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DE - Landesrecht Baden-Württemberg

Badisches Landesgesetz über das Schlichtungswesen bei Arbeitsstreitigkeiten (Landesschlichtungsordnung) Vom 19. Oktober 1949

I. Allgemeine Bestimmungen

§ 1 Aufgaben des Schlichtungsverfahrens

Das Schlichtungsverfahren dient dem Abschluß von Gesamtvereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen) und der Erledigung der Streitigkeiten gemäß § 34 des Betriebsrätegesetzes vom 24. September 1948 (Bad. GVBl. S. 209 ff). Es bezweckt damit zugleich die Verhütung und die Beilegung von Gesamtstreitigkeiten (Regelungsstreitigkeiten).

§ 2 Schlichtungsorgane

Schlichtungsorgane sind: a)
vereinbarte Schlichtungsstellen; b)
der Landesschlichter (staatliche Ausgleichsstelle);
c)
der Landesschlichtungsausschuß.

II. Vereinbarte Schlichtungsstellen

§ 3 Aufgabe und Errichtung

(1) Die Schlichtung von Gesamtstreitigkeiten im Sinne des § 1 liegt grundsätzlich in der Hand der beteiligten Parteien. Sie haben die Aufgabe, alle derartigen Streitigkeiten in eigener Verantwortung zu regeln und zu lösen.
(2) Zu diesem Zweck sollen die beteiligten Parteien ein Verfahren zur Verhütung und Schlichtung von Gesamtstreitigkeiten in einem Tarifvertrag oder in einer besonderen schriftlichen Vereinbarung festlegen.

§ 4 Zuständigkeit

Die vereinbarten Schlichtungsstellen sind zur Regelung aller Gesamtstreitigkeiten nach § 1 berufen. Sie gehen dem Landesschlichtungsausschuß vor.

III. Landesschlichter

§ 5 Aufgabe

(1) Das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit bestellt aus seinen Beamten einen Landesschlichter und die erforderlichen Stellvertreter.
(2) Der Landesschlichter hat folgende Aufgaben: a)
die Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ihre Organisationen in allgemeinen Fragen zu beraten;
b)
den Abschluß von Gesamtvereinbarungen und die Vereinbarung von Schlichtungsstellen zu fördern;
c)
bei Regelungsstreitigkeiten mit dem Ziele der Beilegung zu vermitteln (Ausgleichsverfahren).
(3) Der Landesschlichter ist der Vorsitzende des Landesschlichtungsausschusses.

§ 6 Verfahren

(1) Der Landesschlichter steht den Parteien auf Anrufung zur Verfügung. Er kann auch von sich aus an die Parteien herantreten.
(2) Der Landesschlichter darf im Ausgleichsverfahren nur dann Entscheidungen treffen oder an solchen mitwirken, wenn er hierzu von den Parteien ausdrücklich ermächtigt wird.
(3) Das Ausgleichsverfahren ist formlos und gebührenfrei.

IV. Landesschlichtungsausschuß

§ 7 Errichtung

Für das Land Baden wird ein staatlicher Landesschlichtungsausschuß errichtet. Der Sitz des Landesschlichtungsausschusses wird durch das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit bestimmt.

§ 8 Zuständigkeit

(1) Der Landesschlichtungsausschuß ist sachlich zuständig für alle Regelungsstreitigkeiten, soweit nicht eine vereinbarte Schlichtungsstelle den Vorrang hat.
(2) Die vereinbarten Schlichtungsstellen können im Einverständnis mit den Parteien beschließen, die Entscheidung dem Landesschlichtungsausschuß zu übertragen.

§ 9 Verhältnis zwischen dem Landesschlichtungsausschuß und den vereinbarten Schlichtungsstellen

Wird eine vereinbarte Schlichtungsstelle nicht tätig, so kann der Landesschlichter der vereinbarten Schlichtungsstelle oder den streitenden Parteien eine Frist zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens setzen. Ist bis zum Ablauf der gesetzten Frist das Verfahren vor der vereinbarten Schlichtungsstelle nicht durchgeführt worden oder hat es nicht zur Beilegung des Streitfalles geführt, so wird der Landesschlichtungsausschuß zuständig.

§ 10 Zusammensetzung des Landesschlichtungsausschusses

Der Landesschlichtungsausschuß besteht aus dem Landesschlichter oder dessen Stellvertreter als Vorsitzenden und aus Beisitzern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in gleicher Zahl, bis zu fünf auf jeder Seite.

§ 11 Berufung der Beisitzer

(1) Die Beisitzer werden von dem Badischen Ministerium der Wirtschaft und Arbeit auf Grund von Vorschlägen der Landesvereinigungen der Arbeitgeber und der Landesgewerkschaften berufen. Die Vorschlagslisten sollen die Landesteile und die hauptsächlichsten Gewerbezweige, Berufsarten und Betriebsarten des Bezirks berücksichtigen.
(2) Soweit Vorschlagslisten nicht oder nicht rechtzeitig eingereicht werden, beruft das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit die Beisitzer unter Beachtung der Grundsätze des Absatz 1 Satz 2.
(3) Arbeitgeberbeisitzer dürfen nur Arbeitgeber sein. Arbeitgebern stehen gleich Vorstandsmitglieder und gesetzliche Vertreter von juristischen Personen und von Personengesamtheiten des öffentlichen und privaten Rechts, Beamte als Leiter oder Beauftragte von Dienststellen, Geschäftsführer und Betriebsleiter, soweit diese selbständig zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind oder soweit ihnen Prokura, Handlungsvollmacht oder Generalvollmacht erteilt ist und satzungsgemäße Vertreter oder bevollmächtigte Angestellte wirtschaftlicher Vereinigungen von Arbeitgebern.
(4) Arbeitnehmerbeisitzer dürfen nur Arbeitnehmer sein. Den Arbeitnehmern stehen satzungsgemäße Vertreter oder bevollmächtigte Angestellte von Gewerkschaften gleich.
(5) Die Beisitzer werden auf die Dauer von drei Jahren berufen. Sie verwalten ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt. Sie erhalten für die Teilnahme an Sitzungen eine Entschädigung, außerdem bei Reisen Tagegelder und Fahrtkosten. Die näheren Bestimmungen hierüber trifft das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit.
(6) Die Beisitzer können durch das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit der Organisation, die sie vorgeschlagen hat, abberufen werden.

§ 12 Anrufung des Landesschlichtungsausschusses

(1) Der Landesschlichtungsausschuß wird auf Anrufung einer Partei tätig. Die Anrufung kann schriftlich, elektronisch oder mündlich erfolgen. Sie ist spätestens bis zum ersten Termin vor dem Landesschlichtungsausschuß schriftlich oder elektronisch zu begründen.
(2) In den Fällen, in denen einer Streitigkeit wesentliche öffentliche Bedeutung zukommt, kann das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit von Amts wegen das Schlichtungsverfahren einleiten.

§ 13 Vorverhandlung

(1) Der Vorsitzende des Landesschlichtungsausschusses kann, falls in der Streitsache nicht bereits ein Ausgleichsverfahren gemäß § 6 stattgefunden hat, die Parteien zunächst zu einer Vorverhandlung laden. Sie findet ohne Beisitzer statt und ist nicht öffentlich.
(2) Ist eine gütliche Beilegung des Streitfalles nicht möglich, so ist er vor den Landesschlichtungsausschuß zu bringen.

§ 14 Verfahren vor dem Landesschlichtungsausschuß

(1) Der Vorsitzende setzt den Termin fest und veranlaßt die Ladung der Beisitzer, der Parteien sowie etwaiger Zeugen und Sachverständigen. Das Erscheinen der geladenen Parteien sowie etwaiger Zeugen und Sachverständigen kann durch Ordnungsstrafen bis zu 1 000,- DM erzwungen werden. Die Ordnungsstrafen werden durch den Vorsitzenden festgesetzt und wie öffentliche Abgaben beigetrieben. Gegen die Festsetzung von Ordnungsstrafen ist die Beschwerde an das Badische Ministerium der Wirtschaft und Arbeit zulässig.
(2) Die Verhandlungen vor dem Landesschlichtungsausschuß sind öffentlich. Der Landesschlichtungsausschuß kann auch verhandeln und entscheiden, wenn ordnungsgemäß geladene Parteien nicht erschienen sind.
(3) Der Landesschlichtungsausschuß kann Zeugen und Sachverständige vernehmen und alle ihm erforderlich erscheinenden Beweise erheben. Er kann die Gerichte, wenn er es für notwendig erachtet, um eidliche Vernehmung ersuchen.
(4) Die Entscheidungen des Landesschlichtungsausschusses sind endgültig und bindend in den Fällen des § 34 Abs. 3 b des Betriebsrätegesetzes vom 24. September 1948 (Bad. GVBl. S. 209 ff.). Im übrigen ergehen sie als Schiedssprüche.
(5) Der Landesschlichtungsausschuß entscheidet mit einfacher Stimmenmehrheit.
(6) Die Entscheidungen sind schriftlich abzufassen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und in öffentlicher Sitzung zu verkünden. Den Parteien ist eine Abschrift der Entscheidung mit Begründung zu übersenden.
(7) Kommt eine Entscheidung nicht zustande, so hat der Vorsitzende des Landesschlichtungsausschusses die Auffassung jedes Beisitzers in einer Niederschrift festzuhalten. Sie sind mit der eigenen Ansicht des Vorsitzenden zu einem Bericht zusammenzufassen, der den Parteien zu übermitteln ist.

§ 15 Wirkung des Schiedsspruches

(1) Ein Schiedsspruch hat bindende Wirkung unter den Parteien
a)
wenn diese vor Fällung des Schiedsspruches seine Annahme vereinbart haben;
b)
wenn eine Streitigkeit gemäß Artikel II, Abs. 2 des Kontrollratsgesetzes Nr. 35 geschlichtet worden ist;
c)
wenn beide Parteien nach Verkündung seine Annahme erklären.
(2) Soweit der Schiedsspruch keine bindende Wirkung hat, setzt der Vorsitzende den Parteien eine angemessene Frist zur Erklärung über Annahme oder Ablehnung des Schiedsspruches. Gehen innerhalb der Frist die Erklärungen nicht ein, so gilt der Schiedsspruch als abgelehnt.
(3) Ein die Parteien bindender Schiedsspruch hat die Wirkung einer Gesamtvereinbarung (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung). Sie gilt nur zwischen den Parteien oder zwischen deren Mitgliedern, falls sie nicht für allgemeinverbindlich erklärt wird.

§ 16 Vertretung der Parteien

(1) Die tariffähigen Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer werden durch ihre satzungsgemäßen Vertreter oder bevollmächtigten Angestellten vertreten.
(2) Die Arbeitnehmerschaft eines Betriebes wird durch den Betriebsrat vertreten Soweit ein Betriebsrat nicht besteht, wählt sie ihre Vertretung in einer Betriebsversammlung. Betriebsrat und Arbeitnehmerschaft können sich durch eine Gewerkschaft vertreten lassen.
(3) Der Arbeitgeber kann mit seiner Vertretung seine Geschäftsführer, Betriebsleiter, Prokuristen oder sonst bevollmächtigte Angestellte des Betriebs beauftragen. Er kann sich auch durch eine tariffähige Vereinigung von Arbeitgebern vertreten lassen.
(4) Bei Streitigkeiten, die sich auf einen einzelnen Betrieb beschränken, kann der Vorsitzende des Landesschlichtungsausschusses das persönliche Erscheinen des Arbeitgebers und des Betriebsrats anordnen.
(5) Andere Personen sind weder als Vertreter noch als Beistände zugelassen.

§ 17 Gebühren

Das Verfahren vor dem Landesschlichtungsausschuß ist kostenlos und gebührenfrei.

§ 18 Verbindlicherklärung von Schiedssprüchen

(1) Ein Schiedsspruch des Landesschlichtungsausschusses, der keine nach § 15 Abs. 1 bindende Wirkung hat, kann für verbindlich erklärt werden, wenn das öffentliche Interesse es erfordert.
(2) Die Verbindlicherklärung kann auf Antrag der Partei erfolgen, die den Schiedsspruch angenommen hat.
(3) Bei der Verbindlicherklärung darf der ergangene Schiedsspruch nur mit Zustimmung der beteiligten Parteien abgeändert werden.
(4) Die Entscheidung über die Verbindlicherklärung ist schriftlich abzufassen und den beteiligten Parteien zuzustellen. Die Verbindlicherklärung hat die Wirkung einer Gesamtvereinbarung. Sie kann durch verwaltungsgerichtliche Klage nicht angefochten werden.
(5) Für die Entscheidung über die Verbindlicherklärung eines Schiedsspruches ist der Minister der Wirtschaft und Arbeit zuständig.

V. Durchführungsbestimmungen und Inkrafttreten

§ 19 (aufgehoben)

(aufgehoben)

§ 20

Dieses Landesgesetz tritt einen Monat nach seiner Verkündung in Kraft.
Dieses Landesgesetz wird hiermit im Namen des Badischen Volkes verkündet.

Freiburg i. Br., den 21. Dezember 1949

Die Landesregierung

Wohleb

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