Darstellung Deutschlands im Unterricht
Mit dem 3. Oktober 1990 ist die staatliche Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit Wirklichkeit geworden. Das Ende der 40-jährigen deutschen Zweistaatlichkeit geht einher mit dem Ende der Teilung Europas und der Chance eines Neubeginns.
Der staatlichen Einheit muss das Zusammenwachsen im Inneren folgen. Nach wie vor gilt die Aussage des damaligen Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit im Oktober 1990: „Es ist das Plebiszit eines jeden Tages, aus dem sich der Charakter unseres Gemeinwesens ergeben wird. “
Zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands in Verbindung mit der friedlichen Einigung Europas hat das Schulwesen seinen Beitrag zu leisten.
1. Ausgangslage
„Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. “ Dieses 1949 in der Präambel des Grundgesetzes formulierte Ziel wurde mit der Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland am 3. Oktober 1990 erreicht. Eine wesentliche Voraussetzung dafür waren die Auflösungs- und Demokratisierungsprozesse im damaligen sowjetischen Machtbereich, die - auch unter dem erheblichen Druck der Ausreisewilligen - den schnellen Zusammenbruch des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems in der DDR zur Folge hatten.
Mit der Herstellung der Einheit in einem demokratischen Staatswesen wurde eine neue Phase der deutschen Geschichte eingeleitet. Außenpolitisch wird sie getragen von einem in internationale Vertragsgemeinschaften eingebundenen Staat, der die uneingeschränkte völkerrechtliche Souveränität besitzt und dessen Grenzen durch entsprechende vertragliche Bestimmungen festgelegt sind. Innenpolitisch stand an ihrem Anfang ein in der deutschen Geschichte einzigartiger gewaltfreier Aufstand in der DDR, der zunächst vor allem von Bürgerrechtlern, innerkirchlichen und ökologischen Gruppen, sehr bald aber von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen und zur politischen Macht entwickelt wurde. Im Verlauf dieser Entwicklung ist der Ruf „Wir sind das Volk! “ durch die Willensbekundungen „Wir sind ein Volk! “ und „Deutschland, einig Vaterland! “ ergänzt und schließlich ersetzt worden.
Die Vereinigung hat dazu geführt, dass zwei deutsche Gesellschaften zusammenwachsen müssen, die sich als Folge der 40-jährigen Teilung in wesentlichen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens verschieden entwickelt haben und für eine Übergangszeit auch weiterhin deutliche Unterschiede aufweisen werden. Verständigung und Zusammenwachsen können nur in Rücksichtnahme auf diese Unterschiede gelingen.
Der Vereinigungsprozess vollzieht sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Biographien, Alltagserfahrungen und -interpretationen. Für die Jugendlichen fällt dabei der gegenwärtige Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland zusammen mit ihrem Hineinwachsen in die Gesellschaft und ihrem Bestreben, eine eigene, selbstverantwortete Existenz aufzubauen. Die Beschäftigung mit sich hieraus ergebenden Fragen, deren Beantwortung in Folge des Vereinigungsprozesses und aufgrund wirtschaftlicher Strukturveränderungen regional und lokal unterschiedlich ausfallen wird, bietet für die pädagogische Arbeit in der Schule wichtige Anknüpfungspunkte, um Verständnis für die unterschiedlichen Bildungen in den Ländern zu vermitteln sowie Bereitschaft dafür zu wecken, das Zusammenwachsen in Deutschland gemeinsam zu gestalten.
2. Aufgaben der Schule
2.1 Die deutsche Frage und die Vereinigung
Die wichtigsten Teilbereiche der später so bezeichneten „deutschen Frage “, die staatliche Ordnung des deutschen Sprach- und Kulturraums, die Gestaltung des Verhältnisses von zentralen Institutionen und Partikulargewalten, die Schwierigkeiten der Abgrenzung von Staatsvolk und Staatsgebiet sowie das Verhältnis zu den europäischen Nachbarn, sind Ergebnis der Entwicklung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation seit dem Mittelalter. Im Westfälischen Frieden 1648 wurde das Reich als ein Verband von Einzelstaaten mit wenigen gemeinsamen Einrichtungen und rechtlichen Bindungen festgeschrieben, der eine Machtkonzentration im Zentrum Europas ausschließen sollte. Mit dem Ende des Reiches 1806 stellte sich die Aufgabe einer dauerhaften politischen Ordnung in diesem Raum neu.
Basierend auf den Ideen der Aufklärung, der Französischen Revolution und des Widerstands gegen die napoleonische Besatzungspolitik gewann in der Zeit der Freiheitskriege der Wunsch nach der Schaffung eines deutschen Nationalstaats mit freiheitlicher Verfassung eine starke Dynamik. Das Ergebnis des Wiener Kongresses, ein dynastisch geprägter Bund aus 35 Fürstenstaaten und vier Freien Städten, stieß in Teilen der Bevölkerung auf entschiedene Ablehnung. Alle Anläufe zur Durchsetzung nationaler und liberaler Ideen in der Zeit der Restauration und des Vormärz wurden jedoch unterdrückt.
Die Revolution von 1848/49 stellte einen entschlossenen politischen Ansatz zur Bildung eines freiheitlich verfassten deutschen Nationalstaats dar. Bei den Verfassungsberatungen in der Frankfurter Paulskirche zeigten sich bezüglich der Abgrenzung von Staatsgebiet und Staatsvolk (kleindeutsche oder großdeutsche Lösung) und der Staatsform erhebliche Schwierigkeiten. Hinzu kam der Widerstand Preußens und Österreichs, die rasch wieder bestimmende Kräfte der Politik wurden. Auch auf Seiten der europäischen Mächte gab es Vorbehalte gegen Einheitspläne, die ihre Interessen zu gefährden schienen. Selbst wenn die Paulskirche ihre Ziele letztlich nicht erreichte, bleibt es doch ihr Verdienst, eine Verfassung verabschiedet zu haben, die zur Grundlage künftiger deutscher Verfassungen geworden ist.
Die Reichsgründung von 1871 schuf einen nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft sehr mächtigen Staat. Er wurde teilweise als Störung eines nur mühsam aufrechterhaltenen europäischen Gleichgewichts empfunden. Die Außenpolitik Bismarcks bemühte sich daher um Zurückhaltung und Ausbalancierung der Kräfte. Als diese Politik aufgegeben wurde, entstanden Konstellationen und Interessenkonflikte, die schließlich zum Ersten Weltkrieg und zum Ende der Monarchie in Deutschland führten.
Der föderativen Grundstruktur des Reichs stand das faktische Übergewicht Preußens gegenüber. Da die Regierung dem Parlament nicht verantwortlich war und die Verfassung die Grundrechte nicht garantierte, war auch die Entwicklung einer vom Staatsbürger ausgehenden und auf seine Teilhabe gegründeten politischen Kultur stark beeinträchtigt.
Mit der Weimarer Republik wurde zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein Staatswesen geschaffen, in dessen föderativer Verfassung auf dem Hintergrund der Ideen von 1848/49 die Freiheit des Individuums, der Schutz seiner Rechte und seine politische Mitwirkung verankert waren. Die Grundrechte wie die Stellung des Parlaments konnten jedoch vom Reichspräsidenten durch Notstands- und Ausnahmeregelungen stark eingeschränkt werden. Die Festlegungen des Versailler Vertrages bezüglich der Grenzen Deutschlands und seiner Stellung in der internationalen Staatengemeinschaft erschwerten einen Ausgleich zwischen den Interessen der europäischen Nachbarn und dem Anspruch der Deutschen auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Dies bot Ansatzpunkte für eine nationalistische Propaganda, der es gelang, die Schwierigkeiten und Probleme, die Kaiserreich und Weltkrieg hinterlassen hatten, der Republik und ihren politischen Führern anzulasten. Teile der Eliten in Staat, Gesellschaft und Militär verweigerten sich der Republik; dies gehörte zu den Voraussetzungen des Aufstiegs radikaler antidemokratischer Parteien, die die vorhandene Staats- und Gesellschaftsform erbittert bekämpften. Die Weltwirtschaftskrise wurde auf diesem Hintergrund zum Auslöser einer politischen Krise, welche schließlich mit der „Machtergreifung “ der Nationalsozialisten das vorläufige Ende der Demokratie in Deutschland brachte.
Der Nationalsozialismus beseitigte die föderativen Strukturen, schuf einen totalitären Einheitsstaat, der alle Lebensbereiche seiner Bürger zu kontrollieren suchte, und benutzte seine völkische Ideologie zur Unterdrückung und Terrorisierung Andersdenkender. Auch für die Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden sowie der Angehörigen von Minderheiten lieferten die mythisch überhöhten Begriffe „Rasse “ und „Nation “ die Begründung. Nach außen diente die darauf basierende Ideologie als Rechtfertigung einer Expansionspolitik, die im Zweiten Weltkrieg zur Zerstörung weiter Teile Europas führte.
Nach der bedingungslosen Kapitulation war Deutschland als eigenständiger politischer Faktor ausgeschaltet, es wurde von den vier Siegermächten besetzt, die Gebietsteile östlich der Oder und der Lausitzer Neiße wurden unter polnische beziehungsweise sowjetische Verwaltung gestellt. Die gegen das „Dritte Reich “ gebildete Koalition zerfiel aufgrund weltanschaulicher Gegensätze und politischer Interessen schon bald in zwei sich feindlich gegenüberstehende Blöcke. Die UdSSR richtete in ihrem Machtbereich eine kommunistisch geprägte Zwangsherrschaft ein, während die Westmächte in ihren Besatzungszonen den Aufbau freiheitlicher und demokratischer Einrichtungen förderten. Die 1948 beginnende Blockade Berlins durch sowjetische Truppen war ein sichtbares Zeichen für das Ende der alliierten Vier-Mächte-Verwaltung und für den Anfang der mehr als 40-jährigen Teilung Deutschlands, der schließlich 1949 in der Bildung zweier Staaten ihren Ausdruck fand.
Mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde - auch in Anlehnung an Ideen und Prinzipien des Widerstands gegen den Nationalsozialismus - an die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte angeknüpft. Die Präambel betonte, dass dies auch im Namen derer geschah, denen ein Mitwirken versagt war. Sie hielt an der Einheit Deutschlands fest und schuf damit die Grundlage für politische Entwicklungen, die schließlich zur Vereinigung vom 3. Oktober 1990 führten.
Aufgabe der Schule ist es, deutlich zu machen, dass die Schaffung eines deutschen Nationalstaats von Anfang an mit einer Beantwortung der Fragen nach der Abgrenzung von Staatsgebiet und Staatsvolk, nach einer freiheitlichen und demokratischen Verfassung, einer ausgewogenen föderativen Struktur und nach einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Nachbarn verbunden ist. Den Schülern soll bewusst werden, dass es mit der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 erstmals in der neueren Geschichte gelungen ist, diese Fragen im Zusammenhang zu beantworten und so wesentliche Grundlagen für eine Zukunft in Frieden und Freiheit zu schaffen.
2.2 Politische und vertragliche Grundlage der Vereinigung
Deutsche Frage und Deutschlandpolitik standen nach 1945 stets in enger Wechselbeziehung zur Entwicklung des internationalen Mächtesystems und waren für die beiden 1949 gebildeten Staaten in Deutschland auf dem Hintergrund von Blockbildung und Kaltem Krieg eingebettet in die Politik des jeweiligen Bündnisses.
Seit ihrer Gründung betrieb die Bundesrepublik Deutschland eine Politik der Verständigung und Freundschaft gegenüber dem Westen mit dem Ziel der europäischen Einigung. Die gelungene Westintegration wurde zum Fundament einer Politik der Öffnung und Kooperation auch gegenüber dem Osten.
Die seit Mitte der 60er-Jahre betriebene neue Ostpolitik der Bundesregierung, die entschiedene Haltung des westlichen Bündnisses in der Frage der Nachrüstung, der spürbare Wandel in Ostmitteleuropa sowie die seit Mitte der 80er-Jahre durch eine grundlegende Öffnung gekennzeichnete Politik in der Sowjetunion leiteten einen neuen Abschnitt in den internationalen Beziehungen ein und schufen damit die Rahmenbedingungen für die friedliche Revolution in der DDR.
Der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland “ vom 12. September 1990, die Verträge über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom 9. November 1990 beziehungsweise Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik vom 27. Februar 1992 sowie der Vertrag zwischen Deutschland und Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze vom 14. November 1990 bekräftigten die Anerkennung der im Gefolge des Zweiten Weltkriegs festgelegten Grenzen durch das vereinte Deutschland in völkerrechtlich verbindlicher Weise. Konsens bestand auch darüber, dass das vereinte Deutschland Mitglied bestehender internationaler Vertragsgemeinschaften bleiben werde.
Es ist
2.3 Verhältnis zu den Nachbarn
Der vom nationalsozialistischen Regime am 1. September 1939 als Eroberungskrieg begonnene und mit der bedingungslosen Kapitulation und dem vollständigen Zusammenbruch des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 beendete Zweite Weltkrieg hat auch zum Verlust der Jahrhunderte lang überwiegend von Deutschen besiedelten und kulturell geprägten Gebiete Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg und Schlesien sowie zur Vertreibung der Deutschen aus diesen Gebieten und aus ihren Siedlungsgebieten in der ehemaligen Tschechoslowakei geführt.
Die während der letzten Kriegsmonate und nach Kriegsende geflohenen, umgesiedelten und gewaltsam vertriebenen deutschen Bewohner dieser Gebiete verloren ihre Heimat. Sie ist seit 1945 zur Heimat von Russen, Polen und Tschechen geworden, deren Anspruch auf eine gesicherte Zukunft in diesen Gebieten inzwischen durch Verträge anerkannt ist.
Die Zusammenarbeit Deutschlands mit Frankreich, begründet im deutsch-französischen Kooperationsvertrag vom 22. Januar 1963, und den anderen westlichen Nachbarn ist ein Beispiel dafür, wie Verständigung und Aussöhnung möglich und lebendig werden können. Die genannten Verträge mit unseren östlichen Nachbarn sind auf das Ziel gerichtet, auch zwischen Deutschen, Russen, Polen und Tschechen ein gleich gutes und enges Verhältnis herzustellen, das der gemeinsamen Zugehörigkeit zum europäischen Kulturkreis entspricht. Ein Weg in diese Richtung führt über die Erinnerung an die Jahrhunderte lang miteinander durchlebte, von vielen gegenseitigen Verbindungen geprägte Geschichte und die Pflege der zum Teil in fruchtbarem Zusammenwirken geschaffenen Kultur als gemeinsames Erbe. Darüber hinaus ist die Bundesrepublik Deutschland allen Deutschen, die außerhalb der Grenzen Deutschlands leben, so auch im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, in besonderer Weise verpflichtet.
Es ist
2.4 Das vereinte Deutschland in Europa
Der „Vertrag über die Europäische Union “ vom 7. Februar 1992 sowie der am 1. Januar 1993 Wirklichkeit gewordene Europäische Wirtschaftsraum, der die Europäische Union und die Europäische Freihandelszone umfasst, sind entscheidende Etappen auf dem Weg zur europäischen Einigung. Die geografische und politische Lage des vereinten Deutschlands wird durch die Tatsache bestimmt, dass es nunmehr Nachbar von neun Staaten ist. Damit besitzt Deutschland im Prozess des zusammenwachsenden Kontinents eine wichtige Brücken- und Integrationsfunktion. Mit der Auflösung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Blockbildung in Europa ist Deutschland aufgrund seiner Lage zum wichtigsten Durchgangs- und Transitland zwischen allen Teilen des Kontinents geworden.
Der Kreis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaften mehrmals erweitert worden. Zwischen den Völkern und Staaten in Europa sind vielfältige Kontakte und Verbindungen entstanden, die dazu führen, dass Europa immer mehr als gemeinsamer Raum erfahren und verstanden wird. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang das Bekenntnis Deutschlands zu einem gemeinsamen Haus Europa, in dem sich alle Staaten und Völker in freier Selbstbestimmung einrichten. Dabei kommt es darauf an, gerade vor dem Hintergrund des deutschen Einigungsprozesses ein Europa mit föderativen Strukturen zu schaffen, das die Erhaltung der kulturellen Eigenarten, der gesellschaftlichen Vielfalt, eine ausgewogene Wirtschaftsentwicklung und Bürgernähe von Entscheidungen in den Mitgliedstaaten gewährleistet.
Es ist
2.5 Unterschiedliche Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands
Obwohl das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der Deutschen beiderseits der Grenze auch nach 1945 über die Jahrzehnte hinweg erhalten geblieben ist, gingen viele in Ost und West noch bis 1989 eher davon aus, dass die Konsequenz des Zweiten Weltkrieges ein auf unabsehbare Zeit geteiltes Deutschland sein würde. Gleichzeitig entwickelten sich beide Staaten in Deutschland in politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und auch kultureller Hinsicht auseinander.
Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen im real existierenden Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung sowie der Versuch der totalen Vereinnahmung des Individuums und der Familie brachten für die Menschen in der DDR erhebliche Belastungen mit sich. Gleichwohl hatten Selbstbehauptung und Widerstand Einzelner eine beträchtliche Ausstrahlung, weshalb diese umso unnachgiebiger verfolgt wurden. Auf der anderen Seite der Grenze boten mehr als vier Jahrzehnte Aufbau und Gestaltung von parlamentarischer Demokratie, Rechtsstaat, sozialer Marktwirtschaft und pluralistischer Gesellschaft auf der Basis der Wertmaßstäbe des Grundgesetzes für den Einzelnen vielfältige Möglichkeiten der Entfaltung und Mitwirkung. Gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen um den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Anspruch der Verfassung waren dabei ein wichtiger Motor für demokratischen und sozialen Fortschritt. Die Frage nach der Bewertung einer mehr als 40 Jahre dauernden Lebensspanne während der Teilung stellt sich vor diesem Hintergrund für die Menschen in den alten und in den neuen Ländern in unterschiedlicher Weise. Nicht zu übersehen ist, dass die Bevölkerung in der ehemaligen DDR trotz schlechterer Ausgangsbedingungen und eines Systems politischer Unfreiheit erhebliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leistungen erbracht hat. Sie bedürfen im Interesse der Verständigung und des Zusammenwachsens einer differenzierten Würdigung.
Der für viele überraschend schnelle und tief greifende Wechsel der Verhältnisse kann, auch wenn viele Bürger ihn seit Jahren herbeigesehnt hatten, nur allmählich bewältigt werden. Der Prozess des Zusammenwachsens wird voraussichtlich noch lange andauern. Er fordert alle Deutschen gleichermaßen heraus, und er bringt zum Teil große und schwierige Veränderungen in allen Lebensbereichen mit sich. Die Herstellung sozial gerechter und gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen ist ein wichtiges Ziel deutscher Innenpolitik. Eine angemessene Verteilung der hieraus resultierenden Lasten stellt Staat und Gesellschaft vor schwierige Aufgaben.
Mit zunehmendem Abstand von der Periode der Teilung ergibt sich das Problem der historischen Wahrheit über diese Zeit. Hierzu bedarf es der gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte der Teilung Deutschlands, der Entwicklung der deutschlandpolitischen Lage sowie der Beziehung zwischen den beiden Staaten in Deutschland. Zur gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte der Teilung gehört auch die Aufdeckung begangenen und erlittenen Unrechts und von Gewaltmaßnahmen. Der brutal niedergeschlagene Aufstand des 17. Juni 1953, der Bau der Mauer im August 1961, der Aufbau eines allumfassenden Bespitzelungssystems und die hermetische Abriegelung der Grenze durch die Machthaber in der DDR sind dafür Zeugnis.
Millionen Bewohner des Gebietes der DDR flüchteten in den 40 Jahren ihres Bestehens in die Bundesrepublik Deutschland, viele Oppositionelle wurden zu Haftstrafen verurteilt oder zum Weggang gezwungen. Hunderte kamen beim Versuch, die Grenze zu überqueren, zu Tode.
Insbesondere seit der zweiten Hälfte der 80er-Jahre fand der Widerstand gegen das Zwangssystem der DDR seinen Ausdruck in einer wachsenden Anzahl oppositioneller Gruppen. Trotz Bespitzelung, politischer Verfolgung und Ausbürgerungsdruck entwickelten sich diese Gruppen weiter zur gesellschaftlichen Demokratiebewegung, die im Herbst 1989 in den gewaltfreien Aufstand in der DDR mündete und zum Zusammenbruch des politischen Systems führte.
Die mit dem politischen System der DDR gemachten Erfahrungen sind für die Zukunft nur dann fruchtbar, wenn sie zu einem wesentlichen Inhalt der politischen Bildung im vereinten Deutschland werden. Auf die Beschlussempfehlung und den Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur “ vom 13. Mai 1992 (Deutscher Bundestag, Drucksache 12/2697 vom 17. Mai 1992) wird verwiesen.
Es ist
2.6 Das Grundgesetz als normativer Orientierungsrahmen für die innere Vereinigung
Die unserer Verfassung zugrunde liegenden Prinzipien und Wertvorstellungen bilden einen wichtigen Maßstab für die Bewertung der historischen Entwicklung in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Nach der Vereinigung sind sie zugleich Ausgangspunkt für die Herausbildung eines demokratischen Konsenses sowie für die Weiterentwicklung von Demokratie und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die erfahrbare Anerkennung und Wirkung des Grundgesetzes als normativer Orientierungsrahmen entzieht einer nachträglichen Idealisierung der Verhältnisse in der ehemaligen DDR den Boden. Allerdings können unterschiedliche Erfahrungen und ideologische Prägungen, die das politische und gesellschaftliche Leben im Osten und Westen Deutschlands in der zurückliegenden Zeit gekennzeichnet haben, nicht unberücksichtigt bleiben. Dazu gehört, dass für die Menschen im Osten Deutschlands die Unterbrechung demokratischer Traditionen durch Willkürherrschaft, politische Entmündigung und weltanschaulichen Dogmatismus länger gedauert hat als für die Menschen im Westen.
Es ist
2.7 Nachdenken über ein nationales Selbstverständnis
Die Veränderungen in Deutschland haben gezeigt, dass nicht allein ökonomische und soziale Tatbestände, politische und institutionelle Bedingungen menschliches Denken und Handeln beeinflussen. Die Gemeinsamkeit von Sprache, Geschichte und Kultur haben auch in der Zeit der politischen Teilung Deutschlands fortgewirkt und den Deutschen das Bewusstsein ihrer Zusammengehörigkeit vermittelt. Gerade in den kulturellen Dimensionen von Sprache, Literatur, Kunst, Musik und Architektur, Wissenschaft, Philosophie und Religion haben sich die Menschen in Zeiten äußerer Bedrängnis über die Grenzen hinweg Freiräume zur Kommunikation und zu Begegnungen erhalten.
Mit der Vereinigung treffen nunmehr Einstellungen, Erfahrungen und Werthaltungen aufeinander, die nach langen Jahren der Trennung, in gewisser Weise auch der Entfremdung, neu aufeinander bezogen werden müssen.
Die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur liefert Anknüpfungspunkte für ein Nachdenken über das Selbstverständnis des Einzelnen als Staatsbürger und als Angehöriger einer Nation sowie über die eigene Nation als Ort der Verwirklichung demokratischer Freiheitsrechte und sozial gerechten Zusammenlebens. Über die Auseinandersetzung kann zugleich deutlich werden, dass die kulturelle Entwicklung in Deutschland zu allen Zeiten mit denen in anderen, insbesondere den europäischen Nachbarländern verknüpft war und von diesen beeinflusst ist. Auch die so entstandene kulturelle Vielfalt hat zu einer Bereicherung geführt und ihren Niederschlag in einer Vielfalt von Lebensformen in der Gesellschaft gefunden.
Nationales Selbstverständnis und Nationalismus stehen in Geschichte und Gegenwart häufig in einem problematischen Verhältnis zueinander. Seit der Französischen Revolution gibt es viele Beispiele dafür, wie kurz der Weg von der Idee der Nation zum Nationalismus ist und wie rasch dieser zur Bedrohung für die Nachbarn werden kann. Viele Verfechter eines deutschen Nationalstaats im Vormärz glaubten fest an die Verbrüderung der frei und selbstständig gewordenen Nationen in Europa. Die Nationalidee war auf diese Weise eng mit der Anerkennung des Eigenwerts der benachbarten Völker, ihrer Kultur und ihrer Traditionen verbunden. Nationalismus dagegen setzt auf Abgrenzung, Abwertung anderer Völker und Kulturen sowie auf die Verabsolutierung der eigenen Interessen.
Es ist
Vor dem Hintergrund einer eigenen leidvollen Vergangenheit ist im Unterricht eine Auseinandersetzung mit den Ursachen, Wirkungsweisen und Folgen des Nationalismus unverzichtbar. Dabei muss auch der unterschiedliche Umgang mit diesem Teil gesamtdeutscher Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR aufgezeigt werden.
Das Thema der Deutschen Einheit sowie Fragen zur Bedeutung und Tradition nationaler Symbole sind geeignet, mit den Schülerinnen und Schülern den Sinn und die Funktion von Gemeinschaften bis hin zur eigenen Nation zu erörtern. In diesem Zusammenhang kommen dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober sowie den demokratischen Traditionen aus der Zeit vor 1848, die sich in den Nationalfarben und in der Nationalhymne niederschlagen, eine wichtige Bedeutung zu.
Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit gilt es, einsichtig zu machen, dass Deutschland als Staat nur im Verbund mit den europäischen Nachbarstaaten politisch handlungs- und überlebensfähig ist.
3. Hinweise
Für die Berücksichtigung der vorstehenden Empfehlungen im Unterricht werden folgende zusätzliche Hinweise gegeben:
(1) Die Darstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und des Bewusstseins der Bürger im Deutschland der Gegenwart ist als Unterrichtsthema vor allem Gegenstand der Fächer Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde, aber auch anderer Fächer, wie Deutsch, Kunst, Musik, Religionslehre und Ethik.
(2) Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der deutschen Frage, der Geschichte Deutschlands seit 1945, den Fragen des inneren Zusammenwachsens im vereinten Deutschland und seiner Integration in Europa ist verpflichtender Bestandteil der Fächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde.
(3) Über den Fachunterricht hinaus sind Projektveranstaltungen, die Teilnahme an entsprechenden Schülerwettbewerben, gemeinsame Aktivitäten von Schulen aus beiden ehemaligen Teilen Deutschlands und den europäischen Nachbarländern sinnvoll. Wechselseitige Schulfahrten und Schulpartnerschaften zur Vertiefung der innerdeutschen Kommunikation werden empfohlen.
(4) Die Schülerinnen und Schüler sollen nationale Gedenkstätten und zum Kulturerbe der Welt zählende nationale Denkmäler kennen. Hierbei wird auf die Empfehlung der Kultusministerkonferenz „Zur Behandlung von Fragen des Denkmalschutzes im Unterricht “ vom 10. März 1977 und den Bericht der Kultusministerkonferenz vom 2. Juli 1993 „Zur Situation der Behandlung von Fragen des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in der Schule “ sowie die UNESCO-Liste des Welterbes verwiesen.
(5) Der Unterricht zum Themenbereich „Das vereinte Deutschland “ macht es in besonderem Maße erforderlich, ausländische Schülerinnen und Schüler einzubeziehen und ihr
Interesse zu gewinnen. Deshalb soll der Unterricht kulturübergreifend, europäisch und weltoffen gestaltet werden, um im gemeinsamen Lernen die Fähigkeit zur Solidarität und zum friedlichen Zusammenleben zu fördern.
Die Bekanntmachung „Die deutsche Frage im Unterricht “ vom 8. März 1979 (KMBl S. 64) wird aufgehoben.
I.A. J. Hoderlein
Ministerialdirektor
KWMBl I 1997 S. 342
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