Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen
Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen
Vom 8. April 1924 (Fn 1)
Der Landtag hat folgendes Gesetz beschlossen:
Artikel 1
(1) Nachdem die aus den Anlagen ersichtlichen Verfassungen
a) der evangelischen Kirche der altpreußischen Union, b) der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, c) der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins, d) der evangelischen Landeskirche in Hessen-Kassel, e) der evangelischen Landeskirche in Nassau, f) der evangelisch-reformierten Landeskirche der Provinz Hannover, g) der evangelischen Landeskirche Frankfurt a. M.
von ihren verfassungsgebenden Kirchenversammlungen festgestellt und erlassen sind, werden die Staatsgesetze, nach denen Änderungen früherer kirchengesetzlicher Bestimmungen einer staatlichen Genehmigung bedürfen, aufgehoben.
(2) Soweit diese Verfassungen die Vertretung und die Verwaltung des Vermögens und das Steuer- und Umlagerecht regeln, wird ihre Rechtsgültigkeit staatlicherseits anerkannt.
Artikel 2 (Fn 2)
(1) Kirchliche Gesetze sind vor der Verkündung dem für kirchliche Angelegenheiten zuständigen Minister zur Kenntnisnahme vorzulegen.
(2) Dieser kann innerhalb eines Monats nach der Vorlegung gegen das Gesetz Einspruch erheben.
(3) Der Einspruch ist nur aus dem Grunde zulässig, dass das kirchliche Gesetz
a) mit einem Staatsgesetz in Widerspruch steht, oder b) zu seiner Durchführung einer staatlichen Mitwirkung bedarf, oder c) Bestimmungen über Bildung und Zusammensetzung der zur vermögensrechtlichen Vertretung oder zur Ausübung steuerlicher Befugnisse berufenen kirchlichen Organe derartig abändert, dass eine geordnete Vermögensverwaltung oder eine genügende Vertretung der Steuerpflichtigen nicht gewährleistet wird.
(4) Bestreitet die Kirche, dass eine dieser Voraussetzungen vorliegt, so entscheidet auf Klage der obersten kirchlichen Behörde im Verwaltungsstreitverfahren das Oberverwaltungsgericht.
(5) Die Verkündung kirchlicher Gesetze ist erst zulässig, nachdem die Einspruchsfrist verstrichen oder auf ihre Einhaltung durch den Minister verzichtet oder nachdem der Einspruch im Verwaltungsstreitverfahren zurückgewiesen ist.
Artikel 3 (Fn 2)
Auf Satzungen der Kirchengemeinden und kirchlichen Verbände findet Artikel 2 entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass sie vor der Veröffentlichung der Staatsbehörde vorzulegen sind.
Artikel 4
Die Neubildung und die Veränderung von Kirchengemeinden und kirchlichen Verbänden bedürfen der staatlichen Genehmigung.
Artikel 5
(1) Beschlüsse der kirchlichen Behörden in Vermögensauseinandersetzungen in den Fällen des Artikels 4 bedürfen der staatlichen Genehmigung.
(2) Innerhalb eines Monats nach Zustellung des staatlich genehmigten Beschlusses steht den Beteiligten gegeneinander die Klage im Verwaltungsstreitverfahren beim Oberverwaltungsgericht offen.
Artikel 6 (Fn 3)
(1) Beschlüsse der kirchlichen Organe bedürfen der Genehmigung der Staatsbehörde bei
1. Veräußerung von Gegenständen, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwert haben, 2. Anleihen, die nicht bloß zur vorübergehenden Aushilfe dienen, 3. (aufgehoben) 4. Sammlungen, wenn sie nicht im Zusammenhange mit einer kirchlichen Veranstaltung vorgenommen werden, 5. Verwendung des kirchlichen Vermögens zu anderen als den bestimmungsmäßigen Zwecken. Ausgenommen sind Bewilligungen aus der Kirchenkasse, sofern sie im Gesamtbetrag im Laufe eines Jahres zehn vom Hundert der Solleinnahmen nicht übersteigen.
(2) In jeder Landeskirche kann alljährlich eine Haussammlung zum Besten ihrer bedürftigen Gemeinden ohne besondere Ermächtigung einer Staatsbehörde eingesammelt werden. Die Zeit der Einsammlung muss dem Oberpräsidenten vorher angezeigt werden.
(3) (aufgehoben)
Artikel 7
(1) Höhe und Verteilungsmaßstab der kirchlichen Umlagen bedürfen der staatlichen Genehmigung.
(2) Die staatliche Mitwirkung im kirchlichen Steuerwesen erfolgt nach den bisherigen Vorschriften.
Artikel 8
(1) Den Kirchengemeinden und kirchlichen Verbänden steht gegen die Beschlüsse der ihnen übergeordneten Organe wegen Verteilung der Beiträge zu den kirchlichen Umlagen innerhalb eines Monats seit Zustellung des Beschlusses Beschwerde an die Staatsbehörde zu.
(2) Soweit in der kirchlichen Gesetzgebung ein kirchliches Rechtsmittelverfahren vorgesehen ist, beginnt die Frist mit der Zustellung des das kirchliche Verfahren abschließenden Beschlusses.
Artikel 9
Kirchliche Gesetze, durch welche das Pfarr- oder Kirchenvermögen zu Abgaben herangezogen wird, bedürfen der Bestätigung durch ein Staatsgesetz.
Artikel 10
Die Staatsbehörde ist berechtigt: 1. in die kirchliche Vermögensverwaltung Einsicht zu nehmen und Gesetzwidrigkeiten zu beanstanden, 2. nach Benehmen mit der obersten kirchlichen Behörde
zur Sicherung einer ordnungsmäßigen Vermögensverwaltung die Einberufung der Gemeindekörperschaften zu verlangen, falls sie von den zuständigen Kirchenbehörden verweigert wird,
die Rechte der Organe der Kirchengemeinden und der kirchlichen Verbände auf vermögensrechtlichem Gebiete durch Bevollmächtigte auszuüben, wenn jene Organe nicht vorhanden sind und solange die zuständige kirchliche Stelle von der Befugnis, Bevollmächtigte zu bestellen, keinen Gebrauch macht.
Artikel 11
(1) Weigern sich die zuständigen Organe einer Kirchengemeinde oder eines kirchlichen Verbandes, gesetzliche Leistungen auf den Haushalt zu bringen, festzusetzen oder zu genehmigen, so kann die kirchliche Aufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Staatsbehörde die Eintragung der Leistungen in den Haushalt bewirken und die weiter erforderlichen Anordnungen treffen.
(2) Macht die kirchliche Aufsichtsbehörde von ihrer Befugnis keinen Gebrauch, so kann die Staatsbehörde nach Benehmen mit der obersten kirchlichen Behörde die erforderlichen Maßnahmen selbst treffen.
Artikel 12
Bestreiten die kirchlichen Organe die Gesetzwidrigkeit der beanstandeten Posten (Artikel 10 zu 1) oder die Verpflichtung zu den in den Haushalt eingetragenen Leistungen (Artikel 11), so entscheidet auf Klage der kirchlichen Organe im Verwaltungsstreitverfahren das Oberverwaltungsgericht.
Artikel 13
Die Bestimmungen der Artikel 11 und 12 finden auf die Organe der Landeskirchen mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass die Staatsbehörde zu den vorgesehenen Maßnahmen befugt ist.
Artikel 14
Im förmlichen Disziplinarverfahren gegen Geistliche und Kirchenbeamte sind
die kirchlichen Disziplinarbehörden berechtigt, Zeugen und Sachverständige zu vereidigen,
die Amtsgerichte verpflichtet, dem Rechtshilfeersuchen der kirchlichen Disziplinarbehörden stattzugeben.
Artikel 15
(1) Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinarentscheidungen findet staatlicherseits nur dann statt, wenn sie von der Staatsbehörde für vollstreckbar erklärt werden.
(2) Geldstrafen dürfen nur vollstreckt werden in der Höhe, wie sie bei den Staatsbeamten zulässig ist.
Artikel 16
In Verfahren wegen Verletzung der Lehrverpflichtung findet eine staatliche Mitwirkung nicht statt.
Artikel 17
(1) Über die Anordnung von Neu- und Reparaturbauten bei Kirchen-, Pfarr- und Küstergebäuden, wenn die Küsterei mit der Schule nicht verbunden ist, sowie anderen der kirchlichen Baulast unterworfenen Baulichkeiten, über die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zur Aufbringung der Baukosten sowie über die Verteilung derselben auf Kirchengemeinden, kirchliche Verbände und Drittverpflichtete beschließt, sofern Streit entsteht, auf Antrag vorläufig die Staatsbehörde. Auf Antrag ist über die Notwendigkeit des Baues, die Zweckmäßigkeit und Art der Bauausführung vorab zu beschließen.
(2) Gegen den Beschluss findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Dieselbe ist, soweit der in Anspruch Genommene zu der ihm angesonnenen Leistung aus Gründen des öffentlichen Rechtes statt seiner einen anderen für verpflichtet erachtet, zugleich gegen diesen zu richten.
(3) Auch im Übrigen unterliegen Streitigkeiten der Beteiligten darüber, wem von ihnen die öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit zum Bau oder zur Unterhaltung eines der im Abs. 1 bezeichneten Gebäude ganz oder teilweise obliegt, der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren.
(4) Die Klage ist in den Fällen des zweiten Absatzes innerhalb eines Monats anzubringen. Die zuständige Behörde kann zur Vervollständigung der Klage eine angemessene Nachfrist gewähren. Durch den Ablauf dieser Fristen wird jedoch die Klage im Verwaltungsstreitverfahren auf Erstattung des Geleisteten gegen einen aus Gründen des öffentlichen Rechtes verpflichteten Dritten nicht ausgeschlossen.
(5) Zuständig im Verwaltungsstreitverfahren ist in erster Instanz der Bezirksausschuss.
(6) Auf den Beschluss der Staatsbehörde findet § 53 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung Anwendung.
(7) Die vorstehenden Bestimmungen finden bei der Beschaffung und Instandsetzung von Zubehörstücken entsprechende Anwendung.
Artikel 18
(1) Unbeschadet der Erhebung der Klage im Verwaltungsstreitverfahren nach Abs. 2 des vorigen Artikels sind Kirchengemeinden, kirchliche Verbände und Drittverpflichtete berechtigt, gegen den Beschluss der Staatsbehörde, insoweit über die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder Art des Baues oder der Bauausführung Festsetzungen getroffen sind, innerhalb eines Monats Beschwerde an die Aufsichtsbehörde einzulegen.
(2) Ist gleichzeitig oder später Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben, so kann das Oberverwaltungsgericht das Verfahren zeitweise einstellen, bis die Entscheidung über die Beschwerde ergangen ist. Die Staatsbehörde hat das Verwaltungsgericht von der Einlegung der Beschwerde und von der darauf ergangenen Entscheidung in Kenntnis zu setzen.
Artikel 19
Unberührt bleiben die bisherigen staatlichen Vorschriften über
1. die Rechtsverhältnisse des Patrons,
2. die Anordnung der Vollstreckung der zur Aufrechterhaltung der äußeren kirchlichen Ordnung erforderlichen polizeilichen Vorschriften,
3. die Beitreibung kirchlicher Abgaben,
4. die Leitung der Kirchenbuchführung, soweit die Kirchenbücher noch zur Beurkundung des Personenstandes dienen,
5. die Ausstellung von Bescheinigungen über das Vorhandensein derjenigen Tatsachen, welche den Anspruch auf Kostenfreiheit begründen,
6. die Voraussetzungen der Kirchensteuerpflicht.
Artikel 20 (Fn 4)
(1) Alle diesem Gesetz entgegenstehenden Bestimmungen, mögen dieselben in den allgemeinen Landesgesetzen, den Provinzial- oder Lokalgesetzen begründet sein, treten außer Kraft. Auch werden alle bisherigen Rechte zur Ernennung, Anstellung, Berufung, Wahl oder Präsentation von Geistlichen und sonstigen Kirchenbeamten, soweit sie nicht auf einem Patronatsrecht beruhen, als staatliche Normen aufgehoben. Sind mit derartigen Rechten Lasten verbunden, so bedürfen die kirchlichen Vorschriften über eine Aufhebung dieser Rechte der Zustimmung der Staatsbehörde.
(2) Soweit in Staatsgesetzen oder anderen staatlichen Vorschriften den Konsistorien oder dem Oberkirchenrate bestimmte Befugnisse übertragen sind, treten an die Stelle der Konsistorien oder des Oberkirchenrats die in der kirchlichen Gesetzgebung vorgesehenen Verwaltungsbehörden.
Artikel 21
Das Staatsministerium bestimmt die Behörden, die die oben bezeichneten Rechte des Staates auszuüben haben.
Artikel 22
Der für kirchliche Angelegenheiten zuständige Minister wird mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.
Das vorstehende, vom Landtag beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet. Die verfassungsmäßigen Rechte des Staatsrats sind gewahrt.
Berlin, den 8. April 1924
Das Preußische Staatsministerium Braun. am Zehnhoff für den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
Fussnoten
Preußische Gesetzsammlung 1924, S. 221; zuletzt geändert durch das Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen v. 17. Juni 2003 (GV. NRW. S. 313). |
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Artikel 2 und 3 aufgehoben durch Artikel 13 Abs. 2 des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen mit dem Freistaat Preußen vom 11. Mai 1931. |
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Art. 6 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 aufgehoben durch das Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen vom 17. Juni 2003 (GV. NRW. S. 313). |
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Art. 20 Abs. 1 Satz 3 aufgehoben durch Artikel 13 Abs. 2 des Vertrages der Evangelischen Landeskirchen mit dem Freistaat Preußen vom 11. Mai 1931. |
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