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Europäisches Übereinkommen über Personen, welche an Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmen

Abgeschlossen in Strassburg am 5. März 1996 Von der Schweiz unterzeichnet am 27. August 1998 ¹ In Kraft getreten für die Schweiz am 1. Januar 1999 (Stand am 2. Juli 2020) ¹ Ohne Ratifikationsvorbehalt
Die Mitgliedstaaten des Europarats,
die dieses Übereinkommen unterzeichnen,
im Hinblick auf die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ² (im Folgenden als «Konvention» bezeichnet);
im Hinblick auf das am 6. Mai 1969 in London unterzeichnete Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen ³ ;
im Hinblick auf das am 11. Mai 1994 in Strassburg unterzeichnete Protokoll Nr. 11 zur Konvention über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus ⁴ (im Folgenden als «Protokoll Nr. 11 zur Konvention» bezeichnet), mit dem ein ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden als «Gerichtshof» bezeichnet) errichtet wird, der die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ersetzt;
in der Erwägung, dass es in Anbetracht dieser Entwicklung für die bessere Verwirklichung der Ziele der Konvention zweckmässig ist, dass den an den Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmenden Personen durch ein neues Übereinkommen, das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen (im Folgenden als «dieses Übereinkommen» bezeichnet), bestimmte Immunitäten und Erleichterungen gewährt werden,
haben Folgendes vereinbart:
² SR 0.101 ³ SR 0.101.1 ⁴ SR 0.101.09
Art. 1
(1) Dieses Übereinkommen findet auf die folgenden Personen Anwendung:
(a) alle Personen, die als Partei oder als Vertreter oder Berater einer Partei an einem Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmen;
(b) Zeugen und Sachverständige, die auf Vorladung des Gerichtshofs am Verfahren teilnehmen, und andere Personen, denen der Präsident des Gerichtshofs Gelegenheit gibt, am Verfahren teilzunehmen.
(2) Für die Anwendung dieses Übereinkommen bezeichnet der Begriff «Gerichtshof» die Ausschüsse, die Kammern, einen Ausschuss der Grossen Kammer, die Grosse Kammer und die Richter. Der Begriff «am Verfahren teilnehmen» umfasst auch die Abgabe von Mitteilungen mit dem Ziel der Einreichung einer Beschwerde gegen einen Vertragsstaat der Konvention.
(3) Fordert das Ministerkomitee bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach Artikel 46 Absatz 2 der Konvention eine in Absatz 1 dieses Artikels genannte Person auf, vor dem Ministerkomitee zu erscheinen oder ihm schriftliche Äusserungen zu übermitteln, so findet dieses Übereinkommen auf diese Person Anwendung.
Art. 2
(1) Die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Personen geniessen Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre mündlichen oder schriftlichen Äusserungen gegenüber dem Gerichtshof sowie in Bezug auf Urkunden oder andere Beweismittel, die sie dem Gerichtshof vorlegen.
(2) Diese Immunität besteht nicht, wenn sie von Äusserungen gegenüber dem Gerichtshof oder von Urkunden oder Beweismitteln, die ihm vorgelegt worden sind, ausserhalb des Gerichtshofs Kenntnis geben.
Art. 3
(1) Die Vertragsparteien erkennen das Recht der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Personen auf ungehinderten schriftlichen Verkehr mit dem Gerichtshof an.
(2) Für Personen, denen die Freiheit entzogen ist, gehört zur Ausübung dieses Rechts insbesondere, dass
a) ihre Korrespondenz ohne ungebührliche Verzögerung und ohne Änderung abzusenden und ihnen auszuhändigen ist;
b) wegen einer auf ordnungsgemässem Weg übersandten Mitteilung an den Gerichtshof gegen sie keinerlei disziplinarische Massnahmen ergriffen werden dürfen;
c) sie berechtigt sind, in Bezug auf eine Beschwerde an den Gerichtshof oder ein daraus entstandenes Verfahren mit einem Anwalt, der vor den Gerichten des Staates auftreten kann, in dem ihnen die Freiheit entzogen ist, schriftlich zu verkehren und sich mit ihm zu beraten, ohne dass eine andere Person mithört.
(3) Bei der Anwendung der Absätze 1 und 2 ist ein Eingriff einer Behörde nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder zum Schutz der Gesundheit notwendig ist.
Art. 4
(1) a) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die in Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens genannten Personen nicht zu hindern, sich frei zu bewegen und zu reisen, um am Verfahren vor dem Gerichtshof teilzunehmen und danach wieder zurückzukehren.
b) Die Ausübung dieser Bewegungs- und Reisefreiheit darf keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte der Freiheiten anderer notwendig sind.
(2) a) Diese Personen dürfen in Durchgangsstaaten oder in dem Staat, in dem das Verfahren stattfindet, wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Beginn ihrer Reise weder verfolgt noch in Haft genommen noch einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden.
b) Jede Vertragspartei kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, dass dieser Absatz auf ihre eigenen Staatsangehörigen keine Anwendung findet. Eine solche Erklärung kann jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation zurückgenommen werden.
(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, jeder Person, welche die Reise in ihrem Hoheitsgebiet angetreten hat, die Rückkehr in dieses Gebiet zu gestatten.
(4) Die Absätze 1 und 2 werden nicht mehr angewendet, wenn die betreffende Person, nachdem ihre Anwesenheit vom Gerichtshof nicht mehr für notwendig gehalten wurde, fünfzehn aufeinanderfolgende Tage lang die Möglichkeit hatte, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihre Reise begonnen hatte.
(5) Bei einer Kollision zwischen Verpflichtungen einer Vertragspartei nach Absatz 2 und Verpflichtungen, die sich für sie aus einem Übereinkommen des Europarats oder aus einem Auslieferungs- oder sonstigen Rechtshilfevertrag in Strafsachen mit anderen Vertragsparteien ergeben, geht Absatz 2 vor.
Art. 5
(1) Immunitäten und Erleichterungen werden den in Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens genannten Personen nur gewährt, um ihnen die Redefreiheit und Unabhängigkeit zu sichern, die für die Wahrnehmung ihrer Funktionen, Aufgaben und Pflichten oder für die Ausübung ihrer Rechte gegenüber dem Gerichtshof erforderlich sind.
(2) a) Nur der Gerichtshof ist zuständig, die in Artikel 2 Absatz 1 vorgesehene Immunität ganz oder teilweise aufzuheben; er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach seiner Auffassung verhindern würde, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen die vollständige oder teilweise Aufhebung den in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Zweck nicht beeinträchtigen würde.
b) Der Gerichtshof kann die Immunität von Amts wegen oder auf Antrag einer Vertragspartei oder einer betroffenen Person aufheben.
c) Entscheidungen, welche die Immunität aufheben oder die Aufhebung ablehnen, sind zu begründen.
(3) Bescheinigt eine Vertragspartei, dass die Aufhebung der in Artikel 2 Absatz 1 dieses Übereinkommens vorgesehenen Immunität für ein Verfahren wegen eines Angriffs auf die nationale Sicherheit erforderlich ist, so hebt der Gerichtshof die Immunität in dem in der Bescheinigung angegebenen Umfang auf.
(4) Wird eine Tatsache bekannt, die geeignet gewesen wäre, einen massgeblichen Einfluss zu haben, und die dem Antragsteller zu der Zeit unbekannt war, als die Entscheidung über die Ablehnung der Aufhebung der Immunität erging, so kann er bei/im Gerichtshof einen neuen Antrag stellen.
Art. 6
Keine Bestimmung dieses Übereinkommens darf als Beschränkung oder Aufhebung von Verpflichtungen ausgelegt werden, welche die Vertragsparteien auf Grund der Konvention oder der Protokolle dazu übernommen haben.
Art. 7
(1) Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung auf; sie können ihre Zustimmung, gebunden zu sein, ausdrücken,
(a) indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen oder
(b) in dem sie es vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und später ratifizieren, annehmen oder genehmigen.
(2) Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
Art. 8
(1) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem zehn Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 7 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, beziehungsweise an dem Tag, an dem das Protokoll Nr. 11 zur Konvention in Kraft tritt, je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist.
(2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach der Unterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.
Art. 9
(1) Jeder Vertragsstaat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Übereinkommens auf einzelne oder mehrere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiete erstrecken, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist oder für die er Vereinbarungen treffen kann.
(2) Für das oder die in einer Erklärung nach Absatz 1 bezeichneten Hoheitsgebiete tritt dieses Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.
(3) Jede nach Absatz 1 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet nach Massgabe des in Artikel 10 für die Kündigung vorgesehenen Verfahrens zurückgenommen werden.
Art. 10
(1) Dieses Übereinkommen bleibt auf unbegrenzte Zeit in Kraft.
(2) Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.
(3) Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam. Sie bewirkt nicht die Entlassung der betreffenden Vertragspartei aus etwaigen Verpflichtungen, die aus diesem Übereinkommen gegenüber einer in Artikel 1 Absatz 1 genannten Person erwachsen sind.
Art. 11
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates
a) jede Unterzeichnung;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde;
c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens nach seinen Artikeln 8 und 9;
d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 5. März 1996 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 2. Juli 2020 ⁵

⁵ AS 2000 1664 , 2003 2225 , 2005 1905 , 2009 1129 , 2013 1229 , 2016 1319 , 2020 3317 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Unterzeichnet ohne Ratifikations­vorbehalt (U)

Inkrafttreten

Albanien

26. Februar

2003

1. April

2003

Andorra

24. November

1998

1. Januar

1999

Belgien

29. Juni

2000

1. August

2000

Bulgarien*

31. Mai

2001

1. Juli

2001

Dänemark

28. August

1998

1. Januar

1999

Deutschland

11. September

2001

1. November

2001

Estland*

9. Januar

2012

1. März

2012

Finnland

23. Dezember

1998

1. Februar

1999

Frankreich*

17. November

1998

1. Januar

1999

Georgien*

10. Mai

2001 U

1. Juli

2001

Griechenland*

7. Februar

2005

1. April

2005

Irland

7. Mai

1999

1. Juli

1999

Island

4. November

1998

1. Januar

1999

Italien*

6. März

1998

1. Januar

1999

Kroatien*

2. Dezember

1999

1. Februar

2000

Lettland*

27. Juli

2006

1. September

2006

Liechtenstein*

21. Januar

1999 U

1. März

1999

Litauen

18. Februar

2003

1. April

2003

Luxemburg

12. März

1999

1. Mai

1999

Malta*

5. Februar

2015

1. April

2015

Moldau*

8. November

2001

1. Januar

2002

Monaco*

19. März

2007

1. Mai

2007

Niederlande a *

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Aruba

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Curaçao

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Karibische Gebiete (Bonaire,
Sint Eustatius und Saba)

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Sint Maarten

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Norwegen

12. Dezember

2001 U

1. Februar

2002

Österreich

10. Januar

2001

1. März

2001

Polen*

6. Dezember

2012

1. Februar

2013

Portugal

11. April

2018

1. Juni

2018

Rumänien

9. April

1999

1. Juni

1999

San Marino

28. August

2015

1. Oktober

2015

Schweden

30. September

1998

1. Januar

1999

Schweiz*

27. August

1998 U

1. Januar

1999

Slowakei*

21. Mai

2003

1. Juli

2003

Slowenien

29. November

2001

1. Januar

2002

Spanien*

19. Januar

2001

1. März

2001

Tschechische Republik*

24. Juni

1998

1. Januar

1999

Türkei*

6. Oktober

2004

1. Dezember

2004

Ukraine

4. November

2004

1. Januar

2005

Ungarn*

1. April

1998

1. Januar

1999

Vereinigtes Königreich

9. November

2001

1. Januar

2002

Guernsey

3. März

2015

3. März

2015

Insel Man

2. Oktober

2003

1. November

2003

Zypern

9. Februar

2000

1. April

2000

* Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht, mit Ausnahme jener der Schweiz. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des Europarates: www.coe.int > Deutsch > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.
a
Für das Königreich in Europa.

Vorbehalte und Erklärungen

Schweiz
Aufgrund eines Übermittlungsfehlers konnte die Unterzeichnung des genannten Übereinkommens nicht mit der folgenden Erklärung des Schweizerischen Bundesrates versehen werden, die im Unterzeichnungsprotokoll gebührend berücksichtigt sein müsste.
«Die Bestimmungen von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a des Übereinkommens finden keine Anwendung auf Schweizer Staatsangehörige, die in der Schweiz wegen eines schweren Verbrechens gegen den Staat, die Landesverteidigung oder die Verteidigungskraft des Landes verfolgt werden oder verurteilt wurden».
Version: 02.07.2020
Anzahl Änderungen: 0

Europäisches Übereinkommen über Personen, welche an Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmen

Abgeschlossen in Strassburg am 5. März 1996 Von der Schweiz unterzeichnet am 27. August 1998 ¹ In Kraft getreten für die Schweiz am 1. Januar 1999 (Stand am 2. Juli 2020) ¹ Ohne Ratifikationsvorbehalt
Die Mitgliedstaaten des Europarats,
die dieses Übereinkommen unterzeichnen,
im Hinblick auf die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ² (im Folgenden als «Konvention» bezeichnet);
im Hinblick auf das am 6. Mai 1969 in London unterzeichnete Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen ³ ;
im Hinblick auf das am 11. Mai 1994 in Strassburg unterzeichnete Protokoll Nr. 11 zur Konvention über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus ⁴ (im Folgenden als «Protokoll Nr. 11 zur Konvention» bezeichnet), mit dem ein ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden als «Gerichtshof» bezeichnet) errichtet wird, der die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ersetzt;
in der Erwägung, dass es in Anbetracht dieser Entwicklung für die bessere Verwirklichung der Ziele der Konvention zweckmässig ist, dass den an den Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmenden Personen durch ein neues Übereinkommen, das Europäische Übereinkommen über die an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen (im Folgenden als «dieses Übereinkommen» bezeichnet), bestimmte Immunitäten und Erleichterungen gewährt werden,
haben Folgendes vereinbart:
² SR 0.101 ³ SR 0.101.1 ⁴ SR 0.101.09
Art. 1
(1) Dieses Übereinkommen findet auf die folgenden Personen Anwendung:
(a) alle Personen, die als Partei oder als Vertreter oder Berater einer Partei an einem Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmen;
(b) Zeugen und Sachverständige, die auf Vorladung des Gerichtshofs am Verfahren teilnehmen, und andere Personen, denen der Präsident des Gerichtshofs Gelegenheit gibt, am Verfahren teilzunehmen.
(2) Für die Anwendung dieses Übereinkommen bezeichnet der Begriff «Gerichtshof» die Ausschüsse, die Kammern, einen Ausschuss der Grossen Kammer, die Grosse Kammer und die Richter. Der Begriff «am Verfahren teilnehmen» umfasst auch die Abgabe von Mitteilungen mit dem Ziel der Einreichung einer Beschwerde gegen einen Vertragsstaat der Konvention.
(3) Fordert das Ministerkomitee bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben nach Artikel 46 Absatz 2 der Konvention eine in Absatz 1 dieses Artikels genannte Person auf, vor dem Ministerkomitee zu erscheinen oder ihm schriftliche Äusserungen zu übermitteln, so findet dieses Übereinkommen auf diese Person Anwendung.
Art. 2
(1) Die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Personen geniessen Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre mündlichen oder schriftlichen Äusserungen gegenüber dem Gerichtshof sowie in Bezug auf Urkunden oder andere Beweismittel, die sie dem Gerichtshof vorlegen.
(2) Diese Immunität besteht nicht, wenn sie von Äusserungen gegenüber dem Gerichtshof oder von Urkunden oder Beweismitteln, die ihm vorgelegt worden sind, ausserhalb des Gerichtshofs Kenntnis geben.
Art. 3
(1) Die Vertragsparteien erkennen das Recht der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Personen auf ungehinderten schriftlichen Verkehr mit dem Gerichtshof an.
(2) Für Personen, denen die Freiheit entzogen ist, gehört zur Ausübung dieses Rechts insbesondere, dass
a) ihre Korrespondenz ohne ungebührliche Verzögerung und ohne Änderung abzusenden und ihnen auszuhändigen ist;
b) wegen einer auf ordnungsgemässem Weg übersandten Mitteilung an den Gerichtshof gegen sie keinerlei disziplinarische Massnahmen ergriffen werden dürfen;
c) sie berechtigt sind, in Bezug auf eine Beschwerde an den Gerichtshof oder ein daraus entstandenes Verfahren mit einem Anwalt, der vor den Gerichten des Staates auftreten kann, in dem ihnen die Freiheit entzogen ist, schriftlich zu verkehren und sich mit ihm zu beraten, ohne dass eine andere Person mithört.
(3) Bei der Anwendung der Absätze 1 und 2 ist ein Eingriff einer Behörde nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder zum Schutz der Gesundheit notwendig ist.
Art. 4
(1) a) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die in Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens genannten Personen nicht zu hindern, sich frei zu bewegen und zu reisen, um am Verfahren vor dem Gerichtshof teilzunehmen und danach wieder zurückzukehren.
b) Die Ausübung dieser Bewegungs- und Reisefreiheit darf keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte der Freiheiten anderer notwendig sind.
(2) a) Diese Personen dürfen in Durchgangsstaaten oder in dem Staat, in dem das Verfahren stattfindet, wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Beginn ihrer Reise weder verfolgt noch in Haft genommen noch einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden.
b) Jede Vertragspartei kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, dass dieser Absatz auf ihre eigenen Staatsangehörigen keine Anwendung findet. Eine solche Erklärung kann jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation zurückgenommen werden.
(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, jeder Person, welche die Reise in ihrem Hoheitsgebiet angetreten hat, die Rückkehr in dieses Gebiet zu gestatten.
(4) Die Absätze 1 und 2 werden nicht mehr angewendet, wenn die betreffende Person, nachdem ihre Anwesenheit vom Gerichtshof nicht mehr für notwendig gehalten wurde, fünfzehn aufeinanderfolgende Tage lang die Möglichkeit hatte, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihre Reise begonnen hatte.
(5) Bei einer Kollision zwischen Verpflichtungen einer Vertragspartei nach Absatz 2 und Verpflichtungen, die sich für sie aus einem Übereinkommen des Europarats oder aus einem Auslieferungs- oder sonstigen Rechtshilfevertrag in Strafsachen mit anderen Vertragsparteien ergeben, geht Absatz 2 vor.
Art. 5
(1) Immunitäten und Erleichterungen werden den in Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens genannten Personen nur gewährt, um ihnen die Redefreiheit und Unabhängigkeit zu sichern, die für die Wahrnehmung ihrer Funktionen, Aufgaben und Pflichten oder für die Ausübung ihrer Rechte gegenüber dem Gerichtshof erforderlich sind.
(2) a) Nur der Gerichtshof ist zuständig, die in Artikel 2 Absatz 1 vorgesehene Immunität ganz oder teilweise aufzuheben; er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach seiner Auffassung verhindern würde, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und in denen die vollständige oder teilweise Aufhebung den in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Zweck nicht beeinträchtigen würde.
b) Der Gerichtshof kann die Immunität von Amts wegen oder auf Antrag einer Vertragspartei oder einer betroffenen Person aufheben.
c) Entscheidungen, welche die Immunität aufheben oder die Aufhebung ablehnen, sind zu begründen.
(3) Bescheinigt eine Vertragspartei, dass die Aufhebung der in Artikel 2 Absatz 1 dieses Übereinkommens vorgesehenen Immunität für ein Verfahren wegen eines Angriffs auf die nationale Sicherheit erforderlich ist, so hebt der Gerichtshof die Immunität in dem in der Bescheinigung angegebenen Umfang auf.
(4) Wird eine Tatsache bekannt, die geeignet gewesen wäre, einen massgeblichen Einfluss zu haben, und die dem Antragsteller zu der Zeit unbekannt war, als die Entscheidung über die Ablehnung der Aufhebung der Immunität erging, so kann er bei/im Gerichtshof einen neuen Antrag stellen.
Art. 6
Keine Bestimmung dieses Übereinkommens darf als Beschränkung oder Aufhebung von Verpflichtungen ausgelegt werden, welche die Vertragsparteien auf Grund der Konvention oder der Protokolle dazu übernommen haben.
Art. 7
(1) Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung auf; sie können ihre Zustimmung, gebunden zu sein, ausdrücken,
(a) indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen oder
(b) in dem sie es vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und später ratifizieren, annehmen oder genehmigen.
(2) Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
Art. 8
(1) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem zehn Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 7 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, beziehungsweise an dem Tag, an dem das Protokoll Nr. 11 zur Konvention in Kraft tritt, je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist.
(2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach der Unterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.
Art. 9
(1) Jeder Vertragsstaat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Übereinkommens auf einzelne oder mehrere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiete erstrecken, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist oder für die er Vereinbarungen treffen kann.
(2) Für das oder die in einer Erklärung nach Absatz 1 bezeichneten Hoheitsgebiete tritt dieses Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.
(3) Jede nach Absatz 1 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet nach Massgabe des in Artikel 10 für die Kündigung vorgesehenen Verfahrens zurückgenommen werden.
Art. 10
(1) Dieses Übereinkommen bleibt auf unbegrenzte Zeit in Kraft.
(2) Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.
(3) Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam. Sie bewirkt nicht die Entlassung der betreffenden Vertragspartei aus etwaigen Verpflichtungen, die aus diesem Übereinkommen gegenüber einer in Artikel 1 Absatz 1 genannten Person erwachsen sind.
Art. 11
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates
a) jede Unterzeichnung;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde;
c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens nach seinen Artikeln 8 und 9;
d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 5. März 1996 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 2. Juli 2020 ⁵

⁵ AS 2000 1664 , 2003 2225 , 2005 1905 , 2009 1129 , 2013 1229 , 2016 1319 , 2020 3317 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Unterzeichnet ohne Ratifikations­vorbehalt (U)

Inkrafttreten

Albanien

26. Februar

2003

1. April

2003

Andorra

24. November

1998

1. Januar

1999

Belgien

29. Juni

2000

1. August

2000

Bulgarien*

31. Mai

2001

1. Juli

2001

Dänemark

28. August

1998

1. Januar

1999

Deutschland

11. September

2001

1. November

2001

Estland*

9. Januar

2012

1. März

2012

Finnland

23. Dezember

1998

1. Februar

1999

Frankreich*

17. November

1998

1. Januar

1999

Georgien*

10. Mai

2001 U

1. Juli

2001

Griechenland*

7. Februar

2005

1. April

2005

Irland

7. Mai

1999

1. Juli

1999

Island

4. November

1998

1. Januar

1999

Italien*

6. März

1998

1. Januar

1999

Kroatien*

2. Dezember

1999

1. Februar

2000

Lettland*

27. Juli

2006

1. September

2006

Liechtenstein*

21. Januar

1999 U

1. März

1999

Litauen

18. Februar

2003

1. April

2003

Luxemburg

12. März

1999

1. Mai

1999

Malta*

5. Februar

2015

1. April

2015

Moldau*

8. November

2001

1. Januar

2002

Monaco*

19. März

2007

1. Mai

2007

Niederlande a *

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Aruba

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Curaçao

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Karibische Gebiete (Bonaire,
Sint Eustatius und Saba)

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Sint Maarten

21. Januar

1997

1. Januar

1999

Norwegen

12. Dezember

2001 U

1. Februar

2002

Österreich

10. Januar

2001

1. März

2001

Polen*

6. Dezember

2012

1. Februar

2013

Portugal

11. April

2018

1. Juni

2018

Rumänien

9. April

1999

1. Juni

1999

San Marino

28. August

2015

1. Oktober

2015

Schweden

30. September

1998

1. Januar

1999

Schweiz*

27. August

1998 U

1. Januar

1999

Slowakei*

21. Mai

2003

1. Juli

2003

Slowenien

29. November

2001

1. Januar

2002

Spanien*

19. Januar

2001

1. März

2001

Tschechische Republik*

24. Juni

1998

1. Januar

1999

Türkei*

6. Oktober

2004

1. Dezember

2004

Ukraine

4. November

2004

1. Januar

2005

Ungarn*

1. April

1998

1. Januar

1999

Vereinigtes Königreich

9. November

2001

1. Januar

2002

Guernsey

3. März

2015

3. März

2015

Insel Man

2. Oktober

2003

1. November

2003

Zypern

9. Februar

2000

1. April

2000

* Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht, mit Ausnahme jener der Schweiz. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des Europarates: www.coe.int > Deutsch > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.
a
Für das Königreich in Europa.

Vorbehalte und Erklärungen

Schweiz
Aufgrund eines Übermittlungsfehlers konnte die Unterzeichnung des genannten Übereinkommens nicht mit der folgenden Erklärung des Schweizerischen Bundesrates versehen werden, die im Unterzeichnungsprotokoll gebührend berücksichtigt sein müsste.
«Die Bestimmungen von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a des Übereinkommens finden keine Anwendung auf Schweizer Staatsangehörige, die in der Schweiz wegen eines schweren Verbrechens gegen den Staat, die Landesverteidigung oder die Verteidigungskraft des Landes verfolgt werden oder verurteilt wurden».
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