LTMG
DE - Landesrecht Baden-Württemberg

Tariftreue- und Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge in Baden- Württemberg (Landestariftreue- und Mindestlohngesetz - LTMG) Vom 16. April 2013

§ 1 Zweck des Gesetzes

Dieses Gesetz wirkt Verzerrungen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge entgegen, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen, und mildert Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme. Es bestimmt zu diesem Zweck, dass öffentliche Auftraggeber öffentliche Aufträge nach Maßgabe dieses Gesetzes nur an Unternehmen vergeben dürfen, die ihren Beschäftigten das in diesem Gesetz festgesetzte Mindestentgelt bezahlen und sich tariftreu verhalten.

§ 2 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Bau- und Dienstleistungen in Baden-Württemberg im Sinne von § 99
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der jeweils geltenden Fassung.
(2) Im öffentlichen Personenverkehr gilt dieses Gesetz für alle in Baden-Württemberg zu vergebenden Dienstleistungsaufträge im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung. Dieses Gesetz gilt auch für öffentliche Dienstleistungsaufträge für Verkehre im Sinne von § 1
der Freistellungs-Verordnung vom 30. August 1962 (BGBl. I S. 601), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 4. Mai 2012 (BGBl. I S. 1037), in der jeweils geltenden Fassung.
(3) Dieses Gesetz ist für alle Aufträge nach den Absätzen 1 und 2 ab einem geschätzten Auftragswert von 20 000 Euro (ohne Umsatzsteuer) anzuwenden. Für die Schätzung des Auftragswertes gilt § 3
der Vergabeverordnung in der jeweils geltenden Fassung.
(4) Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Gesetzes sind die öffentlichen Auftraggeber in Baden-Württemberg gemäß § 98
Nummern 1 bis 5 GWB. Satz 1 gilt nicht, wenn öffentliche Auftraggeber Vergabeverfahren im Namen oder im Auftrag des Bundes oder eines anderen Bundeslandes durchführen.
(5) Soweit nach diesem Gesetz Verpflichtungen im Rahmen der Angebotsabgabe begründet werden, gelten diese Verpflichtungen für Direktvergaben im Sinne von Artikel 5 Absätze 2, 4 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 entsprechend und sind vor der Erteilung des Auftrags zu erfüllen.
(6) Sollen öffentliche Aufträge gemeinsam mit Auftraggebern anderer Bundesländer oder aus Nachbarländern der Bundesrepublik Deutschland vergeben werden, ist mit diesen eine Einigung über die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes anzustreben. Kommt diese nicht zustande, kann von den Bestimmungen dieses Gesetzes abgewichen werden.

§ 3 Tariftreuepflicht

(1) Öffentliche Aufträge über Bau- und Dienstleistungen, die vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) in der jeweils geltenden Fassung erfasst werden, dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung diejenigen Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts zu gewähren, die nach Art und Höhe mindestens den Vorgaben desjenigen Tarifvertrages entsprechen, an den das Unternehmen aufgrund des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes gebunden ist.
(2) Öffentliche Aufträge über Bau- und Dienstleistungen, die vom Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) in der jeweils geltenden Fassung erfasst werden, dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung ein Entgelt zu zahlen, das nach Art und Höhe mindestens den Vorgaben einer aufgrund von § 4
Absatz 3 MiArbG erlassenen Rechtsverordnung entspricht, an die das Unternehmen aufgrund des Mindestarbeitsbedingungengesetzes gebunden ist.
(3) Öffentliche Aufträge über Verkehrsdienstleistungen gemäß § 2 Absatz 2 dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten,
1.
ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung ein Entgelt zu zahlen, das insgesamt mindestens dem in Baden-Württemberg für diese Leistung in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehenen Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten, einschließlich der Aufwendungen für die Altersversorgung, entspricht und
2.
während der Ausführung der Leistung eintretende tarifvertragliche Änderungen des Entgelts nachzuvollziehen.
Die öffentlichen Auftraggeber benennen die einschlägigen und repräsentativen Tarifverträge in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen des öffentlichen Auftrags.
(4) Das Wirtschaftsministerium bestimmt im Einvernehmen mit dem Verkehrsministerium durch Rechtsverordnung, auf welche Weise festgestellt wird, welche Tarifverträge als repräsentativ anzusehen sind und wie deren Veröffentlichung erfolgt. Die Feststellung erfolgt unter Berücksichtigung der Empfehlungen eines beim Wirtschaftsministerium einzurichtenden Beirats. Der Beirat wird paritätisch mit Vertretern der im Bereich des Verkehrs gemäß § 2 Absatz 2 tätigen Sozialpartner besetzt. Das Verzeichnis der als repräsentativ festgestellten Tarifverträge wird beginnend mit dem Jahr 2013 jährlich und aus besonderem Anlass überprüft und erforderlichenfalls in der Regel zum 1. März des Folgejahres angepasst. Bei der Feststellung der Repräsentativität ist vorrangig abzustellen auf
1.
die Zahl der von den jeweils tarifgebundenen Arbeitgebern Beschäftigten in Baden-Württemberg, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen und
2.
die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Mitglieder der Gewerkschaft, die den Tarifvertrag geschlossen hat.
(5) Beim Regierungspräsidium Stuttgart wird eine Servicestelle eingerichtet. Sie informiert über das Tariftreue- und Mindestlohngesetz und stellt die Entgeltregelungen aus den einschlägigen und repräsentativen Tarifverträgen zur Verfügung. Die Servicestelle nimmt im Rahmen der Rechtsverordnung nach Absatz 4 zugleich die Aufgaben einer Geschäftsstelle des Beirats wahr.

§ 4 Mindestentgelt

Öffentliche Aufträge dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren unter das Mindestlohngesetz
(MiLoG) in der jeweils geltenden Fassung fallenden Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung ein Entgelt zu zahlen, das mindestens den Vorgaben des Mindestlohngesetzes und der gemäß § 1 Absatz 2 Satz 2
MiLoG erlassenen Rechtsverordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung entspricht. Satz 1 gilt nicht, soweit nach § 3 Tariftreue gefordert werden kann und die danach maßgebliche tarifliche Regelung für die Beschäftigten günstiger ist. Satz 1 gilt ferner nicht für die Leistungserbringung durch Auszubildende und für die Vergabe von Aufträgen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen und anerkannte Blindenwerkstätten.

§ 5 Verpflichtungserklärung

(1) Die öffentlichen Auftraggeber weisen in der Bekanntmachung des öffentlichen Auftrags und in den Vergabeunterlagen darauf hin, dass die Bieter sowie deren Nachunternehmen und Verleihunternehmen (§ 6 Absatz 1 Satz 1), soweit diese bereits bei Angebotsabgabe bekannt sind, die erforderlichen Verpflichtungserklärungen gemäß § 3 Absatz 1 bis 3 (Tariftreueerklärung) oder § 4 Absatz 1 (Mindestentgelterklärung) abzugeben haben.
(2) In die Verpflichtungserklärungen können auch die im Fall der Auftragserteilung mit den Unternehmen zu treffenden Vereinbarungen nach § 6 Absatz 2, § 7 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2 Satz 3 sowie § 8 Absätze 1 und 2 aufgenommen werden.
(3) Die Servicestelle nach § 3 Absatz 5 gibt im Internet Muster für die Abgabe der Verpflichtungserklärungen bekannt. Diese können verwendet werden.
(4) Fehlt eine gemäß Absatz 1 geforderte Verpflichtungserklärung bei Angebotsabgabe und wird sie auch nach Aufforderung nicht vorgelegt, so ist das Angebot von der Wertung auszuschließen.

§ 6 Nachunternehmen

(1) Die Unternehmen haben ihre Nachunternehmen sowie Unternehmen, die ihnen Arbeitskräfte verleihen (Verleihunternehmen), sorgfältig auszuwählen.
(2) Für den Fall der Ausführung vertraglich übernommener Leistungen durch Nachunternehmen hat sich das Unternehmen zu verpflichten, die Erfüllung der Verpflichtungen nach den §§ 3 und 4 durch die Nachunternehmen sicherzustellen und dem öffentlichen Auftraggeber Tariftreue- und Mindestentgelterklärungen der Nachunternehmen vorzulegen. Gleiches gilt, wenn das Unternehmen oder ein beauftragtes Nachunternehmen zur Ausführung des Auftrags Arbeitskräfte eines Verleihunternehmens einsetzt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für alle weiteren Nachunternehmen und Verleihunternehmen der vom beauftragten Unternehmen eingeschalteten Nachunternehmen. Auf die Verpflichtung zur Vorlage von Tariftreue- und Mindestentgelterklärungen kann verzichtet werden, wenn das Auftragsvolumen eines Nachunternehmens oder Verleihunternehmens weniger als 10 000 Euro (ohne Umsatzsteuer) beträgt.

§ 7 Nachweise und Kontrollen

(1) Die beauftragten Unternehmen sowie ihre Nachunternehmen und Verleihunternehmen sind verpflichtet, dem öffentlichen Auftraggeber die Einhaltung der Verpflichtung nach den §§ 3 und 4 auf dessen Verlangen jederzeit nachzuweisen. Die öffentlichen Auftraggeber dürfen zu diesem Zweck in erforderlichem Umfang Einsicht in die Entgeltabrechnungen der beauftragten Unternehmen sowie ihrer Nachunternehmen und Verleihunternehmen, in die zwischen dem beauftragten Unternehmen sowie ihren Nachunternehmen und Verleihunternehmen jeweils abgeschlossenen Verträge sowie in andere Geschäftsunterlagen nehmen, aus denen Umfang, Art, Dauer und tatsächliche Entlohnung von Beschäftigungsverhältnissen hervorgehen oder abgeleitet werden können, und hierzu Auskunft verlangen. Die beauftragten Unternehmen sowie ihre Nachunternehmen und Verleihunternehmen haben ihre Beschäftigten auf die Möglichkeit solcher Kontrollen hinzuweisen. Die öffentlichen Auftraggeber verpflichten den Auftragnehmer vertraglich, ihnen ein entsprechendes Auskunfts- und Prüfungsrecht auch bei der Beauftragung von Nachunternehmen und Verleihunternehmen einräumen zu lassen.
(2) Die beauftragten Unternehmen sowie ihre Nachunternehmen und Verleihunternehmen haben vollständige und prüffähige Unterlagen nach Absatz 1 über die eingesetzten Beschäftigten bereitzuhalten. Auf Verlangen des öffentlichen Auftraggebers sind ihm diese Unterlagen vorzulegen. Die öffentlichen Auftraggeber verpflichten den Auftragnehmer vertraglich, die Einhaltung dieser Pflicht durch die beauftragten Nachunternehmen und Verleihunternehmen vertraglich sicherzustellen.

§ 8 Sanktionen

(1) Um die Einhaltung der Verpflichtungen nach den §§ 3 bis 7 zu sichern, vereinbaren die öffentlichen Auftraggeber mit den beauftragten Unternehmen für jeden schuldhaften Verstoß eine Vertragsstrafe in Höhe von einem Prozent des Auftragswertes, bei Verkehrsdienstleistungen gemäß § 2 Absatz 2 eine Vertragsstrafe in Höhe von bis zu einem Prozent. Bei mehreren Verstößen darf die Summe der Vertragsstrafen fünf Prozent des Auftragswertes nicht überschreiten. Die beauftragten Unternehmen sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe nach Satz 1 auch für den Fall zu verpflichten, dass der Verstoß durch Nachunternehmen oder Verleihunternehmen begangen wird, es sei denn, dass das beauftragte Unternehmen den Verstoß nicht kannte und unter Beachtung der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns auch nicht kennen musste. Ist die verwirkte Vertragsstrafe unverhältnismäßig hoch, so kann sie von dem öffentlichen Auftraggeber auf Antrag des beauftragten Unternehmens auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Soweit infolge des Verstoßes zu niedrige Entgelte gezahlt wurden, soll der angemessene Betrag mindestens dem Dreifachen des Betrages entsprechen, der von dem Unternehmen oder seinen Nachunternehmen und Verleihunternehmen durch den Verstoß eingespart wurde. Die Geltendmachung einer Vertragsstrafe nach diesem Gesetz bleibt von der Geltendmachung einer Vertragsstrafe aus anderem Grunde sowie von der Geltendmachung sonstiger Ansprüche unberührt.
(2) Die öffentlichen Auftraggeber vereinbaren mit den beauftragten Unternehmen, dass die schuldhafte Nichterfüllung einer Verpflichtung nach den §§ 3 bis 7 durch das beauftragte Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt und dass das beauftragte Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber den durch die Kündigung entstandenen Schaden zu ersetzen hat.
(3) Haben beauftragte Unternehmen oder deren Nachunternehmen oder Verleihunternehmen schuldhaft gegen Verpflichtungen dieses Gesetzes verstoßen, können die öffentlichen Auftraggeber diese für die Dauer von bis zu drei Jahren von ihren Auftragsvergaben ausschließen.
(4) Die öffentlichen Auftraggeber informieren die für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 23
AEntG und § 18 MiArbG zuständigen Stellen über Verstöße der Unternehmen gegen Verpflichtungen nach § 3 Absätze 1 und 2.

§ 9 Informationspflichten beim Betreiberwechsel im öffentlichen Personenverkehr

Soweit öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 auf Grundlage von Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung Unternehmen dazu verpflichten wollen, die Beschäftigten, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu übernehmen, sind die bisherigen Betreiber verpflichtet, den öffentlichen Auftraggebern auf Anforderung binnen sechs Wochen alle hierzu erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen.

§ 10 Übergangsbestimmung

Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf öffentliche Aufträge, deren Vergabe vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleitet worden ist.

§ 11 Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes

Die Auswirkungen dieses Gesetzes werden nach einem Erfahrungszeitraum von vier Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes durch die Landesregierung überprüft. Die Landesregierung unterrichtet den Landtag zeitnah über das Ergebnis der Überprüfung. Dabei ist darzustellen, inwieweit die Tariftreue Wirkung entfaltet und, soweit notwendig, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Tariftreue weiter zu stärken.

§ 12 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden dritten Monats in Kraft.
Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden.
STUTTGART, den 16. April 2013

Die Regierung des Landes Baden-Württemberg:

KRETSCHMANN

DR. SCHMID

KREBS

FRIEDRICH

GALL

UNTERSTELLER

STOCH

BONDE

STICKELBERGER

BAUER

HERMANN

ALTPETER

ÖNEY

DR. SPLETT

ERLER

Markierungen
Leseansicht