DrogKRV BW 2022
DE - Landesrecht Baden-Württemberg

Verordnung der Landesregierung über den Betrieb von Drogenkonsumräumen Vom 26. Juli 2022

§ 1 Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis

Die Erlaubnis zum Betrieb eines Drogenkonsumraums kann auf Antrag von der obersten Landesgesundheitsbehörde erteilt werden, wenn die in § 2 aufgeführten Betriebszwecke verfolgt und die Mindeststandards nach den §§ 3 bis 11 eingehalten werden.

§ 2 Betriebszweck

(1) Drogenkonsumräume im Sinne von § 10a BtMG müssen der Gesundheits-, Überlebens- und Ausstiegshilfe für Drogenabhängige dienen und in das örtliche Suchthilfenetzwerk eingebunden sein.
(2) Der Betrieb von Drogenkonsumräumen soll dazu beitragen,
1.
die durch Drogenkonsum bedingten Gesundheitsgefahren zu senken, um damit insbesondere das Überleben von Abhängigen zu sichern,
2.
die Behandlungsbereitschaft der Abhängigen zu wecken und dadurch den Einstieg in den Ausstieg aus der Sucht einzuleiten,
3.
die Inanspruchnahme weiterführender insbesondere suchttherapeutischer Hilfen einschließlich der vertragsärztlichen Versorgung zu fördern und
4.
die Belastungen der Öffentlichkeit durch konsumbezogene Verhaltensweisen zu reduzieren.

§ 3 Zweckdienliche Ausstattung

Drogenkonsumräume müssen mit Konsumplätzen für den intravenösen, inhalativen, nasalen oder oralen Konsumausgestattet, von den übrigen Beratungseinrichtungen räumlich getrennt, barrierefrei zugänglich und nutzbar, ausreichend beleuchtet und stets vollständig einsehbar sein. Es sind gesonderte Wartebereiche einzurichten. Die Räume müssen die für den Drogenverbrauch wechselnder Personen notwendigen hygienischen Voraussetzungen erfüllen. Insbesondere müssen Wände, Ablageflächen und Böden sowie die Einrichtungsgegenstände abwaschbar und desinfizierbar sein. Die Räume müssen stets gut ent- und belüftet und in sauberem Zustand sein sowie regelmäßig desinfiziert werden. Steriles Einmalspritzbesteck, Tupfer, Ascorbinsäure und Injektionszubehör sowie geeignete Utensilien zum inhalativen, nasalen oder oralen Konsum sind in ausreichendem Umfang vorzuhalten. Eine sachgerechte Entsorgung gebrauchter Spritzbestecke und zum einmaligen Gebrauch bestimmter Konsumutensilien ist sicherzustellen. Den Nutzerinnen und Nutzern der Drogenkonsumräume sind geeignete sanitäre Anlagen zur Verfügung zu stellen.

§ 4 Gewährleistung der Notfallversorgung

(1) Eine sofort einsatzfähige medizinische Notfallversorgung muss gewährleistet sein. Während der Öffnungszeiten von Drogenkonsumräumen sind die Nutzerinnen und Nutzer durch regelmäßig in der Notfall- und Drogennotfallversorgung geschultes Personal ständig zu beobachten, um im Bedarfsfalle sofortige Wiederbelebungsmaßnahmen oder eine Erstversorgung zu ermöglichen. Für jeden Drogenkonsumraum ist mindestens ein medizinischer Notfallkoffer bereitzuhalten.
(2) Es muss sichergestellt sein, dass der Zugang zum Drogenkonsumraum für externe Rettungsdienste schnell und problemlos zu erreichen ist.
(3) Die Einzelheiten der Notfallversorgung sind in einem medizinischen Notfallplan festzuhalten, der ständig zu aktualisieren ist und dem Personal zur Verfügung stehen muss. Der Notfallplan beinhaltet auch Maßnahmen zum Unfallschutz und bei Verletzungen des Personals.

§ 5 Medizinische Beratung und Hilfe, Vermittlung von weiterführenden und ausstiegsorientierten Angeboten der Beratung und Therapie

(1) Der Drogenkonsumraum muss personell so ausgestattet sein, dass die Abhängigen, insbesondere bei akuten oder chronischen Krankheiten, über Infektionsrisiken, Toxizität der verwendeten Betäubungsmittel, Maßnahmen zur Vorbeugung von Wundinfektionen sowie risikoärmere Konsumformen beraten werden können und im Bedarfsfall Krisenintervention geleistet werden kann. Es muss sichergestellt sein, dass ärztliche Hilfe und Beratung unverzüglich erfolgen können.
(2) Das Personal hat über eine suchtspezifische Erstberatung hinaus jeweils in der im konkreten Einzelfall angemessenen Weise über weitergehende und ausstiegsorientierte Beratungs- und Behandlungsangebote zu informieren und diese bei Bedarf zu vermitteln. Hierbei ist insbesondere auf die Risiken des Drogenkonsums bei gleichzeitiger Substitutionsbehandlung und die Notwendigkeit des Konsumverzichts hinzuweisen und auf die Inanspruchnahme der im Einzelfall notwendigen Hilfe hinzuwirken. Personen, die einen Entgiftungswunsch äußern, sind die notwendigen Hilfestellungen bei der Kontaktaufnahme zu geeigneten Einrichtungen zu gewähren.

§ 6 Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten

(1) Es ist eine mit den zuständigen Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden abgestimmte Hausordnung zu erlassen und gut sichtbar auszuhängen. Die Nutzerinnen und Nutzer sind darin ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, mit Ausnahme des Besitzes von ärztlich nicht verschriebenen Betäubungsmitteln gemäß § 8 Absatz 3 Satz 3 zum Eigenverbrauch in geringer Menge, auch innerhalb des Drogenkonsumraums nicht geduldet werden. Die Einhaltung der Hausordnung ist durch das Personal zu überwachen.
(2) Gegenüber dem Personal ist die Anweisung zu erlassen, dass die in Absatz 1 genannten und nicht geduldeten Straftaten unverzüglich zu unterbinden sind. Sofern dies erfolglos bleibt, ist das Personal oder die Leitung der Einrichtung verpflichtet, die Straftaten ausnahmslos zur Anzeige zu bringen. Festgestellte Straftaten und die jeweils ergriffenen Maßnahmen sind gesondert zu dokumentieren. Die Dokumentation ist auf Verlangen den zuständigen Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden auszuhändigen.
(3) Bei einem Verstoß gegen die Hausordnung sind die betreffenden Personen von der weiteren Nutzung auszuschließen. Über die Dauer des Nutzungsausschlusses entscheidet die Leitung der Einrichtung.

§ 7 Kooperation zur Verhinderung von Straftaten im unmittelbaren Umfeld der Einrichtung

Die Trägerorganisationen von Drogenkonsumräumen haben mit den zuständigen Polizei-, Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden Grundzüge ihrer Zusammenarbeit schriftlich festzulegen. Zu den Grundzügen der Zusammenarbeit gehört, dass die Leitung des Drogenkonsumraums regelmäßig Kontakt insbesondere zu den Polizei- und Ordnungsbehörden hält, um frühzeitig Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im unmittelbaren Umfeld des Drogenkonsumraums zu verhindern. Die Leitung des Drogenkonsumraums hat die einrichtungsbedingten Auswirkungen auf das unmittelbare räumliche Umfeld zu beobachten und zu dokumentieren.

§ 8 Nutzerinnen- und Nutzerkreis, Konsumstoffe und Konsumarten

(1) Nutzerinnen und Nutzer von Drogenkonsumräumen dürfen grundsätzlich nur volljährige Personen mit Betäubungsmittelabhängigkeit und Konsumerfahrung sein. Jugendlichen mit Betäubungsmittelabhängigkeit und Konsumerfahrung darf der Zugang nur dann gestattet werden, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten vorliegt oder sich das Personal im Einzelfall nach sorgfältiger Prüfung anderer Hilfemöglichkeiten vom gefestigten Konsumentschluss überzeugt hat.
(2) Von der Benutzung des Drogenkonsumraumes sind auszuschließen:
1.
offenkundige Erst- und Gelegenheitskonsumierende,
2.
erkennbar intoxikierte Personen und 3.
Personen, denen erkennbar die Einsichtsfähigkeit in die durch die Applikation erfolgende Gesundheitsschädigung fehlt.
(3) Die von den Nutzerinnen und Nutzern mitgeführten Betäubungsmittel sind einer Sichtkontrolle zu unterziehen. Eine nähere Substanzanalyse im Drogenkonsumraum zur Menge, Art und Zusammensetzung des Stoffes ist unzulässig. Der Konsum von Betäubungsmitteln im Drogenkonsumraum kann Opioide, Kokain, Amphetamine oder deren Derivate sowie Benzodiazepine betreffen und intravenös, inhalativ, nasal oder oral erfolgen.
(4) Das Nähere ist in der Hausordnung zu regeln.

§ 9 Dokumentation und Evaluation

Die Leitungen haben eine fortlaufende Dokumentation über den Betrieb der Drogenkonsumräume in anonymisierter Form und unter Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen sicherzustellen. Hierzu sind Tagesprotokolle zu fertigen, die insbesondere über Umfang und Ablauf der Nutzerinnen- und Nutzerkontakte, Zahl und Tätigkeit des eingesetzten Personals sowie alle besonderen Vorkommnisse Auskunft geben. Diese Protokolle sind in einem monatlichen Bericht zusammenzufassen und im Hinblick auf die Zielerreichung regelmäßig auszuwerten. Über die Ergebnisse sind die zuständigen Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden zu unterrichten.

§ 10 Personal und Anwesenheitspflicht

Während der Öffnungszeiten ist die ständige Anwesenheit von ausreichendem Fachpersonal zu gewährleisten. Das Fachpersonal muss für die Erfüllung der in den §§ 3 bis 9 genannten Anforderungen fachlich ausgebildet sowie zuverlässig sein.

§ 11 Verantwortlichkeit

(1) Die Leitungen der Drogenkonsumräume sind sachkundige Person gemäß § 10a
Absatz 2 Satz 2 Nummer 10 BtMG. Sie müssen fachlich ausgebildet und zuverlässig sein. Sie sind verantwortlich für die Einhaltung der in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen und der hierzu ergehenden behördlichen Auflagen und Anordnungen.
(2) Die Trägerorganisationen von Drogenkonsumräumen haben für die Einhaltung der in Absatz 1 genannten Anforderungen, Auflagen und Anordnungen ebenfalls Sorge zu tragen. Sie haben ferner sicher zu stellen, dass die Leitungen und das Personal weder selbst am Betäubungsmittelverkehr teilnehmen noch aktive Hilfe beim unmittelbaren Verbrauch der Betäubungsmittel leisten.
(3) Die Trägerorganisationen von Drogenkonsumräumen wirken an allgemeinen Maßnahmen zur Prävention von Drogenkonsum mit.

§ 12 Erlaubnisverfahren

(1) Der Antrag ist in Textform auf dem Dienstweg an die oberste Landesgesundheitsbehörde zu richten.
(2) Er muss die folgenden Angaben und Unterlagen enthalten:
1.
Name und Anschrift der Trägerorganisation der Einrichtung,
2.
Name und Anschrift der vor Ort im Sinne von § 10a
Absatz 2 Satz 2 Nummer 10 BtMG verantwortlichen Leitung des Drogenkonsumraums und deren Vertretung,
3.
Darstellung der räumlichen und baulichen Ausstattung der Einrichtung, insbesondere Adresse, Grundriss und Lageplan, Bauweise, Bestätigung der barrierefreien Zugänglichkeit und Nutzbarkeit sowie Sicherungen gegen missbräuchlichen Umgang mit Betäubungsmitteln,
4.
Darstellung des Beratungskonzepts gemäß § 5 Absatz 2,
5.
Darstellung der Einbeziehung in das Suchthilfenetzwerk der Kommune,
6.
Benennung der in der Einrichtung zum Konsum zugelassenen Betäubungsmittel und Konsumarten,
7.
Nachweise über die Qualifikation der Leitung und des übrigen Personals sowie Erklärungen darüber, dass sie die ihnen obliegenden Verpflichtungen ständig erfüllen können,
8.
Nachweise der persönlichen Zuverlässigkeit, 9.
den Plan für die medizinische Notfallversorgung gemäß § 4 Absatz 3,
10.
eine Hausordnung gemäß § 6 Absatz 1, 11.
Zahl der voraussichtlichen Nutzerinnen und Nutzer und
12.
Vereinbarung über die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden gemäß § 7.
(3) Die Erlaubnis kann befristet und unter Bedingungen erteilt sowie mit Auflagen verbunden werden. Für Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis gilt § 10
BtMG entsprechend.

§ 13 Überwachung

Drogenkonsumräume können infektionshygienisch durch das Gesundheitsamt überwacht werden.

§ 14 Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit Wirkung vom 1. April 2022 in Kraft.
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