Naturwaldreservate in Bayern
1. Vorbemerkung
¹Nach Art. 12a des Waldgesetzes für Bayern (BayWaldG) können natürliche oder weitgehend naturnahe Waldflächen auf Antrag der Waldbesitzerin bzw. des Waldbesitzers als Naturwaldreservate eingerichtet werden. ²In Naturwaldreservaten finden grundsätzlich keine Bewirtschaftung und keine Holzentnahme statt, um eine durch menschliche Eingriffe ungestörte Entwicklung zu ermöglichen. ³Ihre Einrichtung ist gemäß Art. 28 Abs. 1 Nr. 2 BayWaldG Aufgabe der Forstbehörden. ⁴Naturwaldreservate werden im bayerischen Staatswald seit 1978 ausgewiesen. ⁵Im Körperschaftswald können sie seit 1999, im Privatwald seit dem Jahr 2005 eingerichtet werden.
2. Aufgaben und Ziele der Naturwaldreservate
Naturwaldreservate dienen insbesondere dazu,
– die natürlichen und naturnahen Waldgesellschaften Bayerns landesweit in ihrer Struktur und Dynamik zu repräsentieren und die biologische Vielfalt auf Dauer zu sichern,
– durch die waldkundliche und waldökologische Forschung Erkenntnisse für eine naturnahe Waldbehandlung zu gewinnen und als lokale Weiserflächen Hinweise für den praktischen Waldbau zu geben,
– der wissenschaftlichen Grundlagenforschung Referenzflächen für naturnahe, weitgehend unbeeinflusste Waldlebensgemeinschaften zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus
– zur forstlichen Umweltbildung (Waldpädagogik) und zum Naturerlebnis der Waldbesucher beizutragen.
3. Anforderungen an Naturwaldreservate
3.1
¹Naturwaldreservate sollen die in Bayern vorkommenden natürlichen Waldgesellschaften mit ihren typischen Standorten und Lebensgemeinschaften repräsentieren. ²Sie umfassen damit sowohl flächig verbreitete, als auch seltene, naturnahe Waldlebensräume.
3.2
Sie sollen hinsichtlich Flächenausformung, Lage und Größe so beschaffen sein, dass sie von Randwirkungen wenig beeinflusst werden und ihre Aufgaben und Ziele erreicht werden können.
3.3
In begründeten Fällen, z.B. bei sehr hoher Bedeutung der betreffenden Waldfläche für die Biodiversität, können Naturwaldreservate zum Zweck der Vernetzung von Lebensräumen ausgewiesen werden.
3.4
Sie sollen bereits bei der Ausweisung hinsichtlich Baumartenzusammensetzung und Struktur einen weitgehend naturnahen Zustand aufweisen.
4. Verfahren
4.1
¹Die Einrichtung oder Erweiterung eines Naturwaldreservats erfolgt auf Antrag der Waldbesitzerin bzw. des Waldbesitzers (
4.2
¹Das zuständige AELF reicht den Antrag mit einer Stellungnahme an die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) weiter. ²Diese prüft und bewertet auf der Grundlage fachlicher Kriterien (z.B. Repräsentativität) und festgelegter Schwerpunkte für mögliche Einrichtungen oder Erweiterungen die Eignung der Fläche als Naturwaldreservat und legt den Antrag dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) zur Entscheidung vor.
4.3
Das StMELF trifft die Entscheidung über die Einrichtung oder Erweiterung des Naturwaldreservats.
4.4
¹Zur Einrichtung eines Naturwaldreservats im Privat- und Körperschaftswald schließt die Waldbesitzerin bzw. der Waldbesitzer eine Vereinbarung mit dem Freistaat Bayern ab, in welcher sie bzw. er den Inhalt dieser Bekanntmachung und die daraus resultierenden Rechte und Pflichten für die Laufzeit von 20 Jahren verbindlich anerkennt (
4.5
¹Die Einrichtung oder Erweiterung des Naturwaldreservats erfolgt durch Aufnahme in das am StMELF geführte Verzeichnis der Naturwaldreservate. ²Körperschaftliche und private Waldbesitzerinnen bzw. Waldbesitzer erhalten als Bestätigung der Anerkennung oder Einbeziehung ihrer Waldfläche als Naturwaldreservat eine Urkunde des StMELF. ³Das Verzeichnis der Naturwaldreservate ist Bestandteil dieser Bekanntmachung (
4.6
Die Einrichtung oder Erweiterung eines Naturwaldreservats ist kosten- und gebührenfrei (Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 des Kostengesetzes – KG).
5. Folgen der Einrichtung eines Naturwaldreservats
5.1
Ein Naturwaldreservat ist von der Pflicht zur sachgemäßen Bewirtschaftung (Art. 14 Abs. 1 BayWaldG) freigestellt.
5.2
Es finden keine Bewirtschaftung und keine Holzentnahme statt (vgl. nachfolgend auch Nr. 6). Insbesondere unterbleiben:
5.2.1
alle forstwirtschaftlichen Nutzungen und Pflegemaßnahmen einschließlich der Aufarbeitung von durch biotische und abiotische Einwirkungen geschädigten Bäumen,
5.2.2
jegliche aktive Veränderung der Baumartenzusammensetzung durch Verjüngungsmaßnahmen einschließlich Pflanzung,
5.2.3
alle Maßnahmen zur Beeinflussung der Böden (z.B. Kalkung, Bodenbearbeitung) sowie der Tier- und Pflanzenwelt, insbesondere Gras-, Unkraut- sowie Schädlingsbekämpfung,
5.2.4
die Neuanlage von Wegen (einschließlich Steigen und Pfaden) sowie die Instandhaltung von Gräben,
5.2.5
das Befahren außerhalb von vorhandenen Forst- und Rückewegen,
5.2.6
die Anlage von Wildfütterungen und Wildwiesen beziehungsweise Wildäckern und die Errichtung von Bauwerken (z.B. Erholungseinrichtungen),
5.2.7
die Anlage von Holzlagerplätzen und die Lagerung von Holz.
5.3
Naturwaldreservate unterliegen einem erhöhten Schutz vor Rodungen (Art. 9 Abs. 4, 7 BayWaldG).
5.4
Bei der Bewirtschaftung angrenzender Waldbestände sind Beeinträchtigungen oder Gefährdungen des Reservats nach Möglichkeit zu vermeiden.
5.5
Bei der Entgeltermittlung für die staatliche Betriebsleitung oder Betriebsleitung und Betriebsausführung sowie die Gewährung des Gemeinwohlausgleichs im Körperschaftswald gelten die in der Körperschaftswaldverordnung getroffenen Regelungen.
5.6
Weitere Rechtspflichten, z.B. nach Natur- und Artenschutzrecht bleiben unberührt.
5.7
¹Die Forstbehörden achten im Rahmen der Forstaufsicht auf die Einhaltung der mit der Einrichtung als Naturwaldreservat verbundenen Pflichten, vor allem auf den Verzicht auf jegliche Bewirtschaftung und Holzentnahme. ²Eine grobe Zuwiderhandlung berechtigt zur Löschung aus dem Verzeichnis der Naturwaldreservate und – bei Naturwaldreservaten im Privat- und Körperschaftswald – zur außerordentlichen Kündigung der Vereinbarung.
6. Ausnahmen vom Verzicht auf Bewirtschaftung und Holzentnahme
6.1
Ausnahmen vom Verzicht auf Bewirtschaftung und Holzentnahme sind zulässig, vor allem
6.1.1
für notwendige Maßnahmen der Verkehrssicherung,
6.1.2
für notwendige Maßnahmen des Waldschutzes, insbesondere zur Abwendung von größeren Beeinträchtigungen benachbarter Waldbestände im eigenen Besitz oder von Beeinträchtigungen von Wald in fremdem Besitz,
6.1.3
zur Bereinigung eines durch menschliche Einwirkungen entstandenen naturwidrigen Zustandes,
6.1.4
für die Gewinnung von Saatgut und Pfropfreisern zur Erhaltung seltener und spezifischer forstlicher Genressourcen und
6.1.5
für wissenschaftliche Untersuchungen im öffentlichen Interesse.
6.2
¹Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen ist vom zuständigen AELF auf formlosen schriftlichen Antrag der Waldbesitzerin bzw. des Waldbesitzers zu bestätigen. ²In den Fällen der Nrn. 6.1.2 bis 6.1.5 holt das AELF vor der Bestätigung die Zustimmung der LWF ein. ³Dringend notwendige Verkehrssicherungsmaßnahmen können auch ohne Antrag durchgeführt werden. ⁴Diese Maßnahmen sind dem zuständigen AELF nach der Durchführung anzuzeigen. ⁵Durchgeführte Maßnahmen sind schriftlich und kartenmäßig von der Waldbesitzerin bzw. vom Waldbesitzer festzuhalten und mit einem Meldebogen (
7. Aufgaben der Waldbesitzerinnen bzw. Waldbesitzer und der Forstbehörden
7.1
¹Naturwaldreservate werden in die Waldfunktionspläne aufgenommen. ²Bei der Forstbetriebsplanung (Forsteinrichtung) sollen die Naturwaldreservate in der Regel als eigene Bestände ausgeschieden werden.
7.2
¹Naturwaldreservate sind regelmäßig auf Befall durch Forstschädlinge zu kontrollieren. ²Die Waldbesitzerin bzw. der Waldbesitzer setzt das zuständige AELF umgehend von größeren Schäden (z.B. durch Sturm oder Waldbrand) und Gefährdungen (z.B. Insektenfraß) des Naturwaldreservats oder seiner Einrichtungen (z.B. eines Zaunes) in Kenntnis. ³Das AELF informiert hierüber die LWF.
7.3
¹Das zuständige AELF führt, möglichst gemeinsam mit der Waldbesitzerin bzw. dem Waldbesitzer, jährlich mindestens einen Begang in jedem Naturwaldreservat durch. ²Auffällige Ereignisse und Beobachtungen werden in einem Begangsprotokoll (
8. Forschung und Öffentlichkeitsarbeit
8.1
¹Die Forschung in Naturwaldreservaten ist Aufgabe der LWF. ²Diese führt eine Datenbank über die erhobenen waldökologischen und waldkundlichen Daten und sammelt für jedes Reservat Unterlagen (Karten, Bestandsdaten, Begangsprotokolle) und die veröffentlichten Forschungsergebnisse.
8.2
Die Forschungsarbeiten sind vorrangig und dauerhaft in ausgewählten, für die Waldgesellschaften in Bayern typischen Naturwaldreservaten durchzuführen (Repräsentanz).
8.3
¹Die Naturwaldreservatforschung verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. ²Die LWF koordiniert und dokumentiert die wissenschaftlichen Arbeiten unter Einbeziehung auch anderer Forschungseinrichtungen.
8.4
¹Forschungsarbeiten im Privat- und Körperschaftswald erfolgen in Abstimmung mit der jeweiligen Waldbesitzerin bzw. dem jeweiligen Waldbesitzer. ²Die Durchführung von Forschungsvorhaben in Naturwaldreservaten im Staatswald ist in der jeweils gültigen „Vereinbarung zu Forschung und Entwicklung, Monitoring “ und der „Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei den Naturwaldreservaten im Staatswald “ zwischen dem Freistaat Bayern und der BaySF geregelt.
8.5
¹Bei den Forschungsarbeiten sind Störungen des Reservats möglichst zu vermeiden. ²Um die ungestörte Entwicklungsdynamik zu erfassen, können in Naturwaldreservaten repräsentative Flächen von einem Hektar Größe dauerhaft markiert und eingezäunt werden.
8.6
¹Die in Naturwaldreservaten gewonnenen Ergebnisse sollen nutzbar gemacht und veröffentlicht werden. ²Ein Austausch zwischen der LWF und den Waldbesitzerinnen bzw. Waldbesitzern über den aktuellen Stand der Forschungsarbeiten und den Forschungsbedarf ist anzustreben. ³Veröffentlichungen werden den betroffenen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern von der LWF zur Verfügung gestellt.
8.7
¹Naturwaldreservate sollen gezielt und regelmäßig von den ÄELF sowie den forstlichen Sonderbehörden für die forstliche Umweltbildung (Waldpädagogik) und die forstliche Aus- und Fortbildung genutzt werden. ²Naturwaldreservate eignen sich besonders zur Darstellung von natürlichen Kreisläufen und Wirkungszusammenhängen und damit auch der Möglichkeiten einer nachhaltigen Forstwirtschaft.
8.8
¹Die LWF veröffentlicht die Liste der Naturwaldreservate mit Zusatzinformationen im Internet. ²Die Bayerische Forstverwaltung strebt mit den Waldbesitzerinnen bzw. Waldbesitzern eine gemeinsame überregionale und lokale Öffentlichkeitsarbeit an.
9. Inkrafttreten, Außerkrafttreten
9.1
Diese Bekanntmachung tritt am 1. August 2013 in Kraft.
9.2
Die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Landwirtschaft und Forsten über Naturwaldreservate in Bayern vom 3. Mai 2007 (AllMBl S. 252) tritt mit Ablauf des 31. Juli 2013 außer Kraft.
Georg Windisch
Ministerialdirigent
Anlagen
Feedback