Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören
DE - Landesrecht Bayern

Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören

Nachstehend werden in Ergänzung zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland (KMBek vom 16. September 1994, KWMBl I S. 458) die von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland am 10. Mai 1996 beschlossenen Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Hören bekannt gemacht:

1.1  Allgemeines

Sonderpädagogische Förderung soll das Recht der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf im Bereich des Hörens, der auditiven Wahrnehmung, des Spracherwerbs, der Kommunikation sowie des Umgehen-Könnens mit einer Hörschädigung auf eine ihren persönlichen Möglichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen. Sie soll die Schüler und Schülerinnen mit Hörschädigungen zur Eingliederung in die Welt der Hörenden befähigen und auf die Gemeinschaft mit den Hörgeschädigten vorbereiten. Aus diesem Grunde arbeitet sie an der Entwicklung der Sprache und des Sprechens und unterstützt die Kommunikationsfähigkeit. Sie trägt zur Identitätsfindung und Persönlichkeitsbildung Hörgeschädigter bei, vor allem durch Gestaltung vielfältiger Kontakte zu anderen Menschen, wobei auch manuelle Kommunikationsmittel einbezogen werden. Gebärdensprachliche Kommunikationsformen werden situationsentsprechend und in Abhängigkeit zur Hör- und Kommunikationsfähigkeit berücksichtigt.
Sonderpädagogische Förderung orientiert sich grundsätzlich an den Unterrichts- und Erziehungszielen der allgemeinen Schulen. Darüber hinaus hat sie eigenständige Bildungsaufgaben zu erfüllen, die sich aus der Lebenswirklichkeit Hörgeschädigter ergeben. Sie fördert vor allem den Spracherwerb und führt hin zur Sprachkompetenz. Sie verringert die Auswirkungen einer Hörschädigung und baut kompensatorische Fähigkeiten auf. Die sonderpädagogische Förderung unterstützt und begleitet die Kinder und Jugendlichen mit Hörschädigungen durch individuelle Hilfen, um für sie ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbstständiger Lebensgestaltung zu erlangen.

1.2  Pädagogische Ausgangslage

Eine Hörschädigung oder Beeinträchtigung der auditiven Wahrnehmung bei Kindern und Jugendlichen ist verbunden mit sprachlichen und psycho-sozialen Folge- und Begleiterscheinungen. So sind die Wahrnehmung und Verfügbarkeit von Sprache sowie das Sprechen und die Kommunikation ebenso betroffen wie die Wahrnehmung und das Verstehen der sozialen und sächlichen Umwelt.
Bei Hörgeschädigten bestehen in der Regel vom frühen Lebensalter an Schwierigkeiten, vor allem gesprochene Sprache aufzufassen. Eine von früher Kindheit an beeinträchtigte Sprachaufnahme führt zu Verzögerungen im Sprachenverb, zur Einschränkung des passiven und aktiven Sprachbesitzes. Der unvollständige Erwerb und die lückenhaften Kenntnisse grammatischer Formen und Satzstrukturen wirken sich negativ auf Sprachverständnis und mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch aus. Begriffe sind oft nicht bekannt, auf den konkreten Wortinhalt oder auf einen Teilinhalt eingeengt. Schwierigkeiten gibt es bei der Bildung von Oberbegriffen. Die Sinnentnahme aus Texten und das Sprachverstehen werden durch eingeschränkte Beherrschung der Grammatik und der syntaktischen Strukturen beeinträchtigt.
Die Hörschädigung als eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Wahrnehmung hat Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung von Kindern und Jugendlichen, wobei vor allem die Bereiche
– der emotionalen und sozialen Entwicklung,
– der körperlichen und motorischen Entwicklung,
– der Entwicklung des sprachlogischen Denkens,
– der geistigen Entwicklung,
– des Lern- und Leistungsverhaltens, zu nennen sind.
– Es ist daher Aufgabe sonderpädagogischer Förderung, das Bedingungsgefüge der Hörschädigung - ihre Ausgangspunkte und Entwicklungsdynamik zu erkennen. Das Ausmaß der Folgen einer Hörschädigung wird im Einzelfall durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt:
– Beginn der Hörschädigung,
– Art und Grad der Hörschädigung,
– Beginn und Art der durchgeführten Fördermaßnahmen,
– Versorgung mit technischen Hilfen,
– Kommunikation und Spracherfahrung,
– Lern- und Leistungsverhalten,
– Einstellung und Verhalten von Bezugspersonen und Umwelt.
– Es ist eine weitere Aufgabe sonderpädagogischer Förderung, die Bedeutung der Schädigung für den Bildungs- und Lebensweg des Kindes oder Jugendlichen einzuschätzen. Die Hörschädigung führt zu einer für die jeweilige Art der Schädigung charakteristischen Informationseinbuße und damit zu Beeinträchtigungen im emotionalen, sozialen und kognitiven Bereich. Die mit der Hörschädigung verbundenen Störungen in den Entwicklungsbereichen erschweren das Erfassen und Herstellen von Beziehungen zwischen wahrgenommenen Ereignissen sowie die Bildung zeitlicher, ursächlicher und bedingungsmäßiger Verknüpfungen. Der Mangel an sozialen Kontakten führt zu einem Mangel an sprachlichen Begegnungen, umgekehrt erschwert der Mangel an Sprachkompetenz die sprachliche Interaktion. Damit werden die Möglichkeiten der Deutung von Wahrgenommenem und die Einordnung von Einzelheiten in einen Sinnzusammenhang sowie das Erkennen von sozialen Bezügen beeinflusst. Aus all dem erwachsen Hemmnisse für Identitätsfindung und Persönlichkeitsbildung.
– Es ist Aufgabe, die sonderpädagogische Förderung in Erziehung und Unterricht so zu verwirklichen, dass die Betroffenen fähig werden, ein Leben mit einer Hörschädigung sowohl in sozialer Begegnung mit Hörenden als auch mit Hörgeschädigten sinnerfüllt zu gestalten und - wann immer möglich - eine weitergehende Kompensation der negativen Auswirkungen der Behinderung anzustreben.
– Es ist Aufgabe, dass sich sonderpädagogische Förderung an der individuellen und sozialen Situation des hörgeschädigten Kindes oder Jugendlichen orientiert. Sie muss die persönlichkeits- und sozialbezogene Vorbereitung auf künftige Lebenssituationen einschließen. Sie muss dazu beitragen, dass Hörgeschädigte zu einem positiven Selbstwertgefühl kommen und selbstbewusste Persönlichkeiten werden. Sonderpädagogische Förderung gibt daher begleitende, auf die Hörschädigung bezogene Hilfen mit dem Ziel, bestehende Abhängigkeiten und Hemmnisse soweit wie möglich zu überwinden. Dies bedeutet, dass bei der Gestaltung des Unterrichts Freiräume und Entscheidungskompetenzen der Lehrkräfte ausgeschöpft werden, damit besondere Aufgabenschwerpunkte gesetzt werden können. Dazu gehören Hörerziehung, Wahrnehmungslernen, Sprachenverb, Artikulation, Absehen, taktiles Empfinden, manuelle Kommunikationsmittel und rhythmisch-musikalische Erziehung. Auch müssen die Unterrichtsinhalte eine vertiefende Behandlung erfahren, die mangelnde Umwelterfahrung der Kinder beachtet sowie deren Interessen berücksichtigt werden, um eine Förderung im gesamten psycho-sozialen Bereich zu gewährleisten.
Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen in der Regel gegeben. Sie bedürfen in Erziehung und Unterricht der sonderpädagogischen Unterstützung. Dabei sind auch häufig therapeutische und soziale Hilfen weiterer, außerschulischer Maßnahmenträger notwendig. Hörgeschädigte Kinder und Jugendliche bilden jedoch keine einheitliche Gruppe. Art und Grad der Hörbeeinträchtigung, Ergebnisse der bisherigen Förderung, weitere Behinderungen und Gegebenheiten des Umfeldes bestimmen einen unterschiedlichen Förderbedarf.
Sonderpädagogischer Förderbedarf wird im Rahmen einer breit angelegten, interdisziplinären Verlaufsdiagnostik ermittelt. Art und Grad der individuellen Hörbeeinträchtigung, persönliche Fähigkeiten, Lernstärken und Lernschwächen, Entwicklungsverläufe, Interessen und Zukunftserwartungen sowie das erzieherische und sprachliche Umfeld des Kindes oder Jugendlichen müssen bedacht werden.
Daher sind für Art und Umfang der sonderpädagogischen Förderung die Voraussetzungen und Möglichkeiten der elementaren Bereiche der Entwicklung wie Wahrnehmung, vor allem auditive Wahrnehmung, Motorik, Motivation, sprachliche Kommunikation in Laut-, Schrift- und Gebärdenformen, Interaktion, Emotionalität und Kreativität in eine Kind-Umfeld-Analyse einzubeziehen.
Besondere Anforderungen an eine individuelle Förderung stellen zunehmend Kinder und Jugendliche mit schweren Mehrfachbehinderungen, wodurch die inhaltliche Ausformung der Förderung weitere Schwerpunkte erfährt. Bei hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen mit schweren Mehrfachbehinderungen sind verschiedene Förderschwerpunkte insbesondere zur Sicherstellung einer basalen Förderung zu beachten. Liegen zusätzliche Behinderungen vor, so ist in Teilbereichen mit geringerer Belastbarkeit, herabgesetzter Konzentrationsfähigkeit, verminderter Ausdauer und weiteren Lernerschwerungen zu rechnen. Sonderpädagogische Förderung schließt so z.B. bei Taubblinden spezifische Maßnahmen ein, vor allem bei der Gestaltung des Unterrichts, bei der Bereitstellung von Hilfen und Medien, bei der Sprachentwicklung, bei der Pflege und bei der Gewährleistung räumlicher Voraussetzungen.
Der sonderpädagogische Förderbedarf wird im Blick auf den Einzelnen festgelegt. Mit der Bestimmung und Beschreibung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist ein komplexes Verständnis von Hörsprachbehinderung verbunden, das die Bedeutung für den Bildungsweg der Betroffenen über Frühförderung, Schule, Berufsausbildung und Freizeitbereiche, die Folgen für die Aneignungsweisen sowie für das Sprach- und Lernverhalten in den Vordergrund rückt. Der sonderpädagogische Förderbedarf Hörgeschädigter umfasst daher unterschiedliche Aufgaben der Förderung:
– Eine zentrale Förderaufgabe ist die
Die Entwicklung der Sprache und die dafür notwendige Auswahl der muttersprachlichen Mittel erfolgen handlungsorientiert, betrachten die Sprachsituation, richten sich nach den Bedürfnissen des Kindes oder des Jugendlichen und berücksichtigen Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten der allgemeinen Sprachentwicklung. Die Sprachentwicklung ist umso erfolgreicher, je mehr die außerschulische Wirklichkeit einbezogen wird und je mehr die Erziehungsberechtigten insbesondere während der Phase der Frühförderung mitwirken.
Die sonderpädagogische Förderung zielt darauf, die sprachliche Kommunikationsfähigkeit zu entwickeln und zu fördern. Hierzu sind die Anwendungsbereiche sprachlicher Inhalte und Formen zu verdeutlichen. Der Wortbestand ist zu erweitern und zu sichern, Wort- und Satzstrukturen sind zu erarbeiten.
– Hörgeschädigte, die nicht über Lautsprache als primäres Kommunikationsmittel verfügen, sind auf den
Hörgerichtete Erziehung dient im Besonderen
– der Verbesserung der auditiven Wahrnehmung, der auditiven Erfassung sprachlicher Strukturen, dem Auffassen rhythmischer, dynamischer, prosodischer und melodischer Merkmale der Sprache,
– der Erarbeitung antizipierender Schemata für das Erfassen sprachlicher Inhalte,
– der Verbesserung des Sprachgedächtnisses,
– der Sprechgliederung.
Erziehung zur Hörgerichtetheit ist unabdingbarer Bestandteil der Gesamterziehung des Unterrichts. Sie erweist sich auch bei sehr geringem Hörvermögen als notwendig und nützlich. Voraussetzungen sind die bestmögliche Anpassung und frühestmögliche Gewöhnung an die ständige Nutzung technischer Hörhilfen sowie deren sachgerechter und pfleglicher Einsatz. Eine ständige Überprüfung der Hörhilfen auf Funktionsfähigkeit ist unerlässlich.
– Die Schulung des
Aufgaben der Abseherziehung sind vor allem
– Ausweitung und Durchgliederung der visuellen Wahrnehmung,
– Schulung gerichteter visueller Wahrnehmung,
– Hilfestellung bei der Einordnung der Wahrnehmungsinhalte in Zusammenhänge,
– Koppelung der -visuellen Wahrnehmung mit dem auditiven Wahrnehmen sowie dem taktilen Empfinden.
– Schulung der
Fördermaßnahmen der Sprechfertigkeit sind
– Hörerziehung,
– basale Schulung der Motorik,
– Stimm- und Atemübung,
– rhythmisch-melodische Sprecherziehung,
– Artikulation von Einzellauten und Lautgefügen,
– Übung von Sprechbewegungsabläufen,
– therapeutische Maßnahmen bei individuellen Sprechschwierigkeiten,
– Sicherung des Lautbestandes.
– Technische Hilfen sollen auch zur
– kompensatorische Nutzung taktiler und akusto-vibratorischer Impulse für die Spracherkennung,
– Einbeziehung taktiler und akusto-vibratorischer Empfindungen bei der Korrektur des Sprechverhaltens,
– planmäßige Übungen zur Verfeinerung des taktilen und akusto-vibratorischen Wahrnehmens sowohl isoliert als auch unter Einbeziehung anderer Sinnesgebiete.
– Sonderpädagogische Förderung im
Das Erlernen vielfältiger sozialer Normen, Spielregeln und Verhaltensweisen erfordert die wirklichkeitsnahe und damit erlebnisnahe Begegnung und Auseinandersetzung mit Personen, Institutionen, Sachen, Bezügen, die für die Lebensgestaltung des Hörgeschädigten bedeutsam sind. Sozialerziehung muss daher über die Schule hinaus in den Freizeitbereich hineinwirken.
Kommunikation ist Grundlage sozialer Beziehungen. Sie fördert die Fähigkeit, außersprachliche und sprachliche Informationen in den mannigfachen Formen zwischenmenschlicher Begegnung anzuwenden. Dabei soll den hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen bewusst werden, dass soziale Kommunikation mehr ist als korrekter Sprachgebrauch. Es ergeben sich dazu folgende Aufgaben:
– Aufgreifen, Bewusst machen und Vermitteln der Bedeutung außersprachlicher Informationen sowie deren bewusster Einsatz,
– Vermittlung sozial bestimmter Sprachmittel,
– Einübung von Gesprächsformen.
Die Schüler und Schülerinnen müssen darauf vorbereitet werden, dass soziale Integration eigener Anstrengungen bedarf und dass die Möglichkeiten der beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung auch Grenzen haben.
Rollenspiel, szenische Darstellungen und andere Formen des Sich-Darstellens verhelfen dazu, soziales Verhalten einzuüben, sich selbst besser verstehen zu lernen und soziale Beziehungen zu erhellen und das Gelernte miteinander zu verbinden.
Die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Ermittlung des individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort. Förderung erfolgt in und durch allgemeine Schulen, Schulen für Gehörlose, Schulen für Schwerhörige oder Förderzentren. Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs findet statt in der Verantwortung von Schule und Schulaufsicht, die entweder selbst über eine auf den Förderschwerpunkt Hören bezogene sonderpädagogische Kompetenz und ausreichende Erfahrungen in der schulischen Förderung Hörgeschädigter verfügen oder fachkundige Beratung hinzuziehen.

3.1  Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs

Bei der Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sind die diagnostischen Fragestellungen auf ein qualitatives und ein quantitatives Profil der Fördermaßnahmen gerichtet, das Grundlage sein soll für die angestrebte Empfehlung. Es sind Art und Umfang des hörbehinderungsbedingten Förderbedarfs zu erheben; darüber hinaus sind im konkreten Einzelfall gegebenen und organisierbaren Formen der Förderung in der Schule abzuklären, die das Kind oder der Jugendliche besucht oder besuchen soll.
Für die Ermittlung sonderpädagogischen Förderbedarfs können Informationen aus folgenden Bereichen wichtig sein:
– Beeinträchtigungen des peripheren und zentralen Hörvermögens,
– Beeinträchtigungen durch eine Hörschädigung,
– Beeinträchtigungen durch spätes Erkennen der Hörschädigung,
– Berücksichtigung der besonderen Situation Cochlea-Implantierter,
– neurogene Beeinträchtigungen beim Spracherwerb,
– Erleben und Verhalten, Handlungskompetenzen und Aneignungsweisen,
– Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung, insbesondere im Bereich des Hörens, aber auch anderer Sinnesfunktionen,
– Entwicklungs- und Leistungsstand,
– soziale Einbindung,
– pädoaudiologische Daten,
– Hörgeräte oder Cochlea-Implantat-Anpassung,
– Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit in lautsprachlichen und manuellen Kommunikationsformen, auch in der Schrift,
– individuelle Erziehungs- und Lebensumstände,
– schulisches Umfeld und Möglichkeit zu einer Veränderung,
– berufliches Umfelds und erforderliche Fördermöglichkeiten.
Das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs wird von den Erziehungsberechtigten, den volljährigen Schülern und Schülerinnen selbst, der Schule oder von anderen zuständigen Diensten beantragt und bezieht die Kompetenzen der an der Förderung und Unterrichtung beteiligten beziehungsweise zu beteiligenden Personen auf geeignete Weise ein. Die Erkenntnisse und Daten über den sonderpädagogischen Förderbedarf werden interdisziplinär gewichtet und abgestimmt sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Erziehungsberechtigten zu einer Empfehlung zusammengefasst, die in einen Förderplan einmündet. Die diagnostischen Ergebnisse von einschlägigen Fachärzten, gegebenenfalls auch Hörgeräteakustikern, Psychologen und anderen Fachpädagogen sind dabei zu berücksichtigen.

3.2 Entscheidung über den Bildungsgang und den Förderort

Auf der Grundlage der Empfehlung und unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten sowie unter Beachtung der jeweils gegebenen oder bereitstellbaren Rahmenbedingungen entscheiden Schulen und Schulaufsicht, ob der Schüler oder die Schülerin in die allgemeine Schule aufgenommen wird oder dort verbleibt, erforderlichenfalls mit Unterstützung sonderpädagogischer Dienste, oder Unterricht und Förderung in einer Schule für Gehörlose, in einer Schule für Schwerhörige, durch ein Förderzentrum, in einer Schule für Taubblinde oder in kooperativen Formen erhält. In diese Entscheidung kann auch die Inanspruchnahme von Einrichtungen mit ergänzenden Betreuungs- oder Ganztagesangeboten einbezogen werden.
Hörgeschädigte Schüler und Schülerinnen mit weiteren Behinderungen, die nach dem Lehrplan der Schule für Lernbehinderte
Bei jeder einzelnen Entscheidung sind zu berücksichtigen:
– Art und Umfang des Förderbedarfs,
– Stellungnahme der Erziehungsberechtigten, gegebenenfalls beratender Gremien,
– Fördermöglichkeiten der allgemeinen Schulen,
– Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals,
– Verfügbarkeit technischer, apparativer Hilfsmittel sowie spezieller Lehr- und Lernmittel, gegebenenfalls baulich-räumliche Voraussetzungen,
– Verfügbarkeit hörgeschädigtenspezifischer mobiler Dienste.
Für hörgeschädigte Schüler und Schülerinnen besteht die Notwendigkeit, Sprache vom Munde abzusehen. Sitzordnung und Raumgestaltung sollten es ermöglichen, dass die Sprache antlitzgerichtet und frei von akustischen Störfaktoren wahrgenommen werden kann und dass Benutzer manueller Kommunikationsmittel die sprachlichen Zeichen sehen können.
Vor diesem Hintergrund ist derjenige Förderort zu wählen, der auf bestmögliche Weise den Förderbedürfnissen des Kindes oder Jugendlichen, seiner Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung gerecht werden und auf die gesellschaftliche Eingliederung sowie auf berufliche Anforderungen vorbereiten kann. Die Entscheidung über den individuellen Förderbedarf erfordert eine sonderpädagogische Überprüfung in geeigneten Abständen.

4.1  Erziehung

Es müssen Erziehungssituationen und -zusammenhänge hergestellt werden, in denen sich die Schüler und Schülerinnen mit ihren Fähigkeiten und Neigungen, mit ihren Motiven, Fragen und Zielvorstellungen als handelnde Personen erleben und begegnen können. Ein offenes und anregungsreiches Erziehungsumfeld soll es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich für die Übernahme bisher nicht vertrauter sozialer Rollen, für die persönliche Erprobung neuer Aufgaben und für ein möglichst selbstverantwortetes Leben und Lernen zu entscheiden. Die Bildungsziele und -inhalte sollen sich an den voraussichtlich zu erwartenden Anforderungen im späteren persönlichen und beruflichen Lebenszusammenhang ausrichten.
Erziehung soll über die Auseinandersetzung mit der Behinderung und den Reaktionen der Umwelt auf die Behinderung dazu beitragen, die eigene Persönlichkeit zu festigen und diese sicher zu machen im Umgang mit der Behinderung und anderen Menschen. Grundlage hierzu ist das Wissen um die verschiedenen Grade der Behinderungen und ihre möglichen Auswirkungen.
Erziehung bezieht stets die momentane Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen ein und zielt auf das künftige Leben in der hörenden Lebens- und Arbeitswelt sowie auf das Leben in Gemeinschaften von Hörgeschädigten. Erziehung greift die unterschiedlichen Reaktionen der hörenden Umwelt auf die Hörgeschädigten auf und gibt Einblick, wie Vorurteile zwischen Hörenden und Hörgeschädigten entstehen und abgebaut werden können. Sie stärkt den Hörgeschädigten darin, in Kommunikationssituationen mit Hörenden auf seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen.
Durch Kontakte mit Vereinen und Verbänden erleben hörgeschädigte Kinder und Jugendliche, wie sie während und nach der Schulzeit soziale Kontakte mit Hörgeschädigten und Hörenden pflegen können.
Erziehung befähigt dazu, technische Hilfsmittel, die Hörgeschädigten den Alltag erleichtern, anzunehmen und soziale Hilfen und technische Möglichkeiten für Schwerbehinderte zu nutzen.

4.2  Unterricht

Dem Unterricht ist grundsätzlich der Lehrplan zugrunde zu legen, der dem vergleichbaren Bildungsgang der allgemeinen Schule entspricht. Der Sprachunterricht ist qualitativ und quantitativ dem jeweiligen Bildungsgang sowie der bereits erworbenen Sprachkompetenz des Kindes oder Jugendlichen anzupassen. Der sonderpädagogische Förderbedarf hat Konsequenzen für die didaktisch-methodischen Entscheidungen bei der Gestaltung des Unterrichts. Unterricht ist entsprechend den erschwerten Lernbedingungen der Schüler und Schülerinnen zu modifizieren. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen erfordern eine Differenzierung des Unterrichts. Für Schüler und Schülerinnen mit Lernschwächen oder Lernrückständen sind ergänzende Fördermaßnahmen anzubieten. Um die gleichen Lernziele und Abschlüsse zu erreichen, können die Bildungsinhalte über mehr Jahrgangsstufen verteilt werden als bei den vergleichbaren allgemeinen Schulen.
Aufgabe des Unterrichts in den unteren Jahrgangsstufen ist es vor allem, die bei den einzelnen Schülern und Schülerinnen unterschiedlich vorhandenen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erfassen und durch geeignete Methoden zu vertiefen und zu erweitern. Im Unterricht ist zu berücksichtigen, wie weit das hörgeschädigte Kind schon im Frühförderungsbereich gelernt hat, sich sprachlich zu verständigen und soziale Beziehungen aufzunehmen.
Um jene Bildungsziele zu erreichen, die für weiterführende Qualifikationen festgelegt sind, sollen dem Unterricht an Schulen für Gehörlose und an Schulen für Schwerhörige Lehrpläne anderer weiterführender Schularten zugrunde gelegt werden.
Schüler und Schülerinnen mit Hörschädigungen, die weiterführende Schulen besuchen, verfügen häufig nicht über eine altersgemäße Sprachfähigkeit. Darum muss in weiterführenden Bildungsgängen gezielt an der Festigung und Erweiterung der Sprachfähigkeit gearbeitet werden. Der erfolgreiche Besuch weiterführender Bildungsgänge setzt gerade bei Hörgeschädigten ein überwiegend positives Lernverhalten und erhöhte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft voraus.
Auch in berufsbezogenen Bildungsgängen kann auf die Förderung der Sprache und des Sprechens nicht verzichtet werden. Es sind darum Lehrgänge in Absehen, Hörtraining, Hörtaktik und in der Nutzung technischer Hilfsmittel anzubieten: manuelle Kommunikationshilfen sind zu berücksichtigen.
Die Lernbedingungen sind insgesamt so zu gestalten, dass die Hörschädigung und ihre Folgen den Erwerb des erforderlichen Wissens und Könnens möglichst wenig behindern:
– Die Lehrkräfte müssen über die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer Hörschädigung hinreichend informiert sein, um ihre Erziehungsmaßnahmen und den Unterricht behinderungsgemäß und individuell gestalten zu können. Dazu gehören auch gebärdensprachliche Kommunikationskompetenzen.
– Die hörgeschädigten Schüler und Schülerinnen bedürfen solcher Klassen und Gruppen, in denen durch begrenzte Schülerzahl, günstige Lichtverhältnisse, angemessene Raumakustik sowie das kommunikative Verhalten der Lehrkräfte und Mitschüler die Sprachwahrnehmung über Ohr und Auge sichergestellt ist.
Grundlage für die Lernorganisation bildet nicht nur ein fachgebundenes Vorgehen im Unterricht, sondern auch eine fächerübergreifende Planung in Verbindung mit dem Sprachunterricht. Sie verlangt Formen, die einen lebensnahen, altersgemäßen und behinderungsbezogenen Umgang mit den Unterrichtsgegenständen ermöglichen:
– Es ist dafür zu sorgen, dass der Unterrichtsverlauf in einem ausgewogenen Wechsel von Konzentration und Entspannung verläuft, da hör- und antlitzgerichtete Kommunikation und sprachliche Verarbeitung hohe Anforderungen an Hörgeschädigte stellen.
– Der Anschauung kommt in den Schulen für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche ein besonderer didaktischer Stellenwert zu. Sie tritt häufig an die Stelle des interpretierend-vermittelnden Wortes und schafft Motivation für Lernprozesse.
– Wegen der eingeschränkten Möglichkeiten Hörgeschädigter, sich die Zusammenhänge der Welt auditiv und sprachlich zu erschließen, sind handelnde Auseinandersetzung und Begegnung mit der Welt im fächerübergreifenden Unterricht wichtige Aufgaben. Das selbstständige Entdecken führt zu eigenständigem Lösen von Problemen und zu erlebnismäßig vertieften Erfahrungen.
– Das veränderte Wahrnehmungs- und Auffassungsvermögen erfordert eine individuell angemessene Unterstützung der Lernvorgänge. Diese erfolgt z.B. durch Zielangaben, prägnante Zusammenfassungen, Skizzen, Grafiken, Symbole, Verlaufsdiagramme, gegliederte Tafelbilder, Arbeitsblätter, variablen Medieneinsatz.
– Die Schwierigkeit, Beziehungen sprachlich auszudrücken, erfordert Überprüfung des Sinnverständnisses und vielfache Übung. Möglichkeiten bieten unter anderem Beschriftung von Schemazeichnungen, Lückentexte, Fragen und Mehrfachwahl-Antwort, Kennzeichnung von unbeschrifteten Bildern, Ratetexte, Demonstrationen, Berichte, Kontrollfragen, Rollenspiel, darstellendes Spiel, Pantomime.
– Die Verlangsamung des Lernprozesses aufgrund der kommunikativen Beeinträchtigung erfordert eine häufigere Zusammenfassung des bereits Erarbeiteten und dessen visuelle Veranschaulichung.
Die Hörschädigungen sowie der dazugehörige Wissens- und Erfahrungsmangel erschweren die Wahrnehmung und erfordern deshalb den erhöhten Einsatz von Unterrichtsmedien, die als Informationsträger auf Verstehen und Erleben abgestimmt sind. Erfahrungsgemäß werden Texte der allgemeinen Schulen von Hörgeschädigten vielfach nicht gänzlich erfasst. Sie sind hinsichtlich ihrer sprachlichen Anforderungen häufig zu komplex und schwierig hinsichtlich der Wortwahl und der Satzstrukturen. Die Texte können Hörgeschädigte in der Darstellung der Sachinformation überfordern, weil sie deren fehlende Vorerfahrung nicht berücksichtigen. Daher müssen Medien für den behinderungsspezifischen Gebrauch aufbereitet beziehungsweise hergestellt werden.
Medien werden durch die Schule angeboten. Zur notwendigen Ausstattung gehören neben zweckmäßig beleuchteten und speziell raumakustisch ausgerüsteten Klassenräumen nach heutigem Standard insbesondere
– Modelle, Bilder, Dias, Filme, TV-Aufzeichnungen, Karten, Experimentiergeräte, Bücher, Lernprogramme,
– Klassenverstärkeranlagen oder geeignete elektroakustische Kommunikationssysteme, Computer, Hörtrainer, audio-taktile Hilfen,
– Möglichkeiten zur Aufbereitung und Erstellung von Medien wie Aufnahme-, Kopier-, Schneid- und Titelgeräte, Untertitelgeräte, auch für audiovisuelle Medien,
– auditive, visuelle und motorisch-taktile Strukturierungshilfen.
Die notwendige Ausstattung erfolgt nach in den Ländern geltenden Regelungen.
Beim Einsatz von audiovisuellen und auditiven Medien ist die Informationsverarbeitung durch geeignete pädagogische Maßnahmen abzusichern, weil die Kinder nicht nur unvollständig hören, sondern auch nicht auf ein Absehbild zurückgreifen können.
Die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit den Förderschwerpunkten im Bereich des Hörens, der auditiven Wahrnehmung, des Spracherwerbs und des Umgehen-Könnens mit einer Hörschädigung bezieht alle Schulstufen und Schularten ein; sie hat zu einer Vielfalt von Förderformen und Förderorten geführt. Es entwickeln sich vermehrt Formen der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen, an unterschiedlichen Lernorten. Vorbeugende Maßnahmen erfahren eine hohe Bewertung.

5.1  Sonderpädagogische Förderung durch vorbeugende Maßnahmen

Frühe Lernprozesse sind für die Entwicklung hörgeschädigter Kinder von grundlegender Bedeutung. Um Entwicklungverzögerungen und Fehlentwicklungen zu verhindern, zu mindern oder weitergehende Auswirkungen einer Hörschädigung zu vermeiden, muss die Hörschädigung so früh wie möglich erkannt werden. Fördermaßnahmen müssen sofort nach dem Erkennen der Hörschädigung einsetzen.
Der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Frühförderung kommt eine herausragende Bedeutung zu. Erfolgreiche Frühförderung beruht auf engem und vertrauensvollem Zusammenwirken von Hausärzten, Kinderärzten, HNO-Ärzten und ihren Diensten, Gesundheitsämtern, Hörgeräteakustikern, Pädoaudiologischen Beratungsstellen, Sozialpädiatrischen Zentren, Erziehungsberatungsstellen, Kindergärten, Sonderkindergärten, Schulvorbereitenden Einrichtungen und vor allem dem Elternhaus.
Die Förderung kommunikativer Fähigkeiten ist eine grundlegende Aufgabe der frühen vorschulischen Erziehung. Sie zielt auf die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit und fördert alle notwendigen Funktionen der Entwicklung. Fördermaßnahmen erfolgen in der gemeinsamen Tätigkeit von Kind und Erziehungspersonen. Dazu sind situative und soziale Voraussetzungen zu schaffen und auf die kindlichen Bedürfnisse abgestimmte Förderangebote zu machen:
– Förderung der Spielfähigkeit und des Sozialverhaltens,
– Hörerziehung,
– sprachentwickelnde und sprachfördernde Maßnahmen,
– Förderung der Sensomotorik,
– Förderung der gerichteten Aufmerksamkeit,
– Umwelt- und Sachbegegnung,
– emotionale Erziehung,
– kognitive Bildung,
– pädoaudiologische Förderung.
Zu den Organisationsformen im Bereich der Frühförderung gehören:
– Pädoaudiologische Beratungsstelle,
– Hausfrüherziehung,
– Beratung und Unterstützung im Kindergarten,
– Sonderkindergarten, Sonderschulkindergarten, Schulvorbereitende Einrichtung,
– Eltern- und Kind-Kurs.
Vorbeugende sonderpädagogische Maßnahmen in der Schule können neben der Förderung der Kinder und Jugendlichen auch die gemeinsame Beratung der Sonderschulkräfte mit Lehrkräften der anderen Schulen, mit den betroffenen Eltern sowie besondere Förderung einer Schülerin beziehungsweise eines Schülers umfassen. Je nach Notwendigkeit im Einzelfall gehört auch die Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen, Beratungsdiensten und Fachleuten dazu.

5.2  Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht

Hörgeschädigte Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf können allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische Unterstützung sowie die sächlichen und die räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden können. Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören vor allem, die Möglichkeit Sprache vom Munde abzusehen durch eine geeignete Sitzordnung, günstige Lichtverhältnisse, angemessene Raumakustik, dazu die Versorgung mit elektroakustischen und anderen technischen Hilfsmitteln und die sonderpädagogische Förderung durch Lehrkräfte mit entsprechender sonderpädagogischer Befähigung. Eine angemessene Schülerzahl muss mitbedacht werden. Es sind individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Kontrolle der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der beteiligten Lehr- und Fachkräfte zwingend erforderlich. Zudem ist eine inhaltliche, methodische und organisatorische Einbeziehung .pädagogischer Maßnahmen, sind auch individuelle behinderungsspezifische Inhalte in die Unterrichtsvorhaben für die gesamte Schulklasse vorzusehen, da dies für alle Kinder von Bildungswert ist. Äußere Differenzierungen für spezifische Fördermaßnahmen können aber auch erforderlich sein.
Das Aufgabenfeld der Sonderschulkräfte umfasst im Wesentlichen die Bereiche
– Förderung des hörgeschädigten Kindes beziehungsweise Jugendlichen bei Entwicklung der Lautsprache, bei Hörerziehung und bei Förderung des Absehens, des Sprechens und des taktilen Empfindens sowie
– Zusammenarbeit mit anderen Diensten.
Zum besonderen Aufgabenfeld aller Lehrkräfte gehören in diesem Zusammenhang
– Bereitschaft zur Kooperation und die Berücksichtigung sonderpädagogischer Belange im Unterricht,
– Förderung des gemeinsamen Lernens,
– Förderung der Kontakte zu Nichtbehinderten,
– Förderung der Zusammenarbeit mit allen Personen der Schule, die für die Bildung der Hörgeschädigten Verantwortung tragen und
– Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten.

5.3  Sonderpädagogische Förderung in Sonderschulen

Kinder und Jugendliche mit den Förderschwerpunkten im Bereich des Hörens, der auditiven
Wahrnehmung, des Spracherwerbs, der Kommunikation sowie des Umgehen-Könnens mit einer Hörbeeinträchtigung, deren Förderung in allgemeinen Schulen nicht ausreichend gewährleistet werden kann, werden in Schulen für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche in entsprechenden Bildungsgängen unterrichtet. Schüler und Schülerinnen mit Hörschädigungen und zusätzlichen Behinderungen besuchen die Sonderschulen, in denen sie am besten gefördert werden können. Von besonderer Bedeutung ist im Blick auf die Lernortfrage der förderbedürftigen Schüler und Schülerinnen das verantwortungsvolle Zusammenwirken einer Schule für Gehörlose und einer Schule für Schwerhörige im gleichen Einzugsbereich.
Soweit erforderlich können mit den Schulen verbundene Schülerinternate die Förderung der Schule ergänzen. Dazu sind Kenntnisse über den jeweiligen Sprachstand und die Erziehungsbedürfnisse sowie die Verwendung spezifischer Hilfen für die sprachliche Kommunikation Voraussetzung. Um einen möglichst engen Kontakt zu Familie und Hörenden sicherzustellen, sollen die Internatsschüler jedes Wochenende im Elternhaus verbringen.

5.4  Sonderpädagogische Förderung in kooperativen Formen

Schulen für Gehörlose, Schulen für Schwerhörige und Förderzentren sollen eine enge pädagogische Zusammenarbeit mit allgemeinen Schulen aufbauen. Kooperative Formen der Unterrichtung und Förderung erschließen allen Beteiligten Möglichkeiten zur wechselseitigen Annahme und zur Erfahrung von mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander.
Häufig werden die Möglichkeiten der Hörgeschädigten nicht angemessen eingeschätzt, weil die Auswirkungen einer Hörschädigung nicht erfasst werden. Es werden Schwierigkeiten nicht gerecht bewertet, denen sich Hörgeschädigte im sozialen Miteinander gegenüber gestellt sehen, weil sie die Vielzahl der Regeln und Verhaltensnormen bei sozialen Begegnungen nicht hörend erfahren und auch nicht sicher anwenden können. Dies kann bei Hörgeschädigten zu Verunsicherung führen.
In kooperativen Formen sollen die Schüler und Schülerinnen durch gezielte Maßnahmen befähigt werden, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und zu pflegen. Sozialerziehung ist sowohl Bestandteil aller schulisch-kooperativen Lernprozesse als auch eigenständiger Lernbereich.
Hörgeschädigte Schüler und Schülerinnen lernen in Begegnungen mit Hörenden, ihre Behinderung aus der Sicht der Hörenden zu verstehen. Sie können erkennen, dass andere Menschen ihnen mit bestimmten Erwartungen begegnen, die sie nicht immer erfüllen können. Sie müssen zunehmend verstehen, keine überhöhten Erwartungen an ihre hörenden Partner zu stellen. Die Schüler und Schülerinnen sind dabei zu ermutigen, sich zu ihrer Behinderung zu bekennen und ihre Interessen in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Kooperative Formen ermöglichen gemeinsames Leben und Lernen Behinderter und Nichtbehinderter, sie fördern das Miteinander und tragen zur Durchlässigkeit der Schularten bei. Sie begünstigen gemeinsame Unterrichtsanteile und den Übergang von Schülern und Schülerinnen aus Schulen für Gehörlose und Schulen für Schwerhörige in allgemeine Schulen. Auch eine räumliche Zusammenführung von Klassen der Schulen für Gehörlose und der Schulen für Schwerhörige mit Klassen der allgemeinen Schulen kann geeignete Rahmenbedingungen für die angestrebte Kooperation schaffen. Bei Schulgründungen soll der Standort der Schulen für Gehörlose oder der Schulen für Schwerhörige so gewählt werden, dass eine Zusammenarbeit der beiden Schulformen sowie mit allgemeinen Schulen bestmöglich sichergestellt wird.

5.5  Sonderpädagogische Förderung im Rahmen von sonderpädagogischen Förderzentren

Die Angebotsvielfalt sonderpädagogischer Förderung für Hörgeschädigte kann zur Herausbildung sonderpädagogischer Förderzentren führen. Sonderpädagogische Förderzentren als regionale oder überregionale Einrichtungen können neben dem Förderschwerpunkt Hören andere Förderschwerpunkte einbeziehen. Sie stellen sonderpädagogische Förderung in präventiven, integrativen, stationären und kooperativen Formen möglichst wohnortnah und fachgerecht sicher.

5.6  Sonderpädagogische Förderung im berufsbildenden Bereich und beim Übergang in die Arbeitswelt

Die Berufswahl hörgeschädigter junger Menschen ist von Art und Grad der Hörschädigung, von der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit, der sozialen Kompetenz, dem geistigen Leistungsvermögen und den Anforderungsprofilen der einzelnen Berufe abhängig. Eine möglichst erfolgreiche Berufswahlvorbereitung beruht auf einer engen Zusammenarbeit zwischen den hörgeschädigten Jugendlichen, dem Elternhaus, der Schule und der Berufsberatung.
Schulische Maßnahmen fördern berufsbezogene Fähigkeiten wie Geschicklichkeit, Genauigkeit, Phantasie, Kreativität, Sorgfalt und Ausdauer, vor allem eine berufsspezifische Sprache und Kommunikation. Diese Fähigkeiten unterliegen bei Hörgeschädigten Einflussfaktoren wie etwa:
– Umgebungseinflüsse wie Lärm in Verbindung mit Aufnahmestörungen des Hörgerätes; Beleuchtungsverhältnisse in Verbindung mit Absehen vom Munde,
– Arbeitsbedingungen und Bereitschaft der Mitarbeiter zur Lösung kommunikativer Schwierigkeiten,
– Anforderungen an die sprachliche Gewandtheit und den kommunikativen Austausch,
– Erschwernisse bei Aufgabenstellungen mit hohem Sprachanteil.
Betriebserkundungen und Betriebspraktika sind wertvolle Orientierungshilfen. Notwendig sind gründliche Vorbereitung und Nachbereitung sowie die Begleitung durch die Schule. Die Maßnahme der Berufsberatung muss frühzeitig einsetzen und in enger Zusammenarbeit zwischen Elternhaus, Schule und Berufsberatung stattfinden, um gemeinsam Wege zur Berufsfindung aufzuzeigen und auf Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und auf berufliche Ausbildungsmöglichkeiten hinzuweisen.
Unter Berücksichtigung des Grades der Hörschädigung, ihrer Ausprägung und der individuellen Situation kann die Förderung in einem Berufsbildungswerk mit folgenden Angeboten notwendig sein:
– Berufsfindung und Arbeitserprobung sowie Berufsvorbereitung,
– Berufsausbildung,
– Sozialdienst, ärztlicher und psychologischer Dienst,
– Internat,
– Zusammenarbeit zwischen den Jugendlichen, den Rehabilitationspartnern, den Kammern, der Arbeitsverwaltung, den Fachdiensten, den Erziehungsberechtigten sowie den Ausbildern.
Es werden jungen Menschen mit Hörschädigungen Wege zu einer qualifizierenden Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf oder, wo dies nicht durchführbar erscheint, in einem für Behinderte vorgesehenen Ausbildungsberuf eröffnet, um damit die Voraussetzungen für eine dauerhafte Eingliederung in die Arbeitswelt zu schaffen. Soweit dies nicht möglich ist, muss eine an die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Jugendlichen angepasste Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit und selbstständige Lebensführung angeboten werden. Die Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte kommt dann in Betracht, wenn durch Art und Schwere der Hörschädigung, verbunden mit einer zusätzlichen geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderung, eine berufliche Ausbildung und eine anschließende Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind.
Bei Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufgrund einer Hörschädigung ist sofort nach dem Erkennen der Hörschädigung eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Erziehungsberechtigten und dem Personal von Frühförderung, Kindergarten, Schule und Internat erforderlich. Die Zusammenarbeit hat zum Ziel, die Ausprägung der Hör-Sprachbehinderung und damit der Kommunikationsstörung zu begrenzen und einer Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung entgegenzuwirken. Im Vordergrund steht das Nutzen wichtiger Phasen der Entwicklung der Sinnesgerichtetheit, der Sprache und des Sprechens sowie des Gebrauchs gebärdensprachlicher Kommunikationsmittel. Ebenso zielt die Zusammenarbeit von Elternhaus und Frühförderstelle oder Schule auf die emotionale und soziale Entwicklung.
Hinweise der Erziehungsberechtigten auf Erleben und Verhalten des Kindes auch außerhalb der Schule werden in die sonderpädagogische Förderung einbezogen. Zudem müssen die Erziehungsberechtigten über wichtige Beobachtungen und die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in der Schule informiert werden. Beide Seiten beraten sich gemeinsam über entsprechende Förderangebote und -maßnahmen. Häusliche und schulische Möglichkeiten ergänzen sich. Gegenseitiger Austausch von Beobachtungen, Erfahrungen und Informationen führen zu einer partnerschaftlichen Abstimmung der Erziehungsziele und Erziehungsstile.
Das schulbegleitende Heim und die schulbegleitende Tagesstätte haben die Aufgabe, durch Betreuung während der unterrichtsfreien Tageszeiten den Besuch schulischer Einrichtungen zu ermöglichen und zu erleichtern. Darüber hinaus gewähren sie sonderpädagogische Förderung, indem sie vor allem in den Bereichen der lebenspraktischen Fähigkeiten, des sozialen Zusammenlebens und einer sinnvollen Freizeitgestaltung wirken. Somit sind Heim und Tagesstätte wichtige Partner bei der Erziehung hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher. Eine unverzichtbare Voraussetzung für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit zum Wohle der Kinder und Jugendlichen ist die Abstimmung pädagogischer Absichten und Methoden zwischen Elternhaus, Heim oder Tagesstätte und Schule. Schwierigkeiten, die sich aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Berufsgruppen ergeben können, sollen in regelmäßigen gemeinsamen Dienstkonferenzen bereinigt werden. Damit soll der Erfahrungsaustausch, den ein Team mit Mitarbeitern mit unterschiedlicher Ausbildung bietet, genutzt werden.
Die Ausbildung des Personals muss Breite und Struktur des jeweiligen Tätigkeitsbereiches und dessen Anforderungen an die einzelnen Personen berücksichtigen. Sie vermitteln nicht nur die Grundkompetenz für die Aufgaben der Hörgeschädigtenpädagogik, sondern auch einen Überblick über den Gesamtbereich der Erziehung und Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ein wesentliches Merkmal der Qualifikation ist pädoaudiologische Kompetenz der Lehrkräfte.
Der verantwortliche Einsatz gebärdensprachlicher Kommunikationsmittel erfordert für die Lehrerschaft Kenntnis manueller Kommunikationsformen und die Fähigkeit, diese schülerangemessen und sprachsituationsbezogen zu gebrauchen. Sowohl der Erwerb der manuellen Kommunikationsmittel als auch der fortwährende Austausch über diese Sprachsysteme muss in der Lehrerausbildung sowie durch Veranstaltung der Lehrerfortbildung und durch Weiterbildungsmaßnahmen in Kursen erfolgen.
Insgesamt ist zur Sicherung der Qualität der sonderpädagogischen Förderung mit den Schwerpunkten des Hörens, der auditiven Wahrnehmung, des Umgehen-Könnens mit einer Hörschädigung, der Kommunikation und der Sprache eine regelmäßige fachliche, bei Bedarf auch länderübergreifende Fortbildung unabdingbar. Dies trifft in ganz besonderem Maße für das Personal in der Frühförderung zu. In den Fortbildungsangeboten ist jeweils auch der Kooperations- und Abstimmungsbedarf mit anderen Fachgebieten zu berücksichtigen, der sich durch die fachliche Arbeitsteilung ergibt. Die Herstellung und Sicherung eines fachlichen Standards der Arbeit in der Hörgeschädigtenpädagogik verlangen eine ständige Ergänzung, Auffrischung und Erweiterung der fachlichen und auch personalen Kompetenz. Über Ausbildung und Begleitung vor Ort hinaus müssen daher auch berufsbegleitende Fortbildungen ermöglicht werden, um die Berufserfahrung mit neuen Methoden und Kompetenzen zu bereichern. Unterschiedliche individuelle Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen und die häufig notwendige Abstimmung individueller Fördermaßnahmen mit Instanzen im Umfeld von Schule machen es erforderlich, dass sich die Schule auch im Bereich der Fortbildung für die Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften öffnet.
Die „Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Gehörlose (Sonderschule) “ - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 30. Mai 1980 -und die „Empfehlungen für den Unterricht in der Schule für Schwerhörige (Sonderschule)" - Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 30. August 1981 - werden hiermit aufgehoben.
I.A. J. Hoderlein
Ministerialdirektor
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