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DE - Landesrecht Baden-Württemberg

Landesverordnung über die Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 29. März 1947

I. Teil

Kapitel I: Zweck und allgemeine Grundsätze

Artikel 1

Zweck:

Der Zweck des vorliegenden Gesetzes ist: a)
Die Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, die das nationalsozialistische Regime gefördert und unterstützt haben, zu bestrafen;
b)
die nationalsozialistischen und militaristischen Organisationen dadurch völlig und dauernd zu vernichten, daß die maßgebenden Mitglieder der nationalsozialistischen Partei und die Anhänger ihrer Lehre in ihrer persönlichen Freiheit oder Handlungsfreiheit beschränkt werden.

Artikel 2

Allgemeine Grundsätze:

Urteile auf Grund dieser Landesverordnung werden für jeden einzelnen Fall gesondert ausgesprochen.
Jeder Fall wird nach der persönlichen Verantwortlichkeit des Schuldigen beurteilt. Die Richter haben dabei davon auszugehen, daß die Sühnemaßnahmen die Schuldigen vom öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des deutschen Volkes ausschließen. Sie sind von der Notwendigkeit bestimmt, den Nationalsozialismus, seine Methoden und seine Ideen endgültig auszuschalten.
Die bloße Mitgliedschaft bei der NSDAP oder einer der in dieser Landesverordnung erwähnten Organisationen ist an sich nicht entscheidend bei der Beurteilung des Grades der Schuld und der Einreihung in die Gruppe der Verantwortlichen.
Umgekehrt genügt die Nichtmitgliedschaft bei einer dieser Organisationen nicht, um die Verantwortlichkeit auszuschalten, wenn erwiesen ist, daß der Betroffene sich im Sinne dieser Landesverordnung aktivistisch betätigt hat.

Kapitel II: Festsetzung der Gruppen der Verantwortlichen

Artikel 3

Zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit und zur Heranziehung zu Sühnemaßnahmen werden folgende Gruppen aufgestellt:
1.
Hauptschuldige, 2.
Schuldige (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer),
3.
Minderbelastete, 4.
Mitläufer, 5.
Entlastete.

Artikel 4

Hauptschuldiger ist: 1.
wer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft maßgebliche politische, wirtschaftliche, propagandistische oder andere Unterstützung gewährt und durch diese Mitarbeit erheblichen Nutzen für sich selbst oder andere erlangt hat;
2.
wer in einer führenden Stellung der NSDAP, ihrer Gliederungen oder angeschlossenen Verbänden oder in einer anderen nationalsozialistischen oder militaristischen Organisation tätig gewesen ist;
3.
wer in der Reichsregierung, der Länderregierung, der Verwaltung der früheren besetzten Gebiete eine führende Stellung innehatte, die nur von einem überzeugten Anhänger des Nationalsozialismus bekleidet werden konnte;
4.
wer für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in der Gestapo, dem SD, der SS, der Geheimen Feld- oder Grenzpolizei aktiv tätig gewesen ist;
5.
wer um des persönlichen Gewinns oder Vorteils willen aktiv mit der Gestapo, dem SD, der SS oder ähnlichen Organisationen durch Denunziation oder sonstige Hilfeleistung bei der Verfolgung der Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zusammengearbeitet hat;
6.
wer dem OKW angehört hat (spezifiziert).

Artikel 5

Schuldige.

A. Aktivisten. I.

Aktivist ist: 1.
wer durch seine Steilung oder seine Tätigkeit die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert hat;
2.
wer seine Stellung, seinen Einfluß oder seine Verbindungen ausgenützt hat, um durch Ausübung von Gewalt, durch Drohungen oder durch Brutalität eine Herrschaft oder Unterdrückung und Ungerechtigkeit aufzurichten;
3.
wer sich als erklärter Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere ihrer rassischen Grundsätze bekannt hat.
II.
Aktivisten sind insbesondere nachstehend angeführte Personen, sofern sie nicht Hauptschuldige sind:
1.
wer durch Wort oder Tat, besonders aber in der Öffentlichkeit durch Reden oder Veröffentlichungen, durch freiwillige Spenden aus seinem eigenen oder fremden Vermögen oder durch Ausnützung seines Berufes oder seiner Machtbefugnisse im politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben wesentlich zur Errichtung, zur Festigung und zur Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen hat;
2.
wer den Geist und die Seele der Jugend durch nationalsozialistische Erziehung oder Lehre vergiftet hat;
3.
wer das Familien- oder das Gemeinschaftsleben durch Nichtbeachtung anerkannter moralischer Grundsätze untergraben hat, um die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu stärken;
4.
wer im Dienste des Nationalsozialismus sich unrechtmäßig in die Rechtspflege eingemischt oder sein Amt als Richter oder öffentlicher Ankläger politisch mißbraucht hat;
5.
wer im Dienst des Nationalsozialismus hetzerisch oder gewalttätig gegen Kirchen, Religionsgemeinschaften oder weltanschauliche Vereinigungen aufgetreten ist;
6.
wer im Dienst des Nationalsozialismus Kunstwerte oder wissenschaftliche Werte verhöhnt, beschädigt oder zerstört hat;
7.
wer sich als Urheber oder Aktivist an der Zerschlagung der Gewerkschaften, am Ausschluß aus Stellungen und unrechtmäßiger Verwertung des Gewerkschaftsvermögens beteiligt hat;
8.
wer als Provokateur, Spitzel oder Denunziant die Einleitung eines Verfahrens zum Schaden eines anderen wegen seiner Rasse, Religion oder seiner politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder wegen Zuwiderhandlungen gegen nationalsozialistische Vorschriften herbeigeführt oder herbeizuführen versucht hat;
9.
wer seine Machtstellung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu Begehung von Straftaten, insbesondere Erpressungen, Vertrauensmißbrauch oder Betrügereien ausgenützt hat;
10.
wer durch Wort oder Tat eine gehässige Haltung gegenüber Gegnern der NSDAP im In- und Ausland, gegen Kriegsgefangene, die Bevölkerung der ehemals besetzten Gebiete, gegen ausländische Zivilarbeiter, Häftlinge oder ähnliche Personen eingenommen hat;
11.
wer dazu beigetragen hat, daß Gegner des Nationalsozialismus zur Front abgestellt worden sind.
III.
Aktivist ist ferner:
wer nach dem 8. Mai 1945 den Frieden des deutschen Volkes oder der Welt durch Eintreten für den Nationalsozialismus oder Militarismus oder durch die Erfindung oder Verbreitung böswilliger Gerüchte bedroht hat oder von dem angenommen werden kann, daß er ihn in dieser Weise bedrohen würde.

B. Militaristen. I.

Militarist ist: 1.
wer das Leben des deutschen Volkes nach militaristischen Grundsätzen auszurichten getrachtet hat;
2.
wer für die Beherrschung ausländischer Völker, ihre Ausbeutung oder Verschleppung eingetreten ist oder dafür verantwortlich ist;
3.
wer die Aufrüstung für diese Zwecke gefördert hat;
II.
Militarist ist insbesondere, soweit er nicht Hauptschuldiger ist:
1.
wer durch Wort oder Schrift militärische Lehren oder Programme aufstellte oder verbreitete oder außerhalb der Wehrmacht in einer Organisation aktiv tätig war, die der Förderung militaristischer Ideen diente;
2.
wer vor 1935 die planmäßige Ausbildung der Jugend für den Krieg organisierte oder an dieser Organisation teilnahm;
3.
wer in Ausübung seiner Befehlsgewalt nach der Invasion Deutschlands für die willkürliche Verwüstung von Stadt und Land verantwortlich ist;
4.
wer ohne Unterschied seines Ranges als Angehöriger der Wehrmacht, des Reichsarbeitsdienstes, der Organisation Todt (OT.) oder der Transportgruppe Speer seine Dienstgewalt zur Erlangung persönlicher Vorteile oder zu Quälereien seiner Untergebenen mißbrauchte;
5.
wer durch sein Verhalten oder seine Tätigkeit im Generalstab oder anderswo zur Förderung des Militarismus beigetragen hat.

C. Nutznießer. I.

Nutznießer ist: 1.
wer aus der Gewaltherrschaft der NSDAP, aus der Aufrüstung oder aus dem Kriege durch seine politische Stellung oder seine politischen Beziehungen für sich oder andere persönliche oder wirtschaftliche Vorteile herausgeschlagen hat.
II.
Nutznießer ist insbesondere, soweit er nicht Hauptschuldiger ist:
1.
wer nur auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP in ein Amt oder eine Stellung berufen oder bevorzugt befördert wurde;
2.
wer erhebliche Zuwendungen von der NSDAP, ihren Gliederungen oder angeschlossenen Verbänden erhielt;
3.
wer auf Kosten der politisch, religiös oder rassisch Verfolgten unmittelbar oder mittelbar, insbesondere im Zusammenhang mit Enteignungen, Zwangsverkäufen und dergleichen, Vorteile für sich oder andere erlangte oder erstrebte;
4.
wer bei der Aufrüstung oder bei Kriegsgeschäften übermäßige Gewinne erzielte;
5.
wer sich im Zusammenhang mit der Verwaltung ehemals besetzter Gebiete unberechtigterweise bereicherte.

Artikel 6

Minderbelastete: I.

Minderbelastet ist: 1.
wer, einschließlich früherer Angehöriger der Wehrmacht, an sich zur Gruppe der Belasteten gehört, jedoch wegen besonderer Umstände einer milderen Beurteilung würdig erscheint und nach seinem Leumund erwarten läßt, daß er nach Bewährung in einer Probezeit seine Pflichten als Bürger eines friedlichen demokratischen Staates erfüllen wird,
2.
wer sonst in die Gruppe der Mitläufer eingereiht ist, aber sich wegen seiner Führung und in Anbetracht seines Leumundes erst bewähren muß.
II.
Minderbelastet ist insbesondere: 1.
wer nach dem 1. Januar 1919 geboren ist, nicht zur Gruppe der Hauptschuldigen zählt, jedoch als Belasteter erscheint, ohne aber ein verwerfliches oder brutales Verhalten an den Tag gelegt zu haben, und nach seinem Leumund eine Bewährung erwarten läßt;
2.
wer, ohne Hauptschuldiger zu sein, zwar als Befasteter erscheint, aber eindeutig und klar erkennbar frühzeitig vom Nationalsozialismus und seinen Methoden abgerückt ist.

Artikel 7

Mitläufer: I.

Mitläufer ist:
wer nicht mehr als nominell am Nationalsozialismus teilgenommen oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nur unwesentlich unterstützt hat.
II.
Mitläufer ist unter dieser Voraussetzung insbesondere:
1.
wer als Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, ausgenommen HJ und BDM, lediglich Mitgliedsbeiträge bezahlte, an Versammlungen, deren Besuch Zwang war, teilnahm oder unbedeutende oder rein laufende Obliegenheiten wahrnahm, wie sie allen Mitgliedern vorgeschrieben waren;
2.
wer, ohne Hauptschuldiger, Belasteter oder Minderbelasteter zu sein, Bewerber der NSDAP war und nicht endgültig als Mitglied aufgenommen wurde.

Artikel 8

Entlastete:

Entlastet ist:
wer trotz seiner formellen Parteizugehörigkeit oder Anwartschaft oder sonstiger äußerer Kennzeichen nicht nur eine passive Haltung einnahm, sondern auch nach Kräften aktiven Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hat
Außerdem gelten die Jugendlichen, die nach dem 25. März 1939 in die HJ oder den BDM eingetreten sind, als Entlastete, vorausgesetzt, daß ihre Handlungsweise oder ihre Haltung nicht ihre Einreihung in eine der ersten drei Kategorien rechtfertigt.

Kapitel III: Sühnemaßnahmen

A. Abstufung und Anwendung der Sühnemaßnahmen

B. Die einzelnen Sühnemaßnahmen

II. Teil Organisation

Artikel 21

Die mit der Durchführung des vorliegenden Gesetzes beauftragten Organe sind:
1.
Der Staatskommissar für die politische Säuberung;
2.
der politische Beirat beim Staatskommissar für die politische Säuberung;
3.
die Spruchkammer; 4.
die Untersuchungsausschüsse.

Artikel 22

Der Staatskommissar für die politische Säuberung 1.

Der Staatskommissar für die politische Säuberung wird von der Landesregierung ernannt und entlassen.
2.
Er überwacht die Durchführung der vorliegenden Landesverordnung.
3.
Er wird durch den Beirat unterstützt. 4.
Er überwacht die Organisation, die Arbeit und die Entscheidungen der Spruchkammer und der Untersuchungsausschüsse.
5.
Er teilt den Verwaltungen, den zuständigen Stellen und den Betroffenen die Entscheidungen mit. Er überwacht deren Durchführung.
6.
Entsprechend den Bestimmungen dieser Landesverordnung bestimmt der Staatskommissar die Personen, Personengruppen oder Kategorien, die dem politischen Säuberungsverfahren zu unterwerfen sind.

Artikel 23

Der politische Beirat 1.

Der politische Beirat ist bei der Landesregierung akkreditiert;
2.
er besteht aus je einem Vertreter der zugelassenen politischen Parteien;
3.
er kann Vorschläge, Bemerkungen und Darlegungen über die Arbeit der mit der Säuberung beauftragten Stellen machen;
4.
der politische Beirat kann die Akten vor der amtlichen Bekanntgabe der Entscheidung prüfen;
5.
die Tätigkeit als Mitglied des politischen Beirates ist unvereinbar mit der eines Mitgliedes einer Spruchkammer oder eines Untersuchungsausschusses.

Artikel 24

Die Spruchkammer 1.

Es wird eine Spruchkammer gebildet, die mehrere Abteilungen umfassen kann.
2.
Jede Abteilung setzt sich zusammen aus: a)
dem Vorsitzenden; b)
je einem Vertreter der zugelassenen politischen Parteien und einem Vertreter der Gewerkschaften;
c)
zwei Beisitzern, die die Berufsgruppe des zu Beurteilenden vertreten und die zu dem leitenden bzw. dem nachgeordneten Personal dieser Berufsgruppe gehören;
und einem Vertreter des Staatskommissars bei der Abteilung.
3.
Die Mitglieder der Spruchkammer werden ernannt: a)
Der Präsident und sein Stellvertreter durch die Regierung auf Vorschlag des Staatskommissars;
b)
die Beisitzer, die die politischen Parteien und die Gewerkschaften vertreten, durch den Staatskommissar auf Vorschlag der politischen Parteien und der Gewerkschaften;
c)
die beiden Beisitzer der Berufsgruppe, der der Betroffene angehört, wenn eine Berufsgruppe besteht, auf Vorschlag dieser Gruppe, andernfalls auf Vorschlag der zuständigen Landesbehörde oder bei deren Fehlen des Ministeriums des Innern durch den Staatskommissar.
4.
Die Abberufung von Mitgliedern der Spruchkammer erfolgt durch die Behörden, die sie ernannt haben, nach Rücksprache mit den Organisationen, die sie vorgeschlagen haben.
5.
Die Mitglieder der Spruchkammer müssen mindestens 30 Jahre alt sein.
6.
Für den Vorsitzenden und jedes Mitglied wird unter den gleichen Voraussetzungen ein Stellvertreter ernannt, der in Abwesenheit des planmäßigen Mitgliedes an den Sitzungen teilnimmt.
7.
Der Vorsitzende und sein Vertreter müssen Richter oder zum Richteramte fähig sein.
8.
Die Spruchkammer befindet sich am Sitze der Regierung.

Artikel 25

Die Untersuchungsausschüsse 1.

In jedem Kreis wird ein Untersuchungsausschuß gebildet, der mehrere Abteilungen umfassen kann.
2.
Jede Abteilung setzt sich zusammen aus: a)
dem Vorsitzenden; b)
einem Beisitzer für jede der zugelassenen politischen Parteien und der Gewerkschaften;
c)
zwei Beisitzern, die die Berufsgruppe des zu Beurteilenden vertreten und die zu dem leitenden bzw. nachgeordneten Personal dieser Berufsgruppe gehören.
3.
Die Mitglieder der Untersuchungsausschüsse werden vom Staatskommissar ernannt;
a)
Der Vorsitzende und sein Stellvertreter unmittelbar;
b)
die Beisitzer, die die zugelassenen politischen Parteien vertreten, auf Vorschlag dieser Parteien und der Vertreter der Gewerkschaften auf Vorschlag der Gewerkschaften;
c)
die beiden Beisitzer der Berufsgruppe, der der Betroffene angehört, wenn eine Berufsgruppe besteht, auf Vorschlag dieser Gruppe, andernfalls auf Vorschlag der zuständigen Landesbehörde oder bei deren Fehlen des Ministeriums des Innern durch den Staatskommissar.
4.
Die Abberufung von Mitgliedern der Untersuchungsausschüsse wird vom Staatskommissar nach Befragung der Organisationen, die sie vorgeschlagen haben, ausgesprochen.
5.
Die Mitglieder der Untersuchungsausschüsse müssen mindestens 30 Jahre alt sein.
6.
Für den Vorsitzenden und jedes Mitglied wird unter den gleichen Bedingungen ein Stellvertreter ernannt, der, im Falle der Abwesenheit des planmäßigen Mitgliedes, an den Sitzungen teilnimmt.
7.
Der Vorsitzende und sein Stellvertreter müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen.

Artikel 26

Rechtliche Stellung der Mitglieder der Spruchkammer und Untersuchungsausschüsse 1.

Die Mitglieder der Spruchkammer und der Untersuchungsausschüsse sind in der Ausübung ihrer Funktionen unabhängig und nur dem Gesetz allein unterworfen.
2.
Sie sind zur Wahrung des Amtsgeheimnisses verpflichtet.
Sie leisten einen Eid, unparteiisch nach dem Gesetz und nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen.
3.
Der Staatskommissar setzt im Einvernehmen mit der Regierung die Vergütung für die nicht im Beamtenverhältnis stehenden Mitglieder fest, die Beamten erhalten den zuletzt bezogenen Gehalt weiter.

III. Teil Verfahren

Artikel 27

Grundsätze des Verfahrens 1.

Die Untersuchungsausschüsse, Spruchkammer und der Staatskommissar haben alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gewissenhaft zu ermitteln.
2.
Sie können Zeugen und Sachverständige vernehmen. Sie können den Betroffenen, die Zeugen und die Sachverständigen vorladen, sowie deren Erscheinen durch Vorführungsbefehl oder Ordnungsstrafen erzwingen. Sie können eidesstattliche Erklärungen rechtswirksam entgegennehmen.
3.
Gehört jedoch der Betroffene in die Gruppe der Hauptschuldigen oder Schuldigen, so muß er immer gehört werden:
a)
zunächst vom Untersuchungsausschuß, b)
dann von der Spruchkammer.
Leistet er jedoch der Vorladung keine Folge, so kann ohne seine Anhörung entschieden werden.

Artikel 28

Untersuchungsausschüsse 1.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses bezeichnet im Bereich seiner örtlichen Zuständigkeit die Fälle, die in Anwendung dieses Gesetzes oder nach den Weisungen des Staatskommissars zu überprüfen sind.
2.
Der von den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses unterstützte Vorsitzende siellt die Akten zusammen, weist den Betroffenen in eine der durch die Landesverordnung vorgesehenen Gruppe ein, untersucht und stellt die Tatsachen fest, die für die Wahl und Höhe der Strafe von Bedeutung sind, und schlägt eine Entscheidung vor.
3.
Der Untersuchungsausschuß übergibt der Spruchkammer die vollständigen Akten und fügt einen begründeten Vorschlag bei.
4.
Die Vorschläge werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt, wobei die Stimme des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt.
Sie werden von dem Vorsitzenden und einem Beisitzer gezeichnet.
5.
Die Verhandlungen finden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.

Artikel 29

Spruchkammer 1.

Die Spruchkammer entscheidet nach den Akten, vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 27, Ziffer 3
. Sie gründet ihre Entscheidung auf die Feststellungen der Untersuchungsausschüsse in Gegenwart des Staatskommissars oder seines Stellenvertreters, der seine Bemerkungen machen kann, entsprechend den Vorschriften des Artikels 11 Ziffer 4, kann sie ausnahmsweise bei Vorliegen besonders erschwerender oder mildernder Umstände den Betroffenen in eine andere Gruppe einreihen.
2.
Die Spruchkammer kann, falls sie es für notwendig erachtet:
a)
selbst ergänzende Untersuchungen anstellen, Beweise erheben, Zeugen oder den Betroffenen vorladen, oder
b)
den Untersuchungsausschuß damit beauftragen.
3.
Die Entscheidungen werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefällt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters den Ausschlag.
4.
Die Verhandlungen finden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt.
5.
Die von dem Vorsitzenden und einem Beisitzer unterzeichneten Entscheidungen werden mit einer Begründung dem Staatskommissar übergeben.

Artikel 30

Staatskommissar 1.

Der Staatskommissar teilt die Entscheidungen den Verwaltungsbehörden und den interessierten Organisationen sowie dem Betroffenen mit. Er trifft oder läßt die notwendigen Maßnahmen treffen, daß die Entscheidung in all ihren Konsequenzen durchgeführt wird.
2.
Der Staatskommissar kann vor der Veröffentlichung eine neue Prüfung durch die Spruchkammer anordnen, wenn er die Entscheidung für ungerecht oder im Widerspruch zum Text dieser Landesverordnung hält. Er schreibt in diesem Falle eine neue Prüfung vor, die durch die Spruchkammer innerhalb eines Monats durchgeführt werden muß.
3.
Die Entscheidungen werden mit ihrer Bekanntgabe durch den Staatskommissar vollstreckbar. Sie werden beim Staatskommissar registriert, im Amtsblatt des Landes veröffentlicht und in das Strafregister des Betroffenen eingetragen.

Artikel 31

Örtliche Zuständigkeit der Untersuchungsausschüsse und der Spruchkammer 1.

Jeder Untersuchungsausschuß und die Spruchkammer ist für die Personen örtlich zuständig, die bei der Einleitung des Säuberungsverfahrens im Bezirk des Untersuchungsausschusses oder der Spruchkammer ihren Wohnsitz haben oder mangels eines Wohnsitzes ihren Aufenthalts- oder Arbeitsort im Bezirk des Untersuchungsausschusses oder der Spruchkammer haben.
2.
Wenn Maßnahmen gegen Erben, Pflichtteilsberechtigte, Vermächtnisnehmer oder Versorgungsberechtigte in Frage kommen, so ist der Ausschuß und die Spruchkammer örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verstorbene seinen letzten Wohnsitz hatte.
3.
In Zweifelsfällen sowie in Fällen, in denen Maßnahmen gegen Personen in Frage kommen, für welche die örtliche Zuständigkeit nicht durch Ziffer 1 und 2 geregelt ist, bestimmt der Staatskommissar den örtlich zuständigen Untersuchungsausschuß und die Spruchkammer
4.
Auf Antrag des Staatskommissars oder der gesetzlichen Erben kann gegen einen Abwesenden, dessen Aufenthalt unbekannt ist oder der sich außerhalb des Landes aufhält, ein Verfahren durchgeführt werden. Der Abwesende ist in geeigneter Weise öffentlich zu laden. Der Staatskommissar bestimmt den örtlich zuständigen Untersuchungsausschuß.

Artikel 32

Berufung 1.

Gegen die Entscheidung der Spruchkammer kann innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung im Amtsblatt Berufung einlegen
a)
Der Staatskommissar, der von Amts wegen handelt, nachdem er, falls er es für notwendig erachtet, die Ansicht des politischen Beirates eingeholt hat,
b)
der politische Beirat, c)
der Betroffene oder seine Rechtsnachfolger nach den Vorschriften des Art. 33
. 2.
Der Staatskommissar und der politische Beirat können in den Fällen des Art. 33, Ziffer 2b und c
Berufung ohne zeitliche Begrenzung einlegen. 3.
Die Berufung hat auf die gefällten Entscheidungen keine aufschiebende Wirkung.

Artikel 33

1.
Die durch den Betroffenen oder seine Rechtsnachfolger eingelegte Berufung ist nur zulässig, wenn erkannt ist auf:
a)
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, b)
Einzug von mindestens 40 Prozent seines gesamten Vermögens,
c)
Geldbußen von mindestens 15 000 RM oder von mindesten 40 Prozent des Wertes seines gesamten Vermögens,
d)
Entlassung oder endgültiges Berufsverbot. 2.
Sie muß außerdem darauf gestützt werden, daß: a)
Die Entscheidung den Vorschriften dieser Landesverordnung widerspricht oder
b)
neue Tatsachen oder neue Unterlagen beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit dem früher festgestellten Sachverhalt die Änderung der Entscheidung zu begründen geeignet sind, oder
c)
die Aussagen eines Zeugen oder das Gutachten eines Sachverständigen falsch waren oder eine als echt vorgebrachte Urkunde fälschlich angefertigt oder verfälscht war und dadurch eine ungerechte Entscheidung verursacht worden ist.

Artikel 34

Die Berufung kann der Spruchkammer überwiesen werden, die die frühere Entscheidung getroffen hat, oder sie kann an eine andere Abteilung der Spruchkammer gegeben werden.
Die Spruchkammer, die über die Berufung entscheidet, kann
a)
selbst eine ergänzende Untersuchung vornehmen oder
b)
alle ihr notwendig erscheinenden Vorladungen anordnen oder
c)
hiermit den Untersuchungsausschuß beauftragen.
Der Betroffene hat das Recht, von der Spruchkammer gehört zu werden.

Artikel 35

Die Spruchkammer kann im Berufungsverfahren entweder
die frühere Entscheidung bestätigen oder
die erkannten Maßnahmen mildern oder verschärfen.

Artikel 36

Die Berufungsverhandlungen sind nicht öffentlich.
Die Entscheidungen auf Grund der Berufung sind nach den Vorschriften des Art. 30, Ziff. 1 und 3, bekanntzugeben und zu registrieren.

IV. Teil Überleitungsbestimmungen - Revision

Artikel 37

Die vor dem Inkrafttreten dieser Landesverordnung durch
a)
die Landesreinigungskommission und b)
die Prüfungsausschüsse für die Wählerlisten
ergangenen Entscheidungen gelten als endgültig gefällt, sofern nicht in einer Frist von 60 Tagen nach Verkündigung dieser Landesverordnung Revision eingelegt wird.
Die Revisionsanträge sind zu den für die Berufung in Artikel 32
und 33 vorgesehenen Bedingungen zulässig. Ausgenommen sind jedoch die Revisionsanträge bezüglich der Entziehung der Staatsbürgerrechte durch die Prüfungsausschüsse für die Wählerlisten, die keinen besonderen Einschränkungen für die Revision unterworfen sind.

Artikel 38

Die Revision wird vor die Spruchkammer gebracht. Die Verfahrensvorschriften für die Berufung sind auf die Revision anwendbar, besonders die Art. 34
und 35 .

Artikel 39

Die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes festgesetzten Bewährungsfristen werden hiermit zurückgesetzt
auf zwei Jahre, wenn die Bewährungsfrist bisher zwei bis fünf Jahre und auf drei Jahre, wenn sie fünf oder mehr als fünf Jahre betragen hat.

Artikel 40

1.
Die bisherigen Säuberungsorgane (Untersuchungsausschüsse, Reinigungskommissionen) stellen mit dem Inkrafttreten dieser Landesverordnung ihre Tätigkeit ein.
2.
Die bei diesen Stellen anhängenden Verfahren und Archiven gehen gegen Abgabebescheinigung auf die nach dieser Landesverordnung zuständigen Untersuchungsausschüsse und Spruchkammer über.
3.
Die Mitglieder der ehemaligen Säuberungsorgane können in die neuen Organe übernommen werden, wenn sie die Voraussetzungen dieser Landesverordnung erfüllen.

V. Teil

Kapitel I: Strafbestimmungen

Artikel 41

Mit Gefängnis bis zu 10 Jahren und mit Geldstrafe von 100 bis 100 000 RM oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer
a)
im Säuberungsverfahren eine Tatsache, ob mündlich oder schriftlich, auf Befragen verschweigt oder unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
b)
ein Beweismittel vernichtet, verfälscht oder verheimlicht,
c)
den Entscheidungen der Spruchkammer vorsätzlich zuwiderhandelt, sich ihrer Ausführung entzieht oder zu entziehen versucht oder ihre Anwendung erschwert,
d)
versucht, die in den Absätzen a, b und c angegebenen Delikte zu begehen.

Artikel 42

Die Strafverfolgung nach Artikel 41 tritt auf Antrag des Staatskommissars ein. Zur Aburteilung sind die ordentlichen Gerichte zuständig.

Kapitel II: Allgemeine Bestimmungen

Artikel 43

Alle Organe der politischen Säuberung können Mitteilung aller öffentlichen und privaten Urkunden verlangen, die für das Verfahren erheblich sind.

Artikel 44

Alle Behörden und Privatpersonen sind verpflichtet, die Organe der politischen Säuberung zu unterstützen, bei ihrer Ausführung Hilfe zu leisten und die Entscheidungen zu beachten.

Artikel 45

1.
Der Staatskommissar hat das Recht, vor jeder Beurteilung Sicherungsmaßnahmen sowohl hinsichtlich der Person als auch des Vermögens einer jeden Person zu ergreifen, die verdächtig ist, in eine durch dieses Gesetz vorgesehene Gruppe eingereiht zu werden.
Er kann gleichfalls Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des Vermögens juristischer Personen (Art. 14) oder deren Vertreter ergreifen.
In diesen beiden Fällen wird er unverzüglich den zuständigen Untersuchungssausschuß verständigen.
2.
Die Untersuchungsausschüsse und die Spruchkammer werden dem Staatskommissar alle schwebenden Fälle bekanntgeben, in denen Sicherungsmaßnahmen notwendig erscheinen.

Artikel 46

Die Vorschriften dieser Landesverordnung finden Anwendung auf:
a)
alle Personen, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ihren Wohnsitz oder mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalts- oder Arbeitsort im Lande Baden - französisches Besatzungsgebiet - haben,
b)
alle Personen, die nach Inkrafttreten dieser Landesverordnung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Baden - französisches Besatzungsgebiet - nehmen.

Artikel 47

Das Verfahren auf Grund dieser Landesverordnung ist gebührenpflichtig. Das Nähere bestimmt die Gebührenordnung.

Artikel 48

Diese Landesverordnung tritt mit ihrer Verkündigung in Kraft.
Die vorstehende Landesverordnung hat Gesetzeskraft als badisches Landesgesetz.
Freiburg i. Br., den 29. März 1947.

Der Präsident des Staatssekretariats Baden Wohleb

Der Staatskommissar für die politische Säuberung Streng

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