohl in der menschlichen Begegnung als auch im Eingebettetsein in Natur, Kultur und Weltanschauung Werte für ein sinnerfülltes Leben zu finden sind. Die Förderung soll je nach den individuellen Voraussetzungen zu einer selbstbestimmten Gestaltung des Lebens und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft beitragen.
1.2 Pädagogische Ausgangslage
Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung zeigen unterschiedliche Erscheinungsbilder in den verschiedenen Entwicklungsbereichen, Sie benötigen besondere Hilfen bei der Entwicklung von Wahrnehmung, Sprache, Denken und Handeln sowie Unterstützung zur selbstständigen Lebensführung und bei der Findung und Entfaltung der Persönlichkeit. Vielfach wird die Lern- und Lebenssituation dieser Kinder und Jugendlichen durch körperliche, psychische und soziale Beeinträchtigungen zusätzlich erschwert.
Eine geistige Behinderung, als deren Ursache vielfach hirnorganische Schädigungen angenommen werden, ist in ihrem jeweiligen aktuellen Erscheinungsbild nicht statisch, ihre Auswirkungen sind durch Erziehung und Unterricht beeinflussbar. Die Anregung von Lernprozessen geschieht unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeitsentwicklung und der Förderbedürfnisse jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen. Die Entwicklung verläuft durch die verschiedenartig ausgeprägte Beeinträchtigung bei den einzelnen Kindern und Jugendlichen innerhalb eines allgemeinen Rahmens uneinheitlich. Sonderpädagogische Förderung muss deshalb an der individuellen Ausgangslage des einzelnen Kindes und Jugendlichen anknüpfen und den persönlichen Entwicklungsgegebenheiten entsprechen.
Beeinträchtigungen in der geistigen Entwicklung haben insbesondere Auswirkungen auf
– das situations-, sach- und sinnbezogene Lernen,
– die selbstständige Aufgabengliederung, die Planungsfähigkeit und den Handlungsvollzug,
– das persönliche Lerntempo sowie die Durchhaltefähigkeit im Lernprozess,
– die individuelle Gedächtnisleistung,
– die kommunikative Aufnahme-, Verarbeitungs- und Darstellungsfähigkeit,
– die Fähigkeit, sich auf wechselnde Anforderungen einzustellen,
– die Übernahme von Handlungsmustern,
– die Selbstbehauptung und die Selbstkontrolle,
– die Selbsteinschätzung und das Zutrauen.
Sonderpädagogische Förderung hat daher die Aufgabe, jeder Schülerin und jedem Schüler Hilfen zur Entwicklung der individuell erreichbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu geben. Hierbei müssen Körpererfahrungen gemacht und erweitert werden, Körperfunktionen beherrscht und senso- und psychomotorische Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgebildet werden. Die Förderung schafft Gelegenheit, Wahrnehmung, Konzentration und Merkfähigkeit aufzubauen, Begriffe und Vorstellungen zu erwerben sowie Kreativität, Denken und Kommunikation zu entwickeln.
Sonderpädagogische Förderung erschließt hiefür konkrete Handlungsfelder in entwicklungs-, situations-, sach- und sinnbezogenen sowie lebensorientierten Lernbereichen. Sie berücksichtigt dabei die weitgehende Gebundenheit des Gelernten an die ursprüngliche Lernsituation, das Bedürfnis nach überschaubaren Aufgabengliederungen, das stark variierende, individuelle Lerntempo sowie die begrenzte und schwankende Durchhaltefähigkeit im Lernprozess.
Sonderpädagogische Förderung in Erziehung und Unterricht ist so zu verwirklichen, dass die Kinder und Jugendlichen befähigt werden, die Verrichtungen des alltäglichen Lebens nach Möglichkeit ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, ihre Selbstständigkeit in Bereichen der Selbstversorgung gewinnen zu lernen und Orientierung im Lebensumfeld zu finden.
Dabei kann sonderpädagogische Förderung dazu verhelfen, dass die Schülerinnen und Schüler trotz ihrer bestehenden sozialen Abhängigkeiten und behinderungsbedingten Einschränkungen zu einem positiven Selbstwerterleben gelangen und ihre eigene Persönlichkeit entfalten. Es ist zu beachten, dass diese Kinder und Jugendlichen in besonderer Weise auf Zuwendung bei der Förderung angewiesen sind. Sie brauchen Bezugspersonen, die sie in ihren individuellen Ausdrucksformen verstehen und annehmen und in die Umwelt und beim Aufbau von Beziehungen zu Menschen und Dingen begleiten.
Besondere Anforderungen an eine individuelle Förderung stellen Kinder und Jugendliche mit einer schweren Mehrfachbehinderung. Sie können in allen Entwicklungsbereichen beeinträchtigt sein, sodass verschiedene Förderschwerpunkte - insbesondere zur Sicherstellung der Förderung basaler Funktionen - zu beachten sind. Erziehung und Unterricht beinhalten auch Aspekte von Pflege und Therapie. Diese müssen in ein pädagogisches Gesamtkonzept eingebettet sein.
Schülerinnen und Schüler mit begrenzter Lebenserwartung benötigen eine auf ihre persönliche Situation zugeschnittene spezifische sonderpädagogische Förderung. Sie können häufig aufgrund spezieller gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht regelmäßig die Schule besuchen. Die besondere Lebenssituation dieser Schülerinnen und Schüler erfordert eine intensive pädagogische Begleitung auf der Suche nach Möglichkeiten einer sinnvollen Lebensgestaltung und der Befriedigung aktueller Bedürfnisse. Das Lernangebot muss der jeweiligen Lebenslage der Schülerin oder des Schülers entsprechen.
2. Sonderpädagogischer Förderbedarf
Bei allen Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung besteht sonderpädagogischer Förderbedarf. Dieser kann für das einzelne Kind oder den einzelnen Jugendlichen physiologisch, organisch, psychisch, erzieherisch, familiär-sozial oder durch das Zusammenspiel dieser Faktoren bedingt sein. Es sind deshalb medizinisch-therapeutische, psychologische, pädagogische, soziale sowie pflegerische und technische Unterstützung und auch entsprechende Hilfen außerschulischer Maßnahmeträger notwendig. Hierbei ist eine Abstimmung der verschiedenen Maßnahmen und Hilfen anzustreben, deren Ergebnis in ein pädagogisches Förderkonzept eingearbeitet wird. Der individuelle Entwicklungsstand, Ergebnisse der bisherigen Förderung, weitere Funktionsbeeinträchtigungen und nicht zuletzt Gegebenheiten des Umfeldes bestimmen dabei den individuellen Förderbedarf. Aus dem sonderpädagogischen Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung erwächst ein komplexes Aufgabenfeld der schulischen Förderung, das die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten in allen Teilbereichen einschließt. Dazu gehören:
– Förderung in den Bereichen der Motorik und der Wahrnehmung, der Kommunikation, der Emotionalität und des Sozialverhaltens,
– Entwicklung von Merkfähigkeit, Aufbau von Transferkompetenz, vorausschauendem Denken und Problemlöseverhalten,
– Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit durch Lautsprache, Gebärden, Bildsymbole und andere Formen,
– Aufbau und Gestaltung des Sprachverständnisses, des sprachlichen Ausdrucksvermögens und des Sprechvermögens,
– Begriffsbildung und Anwenden von Begriffen,
– Ermöglichung von Erfahrungen zur alters- und geschlechtsspezifischen Entwicklung, zu Ich-Identität und Sinnfindung,
– Entwicklung einer selbstbestimmten Handlungsfähigkeit,
– Orientierung im Umfeld, Erarbeiten von Kenntnissen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Natur und Technik,
– Vermittlung grundlegender Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten in den Bereichen des Lesens, Schreibens und Rechnens,
– Begegnung mit Musik, Rhythmik, bildnerischen und bewegungsbetonten Möglichkeiten sowie Religion, Sport und Hauswirtschaft,
– Aufbau von Selbstständigkeit in Bereichen von Selbstversorgung, von Spiel und Freizeit, von sozialen Beziehungen und sozialem Umfeld sowie von Arbeit und Beschäftigung,
– Gebrauch von Hilfsmitteln sowie Annehmen und Beachten von Lernhilfen, Pflege und Beratung,
– Unterstützung des familiären und sozialen Lebensfeldes.
Für das Aufgabenfeld der schulischen Förderung schwer mehrfachbehinderter Schülerinnen und Schüler ist eine weitere Differenzierung und Intensivierung der schulischen Maßnahmen erforderlich. Diese Kinder und Jugendlichen benötigen zur Sicherung ihrer existenziellen Grundbedürfnisse basale Erfahrungen als Voraussetzung für Lernen und Entwicklung. Bei der Förderung der basalen Funktionen wird in einem dialogischen Prozess Zugang zu Bildungsinhalten ermöglicht.
Kinder und Jugendliche mit schwerer Mehrfachbehinderung brauchen in der Regel körperliche Nähe, um andere Menschen und Dinge wahrnehmen und mit ihnen in Beziehung treten zu können. Dafür müssen alle Sinne angesprochen werden. Durch sonderpädagogische Hilfe werden alle Sinne .wie die Tiefensinne, die Sinne der Haut, des Geruchs, des Geschmacks, des Gesichts, des Gehörs und des Tastens angesprochen. Die Kinder und Jugendlichen sollen Sinnesreize bemerken und beantworten, Handlungen wiederholen, dabei Gewohnheiten ausbilden und selbst durch Sinneswahrnehmung aktiv werden.
Schülerinnen und Schüler mit schwerer Mehrfachbehinderung benötigen Menschen, die ihnen die Umwelt auf elementare Weise vermitteln und ihnen Lageveränderung und Fortbewegung ermöglichen, insbesondere durch die Förderung des Körpererlebens, der Körperhaltung, der Kopf- und Rumpfkontrolle, des Sitzens, des Stehens und des Gehens. Sie brauchen Bezugspersonen, die ihre individuellen Ausdrucksformen auch ohne Lautsprache verstehen und die durch die Vermittlung der Kommunikationsformen wie Mimik, Gestik, Gebärden, Symbole und Bilder eine kommunikative Beziehung aufbauen können.
3. Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf
Sonderpädagogischer Förderbedarf wird im Rahmen einer interdisziplinären Verlaufsdiagnostik ermittelt, die an förder- und entwicklungsdiagnostischen Kriterien orientiert ist.
Dabei werden verschiedene Förderschwerpunkte berücksichtigt und aufeinander abgestimmt.
Die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Erhebung des individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort. Bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Mehrfachbehinderung ist im Rahmen des diagnostischen Prozesses die weit reichende Erfahrungs- und Interpretationskompetenz der Eltern von besonderer Bedeutung für die Erhebung und Bewertung der Ausgangslage. Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs findet in der Verantwortung von Schule und Schulaufsicht statt, die entweder selbst über sonderpädagogische Kompetenz verfügen oder fachkundige Beratung hinzuziehen. Lernausgangslage und Lernentwicklung bei Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung werden durch eine begleitende Diagnostik geklärt. Der auf den sonderpädagogischen Förderbedarf bezogene individuelle Förderplan wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit erstellt und fortgeschrieben.
3.1 Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs
Die Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs geschieht interdisziplinär unter Mitwirkung der Eltern und all derjenigen, die an der Förderung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen beteiligt sind, und bezieht die medizinische Diagnose mit ein.
Das Verfahren zur Erhebung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Sinne einer Kind-Umfeld-Analyse erfasst:
– den Entwicklungsverlauf im soziokulturellen Umfeld,
– den Entwicklungsstand in Bezug auf Motorik, Sensorik, Kognition, Kommunikation einschließlich der Sprache, auf Emotionalität und Sozialkompetenz sowie Lern- und Leistungsverhalten und deren Wechselwirkungen,
– das schulische Umfeld und dessen Veränderungsmöglichkeiten,
– das Auswerten der medizinischen Anamnese und Diagnose,
– den räumlichen Bedarf und die technisch-materielle Ausstattung,
– den therapeutischen und sozialpädagogischen Bedarf sowie den Bedarf im Bereich der Pflege,
– die Bewältigung des Schulweges.
Hierbei werden Informationen, sofern sie für die schulische Förderung bedeutsam sind, zu folgenden Bereichen erhoben:
– zur Orientierungsfähigkeit im Raum und hinsichtlich des eigenen Körpers,
– zur Bewegungsfähigkeit beim Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen,
– zur Bewegungsfähigkeit beim Greifen, Halten, Loslassen,
– zu den Fernsinnen Sehen und Hören, zu den Nahsinnen Schmecken, Riechen und Tasten,
– zur Wahrnehmungsverarbeitung und senso-motorischen Koordination,
– zu Raumvorstellung und zeitlichen Strukturen,
– zu Interaktionsfähigkeit, sprachlichem Handeln und Sprechvermögen,
– zu Hilfsmittelversorgung und Medikation,
– zur familiären Situation und sozialen Einbindung,
– zur emotionalen Befindlichkeit und Ausdrucksfähigkeit,
– zu Interessen und Neigungen,
– zu Aneignungsweisen und Handlungskompetenzen,
– zur Selbstständigkeit bei Verrichtungen des Alltags,
– zum Entwicklungsverlauf und zum aktuellen schulischen Leistungsstand,
– zum schulischen Umfeld und zu Möglichkeiten seiner Veränderung,
– zu körperlichen und gesundheitlichen Gegebenheiten.
Bei der Erhebung des Förderbedarfs sind das Kind und der Jugendliche nicht unter dem Blickwinkel der Beeinträchtigung zu sehen, sondern als ganzheitlich Handelnde und Gestaltende der eigenen Entwicklung. Die gewonnenen Erkenntnisse und Befunde gehen in die Beratungen mit den Eltern, ggf. mit der volljährigen Schülerin bzw. dem volljährigen Schüler zur Entscheidungsfindung ein. Von einer im Förderschwerpunkt ausgebildeten Lehrkraft werden die Ergebnisse in einem sonderpädagogischen Gutachten zusammengefasst und bewertet. Dieses Gutachten berücksichtigt die Stellungnahmen der an der Förderung der Schülerin bzw. des Schülers beteiligten Personen und es wird der Schulaufsicht mit einer Empfehlung zu einer Entscheidung über die sonderpädagogischen Fördermaßnahmen vorgelegt. Bei dieser Entscheidung werden berücksichtigt:
– Art und Umfang des Förderbedarfs,
– Ergebnisse der Beratung mit den Eltern, ggf. mit der Schülerin bzw. dem Schüler und an deren Beteiligten,
– Fördermöglichkeiten der allgemeinen Schule soweit nach Länderregelung Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung in allgemeinen Schulen unterrichtet werden, bzw. der Sonderschule,
– Verfügbarkeit des erforderlichen Personals,
– Verfügbarkeit technischer und apparativer Hilfsmittel sowie spezieller Lehr- und Lernmittel,
– Baulich-räumliche Voraussetzungen.
3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort
Auf der Grundlage der Empfehlung und unter Einbeziehung der Eltern - bei Volljährigkeit der Schülerin bzw. des Schülers - entscheidet die Schulaufsicht
Die sonderpädagogische Förderung kann in Sonderschulen oder in allgemeinen Schulen erfolgen. Einige Landesgesetze geben dem gemeinsamen Unterricht den Vorzug. In jedem Fall müssen die notwendigen sächlichen, räumlichen und personellen Voraussetzungen gegeben sein. Sie sind im Vorfeld einer Entscheidung der Schulaufsicht im Zusammenwirken mit den Erziehungsberechtigten, ggf. mit anderen Kostenträgern, wie Schulträger, Krankenkasse, Pflegekasse, Sozialhilfe und Jugendhilfeträger abzuklären und sie beeinflussen die Wahl der geeigneten Schule.
Alle Entscheidungen über den individuellen sonderpädagogischen Förderbedarf erfordern eine Überprüfung in geeigneten Abständen.
4. Erziehung und Unterricht
Ziele und Inhalte von Erziehung und Unterricht richten sich an der jeweiligen Lebenssituation und den voraussichtlich zu erwartenden Anforderungen im späteren Lebenszusammenhang aus. Dabei sind Erziehung und Unterricht mit den Themenbereichen anzubahnen und zu verwirklichen, in denen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren Fähigkeiten und Neigungen, mit ihren Bedürfnissen und Motiven als handelnde Personen erleben und begegnen können. Erziehung und Unterricht eröffnen ihnen Fähigkeiten zur sozialen Eingliederung und Möglichkeiten zur Selbstfindung und Selbstentfaltung.
4.1 Erziehung
Ein offenes und anregungsreiches Erziehungs- und Lernumfeld soll den Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung ermöglichen, die eigene Person in differenzierter Wahrnehmung zu erfahren und Zutrauen zum Leben aufzubauen. Zudem soll Erziehung für ein möglichst selbstbestimmtes Leben befähigen.
Erziehung trägt über die Auseinandersetzung mit der Beeinträchtigung und den Reaktionen der Umwelt auf diese dazu bei, die Persönlichkeit zu festigen und sicherer zu machen im Umgang mit der Beeinträchtigung sowie in sozialen Zusammenhängen. Hierzu gehört ausreichend Gelegenheit, sich in der Gemeinschaft zu orientieren, sich einzuordnen und sich zu behaupten. Erziehung soll dazu verhelfen, auf Kontaktangebote einzugehen, Kontakte anzunehmen, anzubahnen und aufrechtzuerhalten sowie Zusammenleben und gemeinsames Tun pflegen zu können. Auch im Miteinander von Betroffenen werden Erfahrungen über die handelnde Verarbeitung einer geistigen Behinderung und deren Auswirkungen, über Formen des Umgangs mit den Beeinträchtigungen und über Möglichkeiten zum Aufbau eines tragfähigen Selbstkonzeptes gemacht.
Erziehung ist auch auf das künftige Leben der Kinder und Jugendlichen gerichtet. Sie verhilft zu Fähigkeiten, sich möglichst selbst zu versorgen und zur Sicherung der eigenen Existenz beizutragen. Sie bestärkt das Kind und den Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung darin, auf Bedürfnisse und Notlagen aufmerksam zu machen. Sie leitet an Gefahren zu erkennen, die eigenen Kräfte im Blick auf Anforderungssituationen einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Erziehung befähigt dazu, die Umwelt angemessen zu erleben sowie soziale Hilfen zu nutzen.
4.2 Unterricht
Der Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung geht zunächst von den Bildungszielen der allgemeinen Schule aus. Ziele und Inhalte des Unterrichts müssen im Blick auf die Lernvoraussetzungen und den sonderpädagogischen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler modifiziert werden. Sie sind in eigenen Lehrplänen dargestellt und münden in individuelle Förderpläne ein.
Die Lernbedingungen sind insgesamt so zu gestalten, dass die Förderung im Bereich der geistigen Entwicklung alters- und sachgerecht erfolgen kann. So wird die Schule für jede Schülerin und für jeden Schüler mit geistiger Behinderung ein zentraler Lern- und Lebensraum sein. Die Lehrkräfte berücksichtigen die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer geistigen Behinderung, informieren sich hinreichend über Möglichkeiten pädagogischer Einflüsse und Lernhilfen, um Erziehungsmaßnahmen und Unterricht behindertengemäß und individuell gestalten zu können.
Die Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung bedürfen Klassen und Lerngruppen, in denen durch eine angemessene Schülerzahl Entwicklung und Lernen in den Förderbereichen sichergestellt sind. In manchen Fällen kann Einzelförderung notwendig sein. Stets sind eine spezielle didaktische Aufbereitung und eine flexible Organisation des Unterrichts unumgänglich.
Für die Unterrichtsgestaltung sind vor allem folgende Grundsätze zu beachten:
Die
Die
Die
Die
Förderung sozialer Kompetenz soll die Schülerinnen und Schüler auch zur Teilhabe an sozialen und kulturellen Veranstaltungen in der Gemeinde, einschließlich der Ausformung von lebenspraktisch orientierten Kulturtechniken befähigen. Erziehung und Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung geben schließlich Hilfen, zu einem Leben zu finden, das als sinnerfüllt erfahren werden kann. Sie schaffen Lebensraum, in dem die Schülerinnen und Schüler lernen, zu spielen, zu arbeiten, sich zu versorgen, Freizeit zu gestalten, zu wohnen, aber auch sich unabhängig von anderen zu beschäftigen. Erziehung und Unterricht tragen zur Lebensbewältigung bei, indem lebenspraktische Tüchtigkeit und Lebenszutrauen als wesentliche Zielrichtungen von Erziehung und Unterricht angestrebt werden.
5. Formen und Orte sonderpädagogischer Förderung
Die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung hat zu einer Vielfalt von Förderformen und Förderorten geführt. Es entwickeln sich vermehrt Formen der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung an unterschiedlichen Lernorten. Frühförderung, aber auch beschäftigungs- und arbeitsorientierende Maßnahmen sowie lebensbegleitende Hilfen haben einen hohen Stellenwert.
5.1 Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen
Frühe Hilfen sind für die Entwicklung von Kindern mit einer geistigen Behinderung von existenzieller Bedeutung. Um zusätzliche Entwicklungsverzögerungen und Fehlentwicklungen zu verhindern, zu mindern oder weitergehende Auswirkungen einer geistigen Behinderung zu vermeiden, muss die Behinderung so früh wie möglich erkannt werden. Die Förderung der Wahrnehmung, der Motorik, der Kommunikation und der Selbstständigkeit ist grundlegende Aufgabe der frühen vorschulischen Erziehung. Sie zielt auf die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit und folgt in der gemeinsamen Tätigkeit von Kind und Erzieherperson dem Prinzip Lernen durch Handeln.
Hierzu gehört auch das Schaffen situativer und sozialer Voraussetzungen, die Angebote der nachfolgenden Bereiche in einem für das jeweilige Kind sinnvoll ganzheitlichen Zusammenhang zusammenführen können:
– basale Stimulation,
– senso-motorische Koordination,
– Bewegungswahrnehmung, -planung und -handlung,
– Orientierung hinsichtlich des eigenen Körpers, der Raumvorstellung und der Zeitstrukturen,
– selbstständige Fortbewegungsmöglichkeit und selbstständiges Handeln,
– Spiel- und Sozialverhalten,
– Kommunikation, Sprache, Sprechen und Verstehen,
– nichtlautsprachliche Ausdrucksmöglichkeiten,
– emotionale Entwicklung, Aufbau des Selbstbewusstseins,
– geistige Entwicklung.
Alle Angebote sind einzupassen in kindgerechte Spiel-, Erlebnis- und Bewegungsaktivitäten. Dabei hängt die Wirksamkeit früher Förderung von der Art der Vermittlung ab. Frühe Förderung muss sich daher im Wesentlichen auf die Interaktion konzentrieren.
Wegen der starken emotionalen Gebundenheit des Kleinkindes an seine Beziehungsperson kann Frühförderung nur in Zusammenarbeit mit den Eltern gelingen. Der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühförderung kommt eine herausragende Bedeutung zu. Erfolgreiche Frühförderung beruht auf engem und vertrauensvollem Zusammenwirken der Eltern mit allen daran beteiligten Personen und Institutionen. Das können sein: Ärzte, Therapeuten, Gesundheitsämter, sozialpädiatrische Zentren, Frühförderstellen, Kliniken, sonderpädagogische Beratungsstellen, Kindergärten, Sonderkindergärten, schulvorbereitende Einrichtungen und Träger von Maßnahmen. In diesem Zusammenhang nehmen die Eltern eine eigene und gleichberechtigte Rolle neben den Fachleuten in der Frühförderung ein. Sie entscheiden im Rahmen ihres Sorgerechts grundsätzlich eigenverantwortlich über alle Maßnahmen, die das Kind betreffen.
Frühförderung von Kindern mit einer geistigen Behinderung ist Bestandteil der allgemeinen Angebote im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter. Sie unterliegt in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland unterschiedlichen Zuständigkeiten und führt unterschiedliche Bezeichnungen.
5.2 Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht
Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung können allgemeine Schulen besuchen, wenn für die sonderpädagogische Förderung personelle, räumliche und auch sächliche Voraussetzungen gegeben sind. Gemeinsamer Unterricht ermöglicht es Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung ebenso wie den Nichtbehinderten in besonderer Weise im sozialen Bereich voneinander zu lernen und eine Vielzahl von Anregungen auch im Leistungsbereich zu erhalten. In den notwendigen offenen Unterrichtsformen erwachsen dem einzelnen Kind oder Jugendlichen seiner individuellen Lernfähigkeit entsprechende und angemessene Angebote. Durch Beobachtungslernen können alle Schülerinnen und Schüler ihre Verhaltensmuster in Kommunikation und Sprache, in Bewegung und Umgang miteinander erweitern und differenzieren.
Die Schülerinnen und Schüler sollen so weit wie möglich in den Unterricht mit nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern einbezogen werden. Die individuellen Lernanforderungen für die behinderten Schülerinnen und Schüler sind auf deren besondere Bedürfnisse auszurichten. Die Lehrpläne der allgemeinen Schule und der Schule für Geistigbehinderte sind Grundlage und Orientierungshilfe. Die Leistungsbewertung erfolgt nach den in den Ländern geltenden Regelungen.
Die Zusammenarbeit der beteiligten Lehrkräfte ggf. unter Einbeziehen der unterrichtsbegleitenden oder therapeutischen Hilfen auch anderer Maßnahmeträger, geht über Planung und Gestaltung von Unterricht hinaus und umfasst alle Bereiche pädagogischer Arbeit. Die Sonderschullehrerin oder der Sonderschullehrer übernehmen auch Aufgaben im Rahmen des gemeinsamen Lebens der Klasse, der Zusammenarbeit mit den Eltern und anderen Fachdiensten.
Die didaktischen Grundsätze des Unterrichts, welche die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern mit einer geistigen Behinderung prägen, werden in den gemeinsamen Unterricht eingebracht. Individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Nachbereitung der Unterrichtsprozesse sind erforderlich. Darüber hinaus sind auch Ziele in Unterrichtsvorhaben für die gesamte Schulklasse aufzunehmen, die aus der individuellen Lebenssituation von Menschen mit einer geistigen Behinderung erwachsen und das soziale Miteinander fördern. Die Interessen und Bedürfnisse der gesamten Lerngruppe sind dabei zu berücksichtigen.
Der gemeinsame Unterricht verlangt eine Differenzierung in den Zielen, Inhalten und Anforderungen, damit sich das Kind oder der Jugendliche mit den ihm gemäßen Aufgaben konfrontiert sieht und die Fortschritte machen kann, die seinen individuellen Fähigkeiten entsprechen, und die als Leistung - auch im Rahmen der Lerngruppe - empfunden werden können. Darüber hinaus ist eine Differenzierung des methodischen Vorgehens nötig, um jedem Kind und jedem Jugendlichen der Lerngruppe die Lernhilfen geben zu können, die seinen Bedürfnissen entsprechen. Eine Differenzierung in den Aufgaben, im Einsatz der Medien, in Lern- und Arbeitsgruppen und in der Einzelarbeit ist zudem erforderlich. Lerngegenstände sind so aufzubereiten, dass an ihnen unterschiedliche Lernaufgaben erfüllt werden und die Ergebnisse zu einem sinnvollen Ganzen zusammengeführt werden können.
Das Aufgabenfeld der sonderpädagogischen Lehrkräfte im gemeinsamen Unterricht umfasst im Wesentlichen die Bereiche:
– Förderung der Bewegungs-, Handlungs- und Wahrnehmungsfähigkeit,
– Förderung der kognitiven, der kommunikativ-sprachlichen, der sozialen und emotionalen Entwicklung,
– Zusammenarbeit mit anderen Diensten,
– gemeinsamer Unterricht,
– Fortschreibung der Förderpläne.
Zum Aufgabenfeld aller Lehrkräfte gehören in diesem Zusammenhang
– die Bereitschaft zur Kooperation und die Berücksichtigung sonderpädagogischer, therapeutischer und pflegerischer Belange im Unterricht,
– die Förderung des gemeinsamen Lebens und Lernens in der Schule,
– die Förderung der Kontakte zu Nichtbehinderten und auch zu anderen Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen,
– die Förderung der Zusammenarbeit mit den Personen der Schule, die für Unterricht und Erziehung aller Kinder und Jugendlichen Verantwortung tragen,
– die Zusammenarbeit mit den Eltern.
5.3 Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen
Die Schule für Geistigbehinderte verfügt über die konzeptionellen, personellen, baulich-räumlichen und sächlichen Voraussetzungen für eine qualifizierte, ganzheitliche Lern- und Entwicklungsförderung. Sie wird besucht von Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung, deren Förderung in einer allgemeinen Schule nicht ausreichend gewährleistet werden kann oder deren Eltern diesen Lernort für ihre Kinder wünschen. Unterricht und Erziehung werden auf die jeweiligen Bedürfnisse des einzelnen Kindes abgestimmt und im pädagogischen Gesamtangebot für die Klasse verwirklicht. Die im Förderschwerpunkt ausgebildete Lehrkraft trägt in Zusammenarbeit mit dem Klassenteam die Gesamtverantwortung für die von ihr geleitete Klasse und koordiniert die verschiedenen Angebote.
Die Schule für Geistigbehinderte ist in Stufen oder auch jahrgangsbezogen gegliedert. Es können auch Jahrgangs- und stufenübergreifende Lerngruppen gebildet werden. Besondere Klassen für Kinder und Jugendliche mit einer schweren Mehrfachbehinderung sollen vermieden werden. Es soll über den Vormittagsunterricht hinaus ein Nachmittagsangebot vorgehalten werden, das so zu organisieren ist, dass den besonderen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen entsprochen werden kann.
5.4 Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen
Schulen für Geistigbehinderte und allgemeine Schulen sind gehalten, eine enge pädagogische Zusammenarbeit aufzubauen. Diese kann in unterschiedlichen Formen erfolgen, von gemeinsamen Vorhaben über Feste, Feiern, Schulleben, Projekte, bis hin zu Formen gemeinsamen Unterrichts.
Kooperative Formen der Förderung und Unterrichtung erschließen allen Beteiligten Möglichkeiten zur wechselseitigen Annäherung und zur Erfahrung von mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Die Begegnungen von Schülerinnen und Schülern kooperierender Schulen oder Klassen lassen soziale Beziehungen entstehen. Es entwickelt sich Verständnis füreinander. Schülerinnen und Schüler mit einer geistigen Behinderung sammeln Erfahrungen über den Raum von Familie und Sonderschule hinaus, dazu Erfahrungen in der gemeinsamen Umwelt, die eine Teilhabe am Leben im Rahmen der gesellschaftlichen Eingliederung und der Freizeitgestaltung erleichtern. Vielfach können die förderlichen Aspekte des gemeinsamen Unterrichts auch in kooperativen Formen zur Geltung kommen.
Die Einrichtung von Klassen für Geistigbehinderte in räumlicher Nähe zu Klassen der allgemeinen Schule schafft günstige Rahmenbedingungen für die angestrebte Kooperation. Es ist möglich, Klassenverbände der Schulen für Geistigbehinderte in der allgemeinen Schule aufzunehmen und sie dort am Unterricht unter Berücksichtigung der Lehrpläne beider Schulformen zu beteiligen.
Bei Schulgründungen und organisatorischen Neuregelungen sollten die Standorte der Schulen für Geistigbehinderte so gewählt werden, dass Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit allgemeinen Schulen gegeben sind. Schulneubauten sind so zu gestalten, dass gemeinsame Unterrichtung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern möglich ist.
5.5 Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren
Die Angebotsvielfalt sonderpädagogischer Förderung für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Schwerpunkt geistige Entwicklung kann zur Herausbildung sonderpädagogischer Förderzentren führen. Sonderpädagogische Förderzentren können als regionale und überregionale Einrichtungen entstehen und neben dem Förderschwerpunkt der geistigen Entwicklung andere Förderschwerpunkte einbeziehen. So können sie sonderpädagogische Förderung in präventiven, stationären, kooperativen Formen möglichst wohnortnah und fachgerecht sicherstellen.
5.6 Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Beschäftigungs- und Arbeitswelt und in das Erwachsenenleben
Die Vorbereitung auf das Erwachsenenleben soll über Bemühungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben hinaus die Jugendlichen befähigen,
– Freundschaft und Partnerschaft aufzubauen,
– sich allmählich von der Familie zu lösen und für sich möglichst selbstbestimmte Lebens- und Wohnformen zu finden,
– mit der eigenen Sexualität verantwortungsbewusst umzugehen,
– sich in der Öffentlichkeit zu orientieren und zu bewegen sowie öffentliche Einrichtungen in Anspruch zu nehmen,
– Freizeit- und Erholungsangebote auszuwählen und zu nutzen,
– sich gegenüber der natürlichen Umwelt verantwortungsbewusst und wertschätzend zu verhalten,
– ein Leben auch ohne Beruf gestalten zu können.
Der Übergang aus der allgemein bildenden Schule in die Beschäftigungs- und Arbeitswelt bedarf intensiver individueller Vorbereitung. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit der Schule mit den Eltern, der Arbeitsverwaltung, den Betrieben, den Werkstätten für Behinderte, den Berufsschulen, den Kammern, den Fachdiensten zur beruflichen Eingliederung und ggf. anderen Einrichtungen, die sich der Aufgabe der Eingliederung dieser Personengruppe annehmen, notwendig.
Sonderpädagogische Förderung in der Schule für Geistigbehinderte und in den Formen des gemeinsamen Unterrichts zielen im Rahmen der Vorbereitung auf das Erwachsenenleben unter anderem auf eine breit angelegte beschäftigungs- und ggf. berufsorientierende Bildung ab. Kooperationsformen mit beruflichen Schulen können dies fördern. Projekte und Praktika mit entsprechender fachpädagogischer Begleitung dienen der Eingliederung.
Auf die Förderung durch die allgemein bildende Schule folgt daher eine praxisorientierte Förderung als Vorbereitung und Einführung in Beschäftigung und Arbeit. Hierzu ist es notwendig, stets neue Formen der Qualifizierung zu erproben. Sonderpädagogische Förderung verhüllt auch dazu, eine Teilhabe an den sich entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien zu ermöglichen, um den veränderten Anforderungen im Leben sowie in Beschäftigung und Arbeit zu entsprechen.
6. Zusammenarbeit
Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Pädagogen, Kindern, Jugendlichen und Eltern ist für eine gezielte, ganzheitliche Förderung notwendig. Mit Einfühlungsvermögen und Verständnis für die besondere Lern- und Leistungsentwicklung sollen die Eltern von Anfang an über die Gestaltung und Ziele des Unterrichts informiert werden, bei der Erstellung von individuellen Förderplänen mitwirken und ins Schulleben aktiv einbezogen werden.
Die Schule berät sich mit den Eltern über Bildungswege, weiterführende Hilfen, therapeutische Angebote, Selbsthilfegruppen und andere Möglichkeiten der Förderung, die zur Bewältigung besonderer Probleme aber auch zur Entlastung der Familie führen können.
Im Interesse einer ganzheitlichen Förderung bedarf es zudem einer engen Zusammenarbeit zwischen Schule, Gesundheits-, Sozial- und Jugendämtern, schulpsychologischen, schul- und fachärztlichen Diensten, Einrichtungen der Frühförderung, Arbeitsämtern, Kammern, gegebenenfalls Betrieben und Erziehungsberatungsstellen. Es sind Verbindungen zwischen verschiedenen Fach- und Dienstleistungsbereichen sowie Maßnahmeträgem herzustellen, unterschiedliche Förder- und Hilfeleistungen zu koordinieren, damit verfügbare Kompetenzen und Ressourcen effektiv eingesetzt und genutzt werden können. Hierzu sind gegenseitige Information, Transparenz der Maßnahmen und eine verlässliche Arbeitsteilung erforderlich.
7. Einsatz und Qualifikation des Personals
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung macht den Einsatz von Teams erforderlich. Sonderschullehrerinnen und Sonderschullehrer mit fachrichtungsbezogener Ausbildung in Verbindung mit der Ausbildung in anderen sonderpädagogischen Fachrichtungen arbeiten mit pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über eine sonderpädagogische Zusatzausbildung verfügen sollten. Therapeutische Kräfte und gegebenenfalls weitere Betreuungs- und Pflegekräfte werden ebenfalls je nach Bedarf in die Teamarbeit einbezogen. Eine Vernetzung mit außerschulischen Institutionen ist anzustreben.
Die im Förderschwerpunkt ausgebildeten Lehrkräfte sollen über Kompetenzen in allen Aufgabenbereichen der sonderpädagogischen Förderung von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung verfügen. Dazu gehören auch die Vermittlung der Kulturtechniken unter erschwerten Bedingungen und die Anbahnung lebenspraktischer Fertigkeiten. Die Lehrkräfte sind zu befähigen, an verschiedenen Lernorten wirksam zu werden.
Die Ausbildung der sonderpädagogischen Lehrkräfte muss die Breite und Struktur des jeweiligen Tätigkeitsbereiches und dessen Anforderungen an die einzelnen Personen gewährleisten. Sie vermittelt die Grundkompetenz für die Ziele und Aufgaben der Pädagogik für Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung, auch für solche mit schwerer Mehrfachbehinderung.
Unabdingbare Qualifikationsmerkmale sind Kenntnisse über Schweregrad und Ausprägung der geistigen Behinderung, deren Begleiterscheinungen und mögliche psychosoziale Zusammenhänge und Auswirkungen. Die Lehrkräfte müssen besonders befähigt sein, auf der einen Seite Nähe zu gestalten und andererseits Distanz herzustellen sowie Erwartungen und Erfahrungen mit anderen zu erörtern und abzustimmen. Kenntnisse über die basalen Wahrnehmungsprozesse, über die Entwicklung geistiger Fähigkeiten, die Formen der Ausdrucks- und der lautsprachlichen und nicht lautsprachlichen Kommunikationsförderung müssen situations-bezogen und flexibel umgesetzt werden können.
Die in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen durch Teamsitzungen, Beratungen, Hospitationen, Fortbildungsveranstaltungen und Weiterbildungsmaßnahmen regelmäßig aktualisiert und erweitert werden.
8. Schlussbestimmungen
Die „Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Geistigbehinderte", Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 9. Februar 1979, werden hiermit aufgehoben.
I.A. Erhard
Ministerialdirektor
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